Spätereinmal.

[152] Es war einmal ein Pächter namens Jan, der lebte ganz allein auf seinem Gehöft. Da kam ihm der Gedanke, dass es doch viel behaglicher wäre, eine Frau im Hause zu haben.

Er freite also um eine hübsche Dirne und fragte sie. »Willst du meine Frau werden?«

»Vom Herzen gern,« antwortete sie.

Sie giengen in die Kirche und wurden getraut. Dann nahm er sie zu sich auf sein Pferd und brachte sie in sein Haus. Und sie lebten glücklich und vergnügt.

Eines Tages fragte Jan seine Frau: »Frau, kannst du melken?«

»O ja, Jan, ich kann melken. Wie ich zu Hause war, hat die Mutter immer gemolken.«

Da gieng er auf den Markt und kaufte ihr zehn rothe Kühe.

Alles gieng recht gut, bis sie eines Tages die Kühe zur Tränke trieb. Es kam ihr vor, dass sie nicht schnell genug tranken. Da trieb sie sie weit in den Teich hinein, und sie ertranken alle.

Als Jan heimkam, da fasste sie sich ein Herz und erzählte ihm, was ihr zugestoßen sei. Er aber sagte: »Mach' dir nichts d'raus, mein Schatz, das nächstemal wird es schon besser gehen.«

So vergieng eine Zeit, da fragte Jan eines Tages seine Frau: »Frau, kannst du Schweine füttern?«

»O ja, Jan, ich kann Schweine füttern. Wie ich zu Hause war, hat die Mutter immer Schweine gefüttert.«[153]

Da gieng er auf den Markt und brachte ihr ein paar Schweine.

Alles gieng recht gut, bis sie eines Tages den Schweinen das Futter in den Trog schüttete. Es kam ihr vor, dass sie nicht schnell genug fraßen. Da stieß sie ihnen die Köpfe tief in den Trog hinein, und sie erstickten alle.

Als Jan heimkam, fasste sie sich ein Herz und gestand ihm, was ihr zugestoßen sei. Er aber sagte: »Mach' dir nichts d'raus, mein Schatz, das nächstemal wird es schon besser gehen.«

So vergieng eine Zeit, da fragte Jan eines Tages seine Frau: »Frau, kannst du backen?«

»O ja, Jan, ich kann backen. Wie ich zu Hause war, hat die Mutter immer gebacken.«

Da kaufte er ihr alles Nöthige zum Brotbacken. Alles gieng recht gut, bis sie eines Tages beschloss, Jan mit schmackhaftem Weißbrot zu überraschen. Sie trug also ihr Mehl auf den Gipfel eines hohen Berges und ließ den Wind darüber blasen, denn sie dachte, er würde die Kleie aus dem Mehl fortblasen. Aber der Wind blies Mehl und Kleie und alles fort – und mit dem Weißbrot war's nichts.

Als Jan heimkam, fasste sie sich ein Herz und sagte ihm, was ihr zugestoßen sei. Er aber sprach: »Mach' dir nichts d'raus, mein Schatz, das nächstemal wird es schon besser gehen.«

So vergieng eine Zeit, da fragte Jan eines Tages seine Frau: »Frau, kannst du Bier brauen?«

»O ja, Jan, ich kann Bier brauen. Wie ich zu Hause war, hat die Mutter immer Bier gebraut.«

Da kaufte er ihr alles Nöthige zum Bierbrauen. Alles gieng recht gut; da kam eines Tages, als sie gerade ein Fass Bier gebraut hatte, ein großer schwarzer Hund ins Haus und sah sie an. Sie jagte ihn hinaus, aber er blieb vor der Thür[154] stehen und sah sie unverwandt an. Da wurde sie so zornig, dass sie den Zapfen aus dem Fasse zog und hinter ihm herwarf. Dabei sagte sie: »Was schaust du mich an? Ich bin Jans Frau.«

Da lief der Hund die Straße hinab, und sie lief ihm nach, um ihn ganz zu vertreiben. Als sie zurückkam, sah sie, dass das ganze Fass ausgeronnen war, und mit dem Bier war's nichts.

Als Jan heimkam, fasste sie sich ein Herz und gestand ihm, was ihr zugestoßen sei. Er aber sagte: »Mach' dir nichts d'raus, mein Schatz, das nächstemal wird es schon besser gehen.«

So vergieng eine Zeit, da sprach sie eines Tages zu sich: »Es ist hohe Zeit, das Haus gründlich zu scheuern.«

Als sie das große Bett herausnahm, fand sie einen Beutel voll Geld auf dem Betthimmel.

Wie Jan nach Hause kam, fasste sie sich ein Herz und fragte ihn: »Jan, für wen ist dieses Geld?«

»Für später einmal, mein Schatz.«

Nun stand aber ein Dieb unter dem Fenster, und der hörte, was Jan sagte. Am folgenden Tage wartete er, bis Jan zu Markte gegangen war, dann klopfte er an die Thür.

»Was wünscht Ihr, bitte?« fragte Mally.

»Mein Name ist Spätereinmal,« sagte der Dieb, »ich komme um das Geld.«

Der Dieb war wie ein feiner Herr angezogen. Mally dachte, es sei doch sehr freundlich von einem so feinen Herrn, in eigener Person das Geld zu holen. Sie rannte die Treppe hinauf und brachte dem Dieb den Geldbeutel. Der nahm ihn und gieng damit fort.

Als Jan heimkam, sagte sie zu ihm: »Jan, Spätereinmal war hier und hat sich das Geld geholt.«

»Was soll das heißen?« fragte Jan.[155]

Da erzählte sie ihm alles.

Er aber sagte: »Jetzt ist's um uns geschehen, denn das war der Pachtzins. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als durch die Welt zu wandern, bis wir den Geldbeutel finden.«

Jan hob das Hausthor aus den Angeln. »Das ist jetzt unser Bett,« sagte er.

Er nahm die Thür auf den Rücken, und sie machten sich beide auf, Spätereinmal zu suchen. So wanderten sie manchen Tag, und in der Nacht legte Jan die Thür auf die Zweige eines Baumes, und darauf schliefen sie.

Eines Tages kamen sie zu einem hohen Berge; am Fuße desselben befand sich ein mächtiger Baum. Auf die Zweige desselben legte Jan die Thür, und sie stiegen hinauf, um darauf zu schlafen. Nach einiger Zeit hörte Mally ein Geräusch, und sie blickte hinunter, um zu sehen, woher es käme.

Da öffnete sich eine Thür in dem Berge, und heraus kamen zwei Herren, die trugen einen großen Tisch. Ihnen folgten andere feine Damen und Herren, von denen jeder einen Geldbeutel in der Hand hatte. Und unter ihnen befand sich Spätereinmal mit Jans Geldbeutel. Sie setzten sich alle an den Tisch und tranken und plauderten und zählten ihr Geld. Da weckte Mally ihren Mann auf und fragte ihn, was sie thun sollten.

»Jetzt ist unsere Zeit gekommen,« sagte Jan, stieß die Thür hinunter, so dass sie mitten auf den Tisch fiel, und die erschrockenen Gauner liefen davon.

Dann stieg Jan und seine Frau vom Baum herunter. Sie nahmen so viele Geldsäcke mit, als auf der Thür Platz fanden, und giengen geradewegs nach Hause.

Und Jan kaufte seiner Frau neue Kühe und neue Schweine und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.

Quelle:
Kellner, Anna: Englische Märchen. Wien, Leipzig, Berlin, Stuttgart: Verlag der »Wiener Mode«, [1898], S. 152-156.
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