51. Der Müller und sein Herr

[149] Vier Jahre schon hatte der Müller seinem Herrn den Pachtzins nicht bezahlt, denn er war schrecklich arm. Als eines Tages der Herr von der Jagd zurückkehrte, war er schlecht gelaunt, da er nichts geschossen hatte und als er die Kuh des Müllers begegnete, legte er darauf an und tötete sie. Des Müllers Frau sah es und lief schreiend und jammernd ins Haus: »Ach, ach! Wir sind geschlagene Leute. Der Herr hat unsere Kuh getötet.« – Der Müller sagte nichts, war aber trotzdem sehr aufgebracht darüber. In der Nacht zog er der Kuh die Haut ab und ging dann nach Guincamp, um dort die Haut zu verkaufen.

Da es aber dorthin weit war und er schon zeitig dort sein wollte, so ging er um Mitternacht vom Hause weg. Als er einen Wald durchquerte, wo sich Diebe aufhielten, ergriff ihn Furcht und er kletterte auf einen Baum, um den Tag zu erwarten. Bald kam eine Schar Diebe unter diesen Baum,[149] um ihr Geld zu verteilen; aber über lauter streiten und zanken konnten sie sich nicht verständigen.

»Ach Gott, wenn ich nur dieses Geld hätte,« seufzte der Müller. Bei diesem Gedanken warf er die Haut auf die Diebe hinab, um sie zu erschrecken. Als diese die Hörner und das schwarze Fell, die Kuh war nämlich von schwarzer Farbe gewesen, sahen, glaubten sie, dass der Teufel gekommen wäre, sie abzuholen. Sie liefen daher unter Zurücklassung des Geldes eiligst davon. – »Mein Streich ist gelungen,« rief der Müller, stieg vom Baum herab, gab alles Geld in die Kuhhaut und eilte nach Hause. Den ganzen Tag über zählte er und seine Frau an dem Geld, aber sie konnten damit nicht fertig werden, denn es war zu viel. Am nächsten Tag befahl er seiner Frau, beim Herrn einen Scheffel zu holen, damit sie das Geld messen könnten. Die Frau ging zum Herrn und bat um den Scheffel. – »Zu was braucht ihr ihn denn?« frug sie der Herr. – »Zum Geld messen!« – »Zum Geld messen! Willst du dich über mich lustig machen?« – »Nein, nein. Ich habe die Wahrheit gesprochen. Kommt mit, dann könnt ihr es selbst sehen.«

Der Herr ging mit. Als er den Tisch mit Zweitalerstücken bedeckt sah, war er ganz erstaunt und sprach zum Müller: »Von wo hast du das Geld her?« – »Ich habe es zu Guincamp für die Haut meiner Kuh, die ich dort verkaufte, bekommen.« – »Für die Kuhhaut! Sind denn die Kuhhäute jetzt so teuer?« – »Ja, lieber Herr. Ihr habt mir übrigens dadurch, dass ihr meine Kuh getötet habt, einen grossen Dienst erwiesen.«

Der Herr eilte nach Hause, liess alle seine Kühe töten und ihnen die Haut abziehen. Am nächsten Morgen schickte er mit den Häuten, es war eine ganze Pferdeladung, einen Knecht in die Stadt und befahl ihm, für jede Haut einen Scheffel Silber zu verlangen. – Der Knecht begab sich mit den Häuten in die Stadt – »Wieviel kostet das Stück?« frug ihn ein Lohgerber. – »Einen Scheffel Silber, wie ich sagte.« – Und da er allen dieselbe Antwort gab, so wurden die Lohgerber zornig, prügelten ihn, warfen ihn aufs Pflaster und nahmen ihm schliesslich die Häute weg.

Als er nach Hause kam, frug ihn der Herr: »Wo ist das Geld?« – »Ach, ich habe nur Fusstritte und Stockschläge erhalten. Mein armer Körper ist ganz zerschlagen.« – »Da hat mich also der Müller getäuscht,« schrie zornig[150] der Herr. »Das macht nichts, ich werde es ihm schon zurückzahlen.«

Der Müller gab mit dem Fleisch der getöteten Kuh ein kleines Gastmahl und befahl seiner Frau, auch den Herrn dazu einzuladen. Die Müllerin lud ihn ein. – »Wie kannst du es wagen, dich in meinem Hause nochmals über mich lustig zu machen?« schrie er. – »Aber, lieber Herr, weder ich, noch mein Mann wagen es, uns über euch lustig zu machen.« – »Ist schon gut. Ich werde kommen und mit dem Müller selbst sprechen. Dieser denkt wohl, schlauer zu sein als ich.«

