45. Der Arme und der Reiche

[132] Einst lebte ein reicher Mann, der schon seit langer Zeit einen Armen bei sich beschäftigte. – »Ich muss dich belohnen,« sagte eines Tages der Reiche. »Sage mir, was du willst.« – »Wenn du mir, lieber Herr, eine Kuh kaufen würdest, so würde mir die sehr wohl anstehen.« – Die Kuh wurde gekauft und der Arme erhielt sie. Drei Tage nachher ging der Reiche auf seine Wiesen und fand dort den Sohn des Armen, der hier die Kuh weiden liess. Damit war der Reiche nicht einverstanden. – »Wenn ich schon deinem Vater eine Kuh schenkte, so gab ich euch doch nicht das Recht, sie hier zu halten. Schau, dass du weiter kommst und komm nicht mehr her.« – Acht Tage später fand er die Kuh wieder dort. – »Diesesmal lasse ich nicht mehr Gnade für Recht ergehen. Ich werde deinen Vater zur Strafe für diesen Ungehorsam töten.« –

Am nächsten Tag suchte er wirklich den Armen in der Absicht, ihn zu töten, auf. Aber dieser war schlau. Er hatte sein Schwein gestochen, mit dem Blut seine Frau besudelt und ihr befohlen, sich ins Bett zu legen. Als der Reiche eintrat, sah er den Boden mit Blut bespritzt, das Bett mit Blut besudelt und die Frau unbeweglich darin liegen. – »Halt«, rief er, »hast du deine Frau getötet?« – »Ja. Sie war so bösartig, dass ich sie bestrafen musste. Ich habe sie für drei Tage getötet, am vierten wird sie wieder lebend.« – »Sie wird wieder lebendig? Da werde ich auch meine Frau für drei Tage töten.«

Auf eins, zwei war er zuhause und tötete seine Frau. Drei Tage später kam er wieder zum Armen. – »Du sagtest[132] mir, dass du deine Frau auf drei Tage getötet hättest und in der Tat sehe ich sie wieder lebend vor mir. Ich habe die meinige auch getötet, aber sie will nicht mehr lebendig werden.« – »Du bist halt nicht geschickt genug. Mit was wolltest du sie wiederbeleben?« – »Mit nichts. Ich wollte sie nur aufwecken, doch sie rührte sich nicht mehr.« – »Du hättest es eben anders machen sollen. Ich meinerseits verwende ein Horn dazu, mit dem ich in den Hintern meiner Frau blase. Es geht ihr, wie du siehst, sehr gut und sie hat sich vollkommen gebessert.« – »Wieviel willst du für das Horn haben?« – »Hundert Taler.« – »Hier sind sie. Gib mir das Horn.« – Der Arme übergab ihm das Horn, mit dem der Reiche heimkehrte und sein Glück versuchte. Doch die Frau rührte sich auch jetzt nicht.

Enttäuscht kehrte er zum Armen zurück und sah, wie dieser auf einen siedenden Kessel mit der Peitsche losschlug. – »Was machst du da?« – »Ich mache den Kessel sieden.« – »Mit Peitschenschlägen?« – »Ja. Da ich arm bin, muss ich sparen, soviel ich kann.« – »Und dein Kessel siedet auf diese Art ohne Feuer und Holz?« – »Du siehst es ja.« – »Und du verwendest dazu die nächstbeste Peitsche?« – »Aber nein. Nur diese Peitsche hat die Eigenschaft.« – »Wieviel willst du dafür?« – »Sie ist nicht verkäuflich. Aber dir überlasse ich sie, wenn du mir hundert Taler dafür gibst.« – »Hier sind sie. Gib mir die Peitsche.«

Der Reiche beglückwünschte sich am Wege, dass er nun so bedeutende Ersparnisse erzielen könne. Zuhause angekommen, rief er die Knechte zusammen und gab ihnen statt Holz die Peitsche, damit sie damit den Kessel zum Sieden brächten. Die Diener schlugen darauf los, aber der Kessel wurde nicht siedend. Der Reiche kehrte daher zum Armen zurück. – »Deine Peitsche ist nichts wert,« rief er. »Man hat den Kessel damit geschlagen, aber er siedet nicht.« – »Mit welcher Hand hat man losgeschlagen?« – »Mit der linken.« – »Da wundert es mich nicht, dass du keinen Erfolg hattest, denn man muss mit der rechten Hand zuschlagen.«

Der Reiche kehrte heim, berief die Diener neuerdings zu sich und gab ihnen Unterweisungen. Sie schlugen abwechselnd mit der rechten Hand, aber der Kessel kam nicht ins Sieden. Der Reiche war wütend auf den Armen, der sich über ihn lustig machte und ihm sein Geld erpresste. Er beschloss, ihn zu töten. Er befiehlt seinen Dienern, ihn zu[133] holen und zu den Schafen zu sperren. Am nächsten Tage soll er ertränkt werden. Die Diener führten den Befehl aus und als am Abend der Schäfer heimkehrte, fand er den Armen in seiner Hütte. – »Was machst du da?« frug ihn der Schäfer. – »Der Reiche liess mich hieherbringen, weil er behauptet, ich könne nicht besser beten als diese Schafe hier.« – »Aber ich kann es. Ich bete für alles, für die Schafe und dich. Geh fort.«

Der Arme entfernte sich, aber nicht allein. Während der Schäfer betete, trieb er die Schafe weg, die er am nächsten Tag am Markt teuer verkaufte. Drei Franken erhielt er für das Stück. Von diesem Gelde liess er sich ein schönes Schloss bauen. Als der Reiche eines Tages dorthin kam, frug er, wem dieses schöne Schloss gehöre. – »Mir, lieber Herr,« sprach der Bettler. – »Wer hätte je gedacht, dass du so reich würdest!« – »Erinnerst du dich, was du deinen Dienern befahlst, mit mir zu machen?« – »Ja. Ich befahl, dich ins Wasser zu werfen.« – »Das geschah und ich wurde reich dabei.« – »Wirklich? Dann will ich es auch versuchen.« – »Das liegt nur an dir, lieber Herr. Steige in diesen Sack.« – Der Reiche stieg hinein und der Sack wurde ins Wasser geworfen. Seither hat man den Reichen nie mehr gesehen.


(Basse-Normandie.)

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 132-134.
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