20.
Der Lohn fürs Nachtlager.
(Aus Tawastland.)

[169] Sankt Peter und der Erlöser waren einst miteinander auf einer Wanderung begriffen und kamen spät Abends in[169] ein Dorf, wo sie über Nacht zu bleiben beschlossen. In diesem Dorfe waren zwei Gehöfte; das eine stattlich und prunkend, das andere arm und gering. Die Wandersleute mochten im ärmlichen Gehöfte keine Mühe verursachen, sondern gedachten im reichen Hause um ein Nachtlager zu bitten. Das thaten sie denn auch, und dort angelangt, klopften sie an die Thür, die bereits verschlossen war, obgleich die Menschen noch nicht schliefen.

Lange Zeit erfolgte keine Antwort aus der Hütte, doch zuletzt ertönte die Stimme der Hauswirthin, welche fragte: »Wer paukt des Nachts an die Thüren der Leute?« Die Wanderer brachten ihr Anliegen vor und baten die Hausfrau, ihnen bis zum Morgen ein Nachtlager zu gewähren.

»Sucht euch ein Nachtlager, wo ihr sonst wollt,« keifte die Wirthin, »ich mag mich nicht mehr bemühen, um euch einzulassen. Hinweg von der Thür! oder ich lasse euch durch meinen Hund begrüssen!«

Die Wanderer mussten sich darein ergeben. Sie gingen von der Thür fort, wie ihnen geheissen war, und beschlossen in dem andern, dem ärmlichen Gehöfte nachzuschauen, ob die Leute dort noch wachten. Als sie an das Haus kamen, war die Thür nicht verriegelt, und die Bewohner desselben waren alle noch auf; sie begrüssten die Fremden gutwillig und baten sie sich zu setzen, während man das Essen und das Nachtlager für die Wanderer bereitete. Die Fremden, die von der Reise ermüdet waren, assen das Abendbrot mit gutem Appetit, bedankten sich beim Wirthsvolk und legten sich zur Ruhe.

Als die Fremden am folgenden Morgen aufbrachen, boten sie der Hausfrau einen Lohn an; aber sie wollte nichts von Geld wissen und meinte, dass man für so Weniges keine Bezahlung annehmen dürfe; die Wanderer würden wohl so wie so selber ihr Geld brauchen. Die Fremden vermochten nichts dagegen zu thun und machten[170] sich zur Reise bereit. Endlich sagte der Erlöser zur Wirthin: »Wenn Ihr auch von uns kein Geld für Eure Mühe nehmen wollt, so müsst Ihr Euch doch unsern Segen zu Eurer ersten Arbeit gefallen lassen und mögt zufrieden sein mit dem, was Euch dieser Segen bringt.«

Darauf konnte die Hauswirthin nichts erwidern; sie wünschte den Wanderern Glück auf den Weg und nahm Abschied von ihnen. Erst als diese das Gehöft verlassen hatten, gedachte die Frau ihrer Arbeiten und ging in der Frühe in das Vorrathshaus, um die gestern fertig gewebte Leinwand zu messen. Da dieses ihre erste Arbeit war, ging der Segen der Fremden daran in Erfüllung. Die Wirthin mass und mass, so schnell sie vermochte, aber das Gewebe nahm kein Ende; erst am dritten Tage ward sie imit dem Messen fertig, und da war der Leinwand so viel, dass die Frau und ihre Hausgenossen für ihr Lebtag genug hatten. Ganz verwundert darüber ging die Frau zu ihrer Nachbarin, um zu erzählen, was für Gäste bei ihr gewesen waren und was für eine Gabe sie ihr hinterlassen hatten. Als die Wirthin des andern Gehöftes diese Kunde vernahm, bereute sie ihre Engherzigkeit und gelobte sich ein andermal die beiden Fremden, die bei ihr hatten übernachten wollen, besser aufzunehmen, wenn sie noch einmal an ihr Gehöft kommen sollten.

Darüber verging einige Zeit, und das Gehöft des Armen gedieh immer erfreulicher, wogegen es um das Haus des Reichen nicht mehr so gut stand wie früher, obgleich die Bewohner desselben immerhin noch ihr gutes Auskommen hatten. So standen die Sachen, als dieselben Wanderer wieder durch das Dorf kamen und sich, wie das erste Mal, zunächst an das reiche Gehöft begaben. Diesmal liess sie die Hauswirthin nicht vor der Thür stehen, sondern empfing die Fremden mit zuckersüssen Mienen, bot ihnen das beste Essen an, das im Hause zu finden war, und ein so prächtiges[171] Nachtlager, wie sie irgend wünschen konnten. Die Gäste nahmen mit allem fürlieb, was ihnen gegeben wurde, und boten der Wirthin am folgenden Morgen, als sie das Gehöft verlassen wollten, einen Lohn für die Aufnahme an; aber die Hauswirthin wollte von einer Bezahlung gar nichts hören und gab den Reisenden gar noch Wegekost und mancherlei Anderes mit auf die Wanderung. So viel mochten die Reisenden doch nicht entgegennehmen ohne etwas dafür zu geben; desshalb sagten sie: »Wir danken Euch vielmals; aber wir können Eure Güte nicht so ganz unbelohnt lassen. Ein dreitägiger Segen soll darum auf der ersten Arbeit ruhen, die Ihr heute anfangt.« Mit diesen Worten zogen die Wandersleute ihres Weges, und die Hauswirthin griff gierig nach ihrem Geldbeutel, den sie schon am Abend vorher auf den Tisch bereit gelegt hatte; nun wollte sie das Geld nur so daraus schöpfen und gedachte schon ganz unermessliche Summen zusammenzuzählen, aber in der Hitze ihres Geldfiebers und ihrer Habsucht merkte sie nicht darauf, was sie in der Eile that, sondern holte sich erst aus einem Winkel ihr Taschentuch und schneuzte sich damit die Nase. Das war nun gerade ihre erste Beschäftigung, und der Segen der Fremden blieb auf derselben ruhen. Der Hauswirthin ward das Schneuzen der Nase recht zu einer schweren Mühe; sie schneuzte sich unaufhörlich, – doch das Schneuzen nahm kein Ende. Drei Tage lang währte dieses Nasenschneuzen, und erst nachdem diese Frist um war, kam die Hauswirthin von ihrer heissen Arbeit los; fluchend und sich segnend trug sie darauf den Beutel von dem Tische fort. – So viel davon.

Quelle:
Schreck, Emmy: Finnische Märchen. Weimar: Hermann Böhlau, 1887, S. 169-172.
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