69. Die Schwalbe.

Aus Dänemark.


Es war einmal eine Kammerjungfer, die war sehr stolz und schnippisch, wie manche sein können; sie ging an Werktagen in dunkelblauem Seidenkleide mit weißem Besatz an der Brust. Unter anderen Sachen nahm sie von ihrer Herrin ein Garnknäuel, eine Nadel und eine Schere. Das merkte die Frau und setzte ihr zu, sie sollte bekennen, daß sie es gestohlen hätte. Das wollte sie nicht, sondern schwur, daß es nicht wahr wäre; ja sie sagte, sie wollte zu einem Vogel werden, der draußen herumflöge, wenn sie ein Dieb wäre. Mit einem Male wurde sie ein dunkelblauer Vogel mit weißer Brust, mit einem Kopf wie ein Garnknäuel, einem Schnabel wie eine Nadel und einem Schwanz wie eine Schere und schwirrte zum Fenster hinaus und zum nächsten Hause hin. Da setzte sie sich und wollte sich von der Beschuldigung reinwaschen, zwitscherte und sagte: ›Die Frau beschuldigte mich, ich hätte ihr Nadel und Garn gestohlen, Nadel und Garn, Nadel und Garn und eine kleine Schere.‹ Darauf flog sie weg, und so soll sie es an jedem Orte treiben, solange die Welt steht. So entstand die erste Schwalbe.

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Naturgeschichtliche Märchen. 7. Aufl. Leipzig/Berlin: 1925, S. 101-102.
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