33. Der Schmied aus Fumel

[84] Zu Nérac lebte einst ein König, namens Heinrich IV. Er war überaus reich, freigebig, kühn und gerecht. Dennoch war er nicht glücklich. Tag und Nacht sagte er zu sich: »Die Galeerensklaven leiden nicht so wie ich. Ich habe eine Tochter, schöner als der Tag und gelehrter als eine Heilige, aber sie ist so traurig, so traurig, dass sie niemand zum Lächeln brachte und deshalb heisst sie Prinzessin Trauermiene. Siebenhundert treffliche Pferde habe ich, aber alle sind sie schwarz wie die Nacht. Aber ich liebe nur mein weisses Pferd und das ist so bösartig, so bösartig, dass der geschickteste Schmied es nicht[84] beschlagen kann, daher heisst es das Pferd Eisenlos. Nein, die Galeerensklaven sind besser daran als ich.«

Schliesslich konnte Heinrich IV. es nicht mehr ertragen und berief den Stadttrommler in sein Schloss. – »Trommler, hier hast du tausend Pistolen. Zieh in die Welt hinein und rufe überall aus: Der Mann, der imstande ist, die Prinzessin Trauermiene nur ein einziges Mal zum Lachen zu bringen und der das grosse, weisse Pferd Eisenlos beschlagen kann, wird der Schwiegersohn und Erbe Heinrichs IV.« – »König, ich werde deinem Befehl nachkommen.«

Gesagt, getan. Bald kamen von allen Seiten die Männer herbei, die beiden Proben zu versuchen. Aber wie sie kamen, so gingen sie auch wieder.

Zur selben Zeit lebte zu Fumel bei seiner Mutter ein junger und beherzter Schmied. – »Mutter,« sagte er eines Abends beim Nachtmahl, »morgen ziehe ich nach Nérac. Ich werde die Prinzessin Trauermiene wenigstens einmal lachen machen und das Pferd Eisenlos beschlagen und so der Schwiegersohn und Erbe Heinrichs IV. werden.« – »Mein Sohn, zieh' mit Gott.«

Die Mutter ging schlafen. Er nahm sein ganzes Vermögen, hundert Silberlinge und fünfzig Louisdor, aus seinem Koffer und schmiedete aus den Talern vier silberne Hufeisen und aus den Louisdor achtundzwanzig Hufnägel, wobei er sieben für jedes Eisen rechnete. Bei Tagesanbruch zog er, seinen Schnappsack umgehängt, nach Nérac. Im Schnappsack hatte er Brot, eine Flasche Wein, einen Hammer, die vier silbernen Hufeisen und die achtundzwanzig goldenen Nägel.

Drei Stunden nach seinem Aufbruch setzte er sich am Wegrand nieder und ass und trank. Im benachbarten Feld zirpte eine pechschwarze Grille. – »Cri, cri, cri. Guten Tag, lieber Schmied.« – »Guten Tag, liebe Grille; womit kann ich dir dienen?« – »Cri, cri, cri. Lieber Schmied, wo gehst du hin?« – »Ich gehe nach Nérac, um die Prinzessin Trauermiene lachen zu machen und das weisse Pferd Eisenlos zu beschlagen, damit ich Schwiegersohn und Erbe Heinrichs IV. werde.« – »Cri, cri, cri. Lieber Schmied, nimm mich mit, vielleicht kann ich dir nützen.« – »Aber mit Vergnügen! Hüpfe herauf und halte dich an meinem Kinn fest.« – Gesagt, getan. Der Schmied ging mit der Grille am Kinn weiter.

Nach drei Stunden liess er sich wieder am Wegrand nieder, ass und trank. Im benachbarten Feld nagte eine kleine Ratte[85] an einem Tabakblatt. – »Quick, quick, quick. Guten Tag, lieber Schmied.« – »Guten Tag, liebe Ratte. Womit kann ich dir dienen?« – »Quick, quick, quick. Wo gehst du hin?« – »Ich gehe nach Nérac, um die Prinzessin Trauermiene lachen zu machen und das weisse Pferd Eisenlos zu beschlagen, damit ich der Schwiegersohn und Erbe Heinrichs IV. werde.« – »Quick, quick, quick. Lieber Schmied, nimm mich mit, vielleicht kann ich dir nützen.« – »Aber mit Vergnügen! Klettre herauf und halte dich an meinem Barett fest.« – Gesagt, getan. Der Schmied zog mit der Grille am Kinn und der Ratte am Barett weiter.

Die Nacht über schlief er in einem Wirtshaus zu Agen. Bei Tagesanbruch wurde er durch einen Stich in die Nase jäh erweckt. – »Auf, auf, lieber Schmied! Genug hast du geschlafen, du Faulian.« – »Wer ist da? Ich höre dich wohl, aber sehe dich nicht.« – »Lieber Schmied, ich bin die Flohmutter und sitze auf deiner Nase. Wo gehst du hin?« – »Ich gehe nach Nérac, um die Prinzessin Trauermiene lachen zu machen und das weisse Pferd Eisenlos zu beschlagen, damit ich Schwiegersohn und Erbe Heinrichs IV. werde.« – »Lieber Schmied, nimm mich mit. Vielleicht kann ich dir einen Dienst erweisen.« – »Liebe Flohmutter, halte dich fest an meiner Nasenspitze.« – Gesagt, getan. Der Schmied zog mit der Grille am Kinn, der Ratte am Barett und der Flohmutter an der Nasenspitze weiter.

Drei Stunden nach Sonnenaufgang war er zu Nérac. Er setzte sich auf eine Steinbank neben das Haupttor des königlichen Schlosses. Knechte und Diener erspähten ihn, lachten und riefen: »Schmied, was willst du hier?« – »Ich will mit Heinrich IV. und seiner Tochter Trauermiene sprechen.« – »Sieh, Schmied, hier kommen sie gerade von der Messe.«

Der Schmied trat ihnen ohne Furcht und Zittern entgegen und sprach: »Guten Tag, Prinzessin Trauermiene. Ich kam, um dich lachen zu machen. Guten Tag, König Heinrich. Ich kam, um dein weisses Pferd Eisenlos zu beschlagen und hoffe dein Schwiegersohn und Erbe zu werden.«

Als die Prinzessin Trauermiene die Grille am Kinn, die Ratte am Barett und die Flohmutter auf der Nasenspitze des Sprechers sah, brach sie in ein herzliches Gelächter aus.

»Lieber König, der erste Teil meiner Aufgabe ist gelöst. Die Prinzessin Trauermiene lacht zum erstenmal in ihrem Leben.« – »Schmied, das ist richtig. Nun handelt es sich[86] darum, mein grosses, weisses Pferd Eisenlos zu beschlagen. Gehen wir in den Stall.« – »König, ich stehe zu Diensten.«

Alle drei gingen in den Stall. Dort entnahm der Schmied seinem Schnappsack einen Hammer, vier silberne Hufeisen und achtundzwanzig goldene Hufnägel. Heinrich IV. und Prinzessin Trauermiene machten erstaunte Gesichter. – »Lieber Schmied, solche Hufeisen und solche Nägel sah ich noch nie.« – »Prinzessin Trauermiene, ich bin kein gewöhnlicher Schmied. Gold und Silber habe ich in Hülle und Fülle. König Heinrich, ich bin kein gewöhnlicher Schmied. Seht mir nun zu.«

Das grosse, weisse Pferd Eisenlos bäumte sich, schlug aus und wieherte so laut, dass man es sieben Meilen weit hörte. Der Schmied aber lachte dazu nur. – »Grille, mache dich ans Werk,« befahl er. – Die Grille sprang sogleich ins Ohr des Pferdes und begann zu zirpen: »Cri, cri, cri; cri, cri, cri; cri, cri, cri.« – Von diesem Lärm betäubt, wurde das Pferd ruhig. Sanft wie ein Schaf, senkte es den Kopf zur Erde. – »Ratte, mache dich ans Werk,« rief der Schmied. – Sogleich sprang die Ratte auf die Nase des Pferdes Eisenlos und begann dort zu farzen, so viel sie nur konnte. Die Furze rochen stark nach Tabak, von dem sich die Ratte nährte und das Pferd schlief, infolge dieses Geruches, ein. Jetzt beschlug es der Schmied, sattelte und zäumte es und sprang ohne Furcht und Zagen hinauf. Das Pferd erhob sich und gehorchte seiner Hand und seiner Stimme.

Nun sprach der Schmied zum König: »Lieber König Heinrich, die zweite Hälfte meiner Aufgabe ist erfüllt. Das grosse, weisse Pferd Eisenlos ist beschlagen und nun kann ich dein Schwiegersohn und Erbe werden.« – »Du hast recht. Diesen Morgen heiratest du meine Tochter. Verwalter, laufe zum Pfarrer und ihr, Diener und Knechte, richtet alles zur Hochzeitsfeier her.«

Gesagt, getan. Niemals sah man eine so schöne Hochzeit und nie wird man eine solche mehr erleben. Dennoch war der Schmied nicht zufrieden und er war nicht recht beim Essen, denn er dachte sich: »Nun kommt die Verwirrung. Heute früh sagte ich vor der Prinzessin Trauermiene und Heinrich IV., dass ich Gold und Silber in Hülle und Fülle habe, ich bin aber blutarm. Meine kleine Habe ist in die Hufeisen des Pferdes Eisenlos aufgegangen. Was soll ich tun?«

Nach der Tafel näherte sich ihm ein junger Mann. – »Lieber Schmied, ich will dir etwas im Vertrauen sagen.« –[87] »Lieber Freund, ich stehe zu Diensten.« – »Lieber Schmied, ich liebe mit ganzem Herzen Prinzessin Trauermiene, die mich nicht wollte. Ich bin überaus reich und gebe dir, wenn du mir schwörst, sie heute Nacht nicht zu berühren, einen grossen Sack voll spanischer Dublonen.« – »Lieber Freund, damit bin ich einverstanden.«

So geschah es auch. Anstatt die Lampe abzudrehen und sich zu seiner Frau zu legen, ging der Schmied die ganze Nacht im Zimmer hin und her. Von Stunde zu Stunde frug er seine Frau: »Geliebte, wieviel spanische Dublonen gehen in einen grossen Sack?« – Bei Sonnenaufgang ging er zum Edelmann und rief ihm zu: »Ich habe das, was du mir gestern Abend versprachst, gewonnen.«

Unterdessen trat der König ins Zimmer der Prinzessin Trauermiene und frug sie: »Nun, meine Tochter, wie hast du die Brautnacht verbracht?« – »Lieber Vater, sprechen wir nicht davon. Ich schlief allein, denn die ganze Nacht ging mein Mann im Zimmer auf und ab und frug mich nur von Stunde zu Stunde, wieviel spanische Dublonen in einen grossen Sack gehen.« – »Liebes Kind, dein Mann hat dir eine grosse Schmach angetan. Ich hoffe jedoch, dass es die nächste Nacht nicht mehr vorkommt.«

Aber der Schmied konnte einen zweiten grossen Sack voll spanischer Dublonen auf gleiche Art wie das erstemal verdienen. Anstatt die Lampe abzudrehen und sich zu seiner Frau zu legen, ging er die ganze Nacht im Zimmer hin und her. Von Stunde zu Stunde frug er seine Frau: »Geliebte, wieviel spanische Dublonen gehen in einen grossen Sack?« – Bei Sonnenaufgang ging er zum Edelmann und rief ihm zu: »Ich habe das, was du mir gestern Abend versprachst, gewonnen.«

Unterdessen trat der König ins Zimmer seiner Tochter und frug sie: »Nun, liebes Kind, wie hast du die zweite Nacht nach deiner Verheiratung verbracht?« – »Lieber Vater, sprechen wir nicht davon. Ich schlief allein, denn die ganze Nacht ging mein Mann im Zimmer auf und ab und frug mich nur von Stunde zu Stunde, wieviel spanische Dublonen in einen grossen Sack gehen.« – »Liebes Kind, dein Mann hat dir eine grosse Schmach angetan. Ich hoffe aber, dass es die nächste Nacht nicht wieder vorkommt.«

Aber der Schmied konnte noch einen drittten grossen Sack voll spanischer Dublonen auf die gleiche Art wie das[88] erstemal verdienen. Anstatt die Lampe abzudrehen und sich zu seiner Frau zu legen, ging er die ganze Nacht im Zimmer hin und her. Von Stunde zu Stunde frug er seine Frau: »Geliebte, wieviel spanische Dublonen gehen in einen grossen Sack?« – Bei Sonnenaufgang ging er zum Edelmann und rief ihm zu: »Ich habe das, was du mir gestern Abend versprachst, gewonnen. Da ich nun aber Geld genug habe, so werde ich heute Abend meine Frau beschlafen.«

Unterdessen trat der König ins Zimmer der Prinzessin Trauermiene und frug sie: »Nun, liebes Kind, wie hast du die dritte Nacht nach deiner Verheiratung verbracht?« – »Lieber Vater, sprechen wir nicht davon. Ich schlief allein, denn mein Mann ging die ganze Nacht im Zimmer auf und ab und frug mich nur von Zeit zu Zeit, wieviel spanische Dublonen in einen grossen Sack gehen.« – »Liebes Kind, nun ist es genug des Schimpfs. Ich will keinen Kapaun zum Schwiegersohn und du wirst einen solchen nicht zum Gemahl wollen. Deine Verheiratung ist null und nichtig. Heute heiratest du noch den jungen Edelmann, den du nicht wolltest.«

Und so geschah es. Der Schmied war sehr betrübt, denn er liebte seine Frau sehr. Die Grille, die Ratte und die Flohmutter trösteten ihn mit den Worten: »Nur Mut, lieber Schmied, wir verlassen dich nicht.«

Eine Stunde vor dem Schlafengehen versteckten sich die drei Tiere unter die Kissen des Brautbettes. Die Eheleute gingen zu Bett. Sogleich sprangen Grille und Flohmutter auf den Bräutigam und quälten und peinigten ihn bis aufs Blut. Er schrie und sprang wie ein Besessener herum. Er wurde so müde davon, dass er schliesslich wie ein Sück Holz zur Erde fiel. Nun sprang die Ratte herbei und farzte. Der Tabakgeruch der Furze betäubte den jungen Ehemann so, dass er wie ein Stock schlief.

Am nächsten Tag, der Bräutigam schlief noch immer, trat der König ins Zimmer der Prinzessin Trauermiene. – »Nun, liebes Kind, wie hast du deine Brautnacht verbracht?« – »Lieber Vater, sprechen wir nicht davon. Sieh doch, was mein Mann wert ist. Da ist mir der Schmied noch lieber.« – »Liebe Tochter, deine zweite Ehe ist null und nichtig und heute noch heiratest du den Schmied.«[89]

Und so geschah es auch. Die Nacht brach an und der Schmied zeigte, dass er kein Kapaun sei.


(Gascogne).

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 84-90.
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