Der Herr kam in die Mühle zum Essen. Es gab da Gedämpftes, Speck, Braten, Cider und selbst Wein. Am Ende der Mahlzeit als die Köpfe schon erhitzt waren, sprach der Müller zum Herrn: »Jedermann weiss, dass ihr schlau seid, aber dennoch wette ich mit euch, dass ihr das, was ich nun machen werde, nicht zustande bringt.« – »Was ist das?« – »Ich töte vor allen Anwesenden meine Frau und rufe sie mit meiner Violine wieder ins Leben zurück.« – »Ich wette um zwanzig Taler, dass du das nicht zuwege bringst.« – »Um zwanzig Taler mache ich es.« – »Nun, wir werden ja sehen,« sprachen die Anwesenden.

Der Müller nahm ein Messer, sprang auf seine Frau los und tat so, als ob er ihr den Hals abschneiden möchte. Aber er schnitt nur einen mit Blut gefüllten Sehlauch auf, den sie um den Hals hatte. Der Herr war ebenso wie die andern höchlichst erschreckt, als er das Blut fliessen sah. Die Frau fiel zur Erde und stellte sich tot. Der Müller aber nahm seine Violine und spielte. Bald erhob sich die Frau und begann wie närrisch zu tanzen. Sie spielte ihre Rolle so gut, dass der Herr offenen Mundes dastand.

»Gib mir deine Geige,« rief er dem Müller zu, »und ich überlasse dir die Mühle auf zwei Jahre ohne Pacht.« – Der Handel wurde geschlossen. Der Herr lief mit seiner Violine höchlichst zufrieden nach Hause. »Meine Frau,« dachte er sich am Wege, »ist schon etwas alt, vielleicht kann ich sie jünger machen.« – Als er nach Hause kam, fand er seine Frau schlafend im Bette. – »Das ist gut,« rief er, »so weiss sie wenigstens nichts davon.« – Er holte aus der Küche ein Messer und schnitt ihr den Hals durch. Dann begann er auf der Geige zu spielen, aber er konnte lange fiedeln; die gute Frau rührte sich nicht und tanzte nicht.[151] Sie war tot. – »Der Müller ist doch dumm,« rief der Herr, »dass er mich meine Frau töten lässt. Ich kann jetzt noch solange auf meiner Geige spielen, das Leben kehrt ihr nicht wieder. Er muss mir etwas zu sagen vergessen haben. Ich eile rasch zu ihm.«

Er lief in die Mühle. Als er dort ankam, sah er den Müller in Hemdärmeln mit einer Peitsche auf einen Kessel, der inmitten des Hofes stand und mit siedenden Wasser gefüllt war, hatte man ihn doch soeben vom Feuer genommen, losschlagen. Er sah dem Müller offenen Mundes zu und vergass auf seine Frau.

»Was machst du da, lieber Müller?« – »Ich mache die Suppe kochend. Kommt schnell, seht, wie es kocht.« – Der Herr kam herzu und sah in den Kessel: »Wahrhaftig! Hast du mit deiner Peitsche das Sieden bewirkt?« – »Ja, lieber Herr. Das Holz ist teuer und würde mir zu hoch kommen.« – »Gib mir deine Peitsche, ich überlasse dir die Mühle dafür auf zwei weitere Jahre ohne Pacht.« – »Da habt ihr sie!«

Der Herr ging heim. Am Wege dachte er sich: »Nun lasse ich mein ganzes Holz fällen und ich verkaufe es.« So geschah es auch. – »Herr, ich habe nicht ein Stück Holz im Haus,« sagte eines Samstag Abends die Köchin zu ihm. »Mit was soll ich nun kochen?« – »Ich werde es schon machen, beunruhige dich nicht weiter.« – Am nächsten Tag, einen Sonntag, befahl er allen seinen Dienstleuten, sowohl Knechten als Mägden ins Hochamt zu gehen. Nur Johann, den Oberknecht, nahm er aus, der bei ihm zu Hause bleiben musste. – »Wer wird das Mittagessen zubereiten?« frug die Köchin. – »Habt keine Angst, geht nur alle.«

Die Dienstleute zogen ab und der Herr befahl Johann den grossen Kessel in der Mitte des Hofes aufzustellen und ihn mit Wasser anzufüllen. Dann gab er Speck, gesalzenes Fleisch, Kohl, Rüben, Salz, Pfeffer und alles das, was zu einer Suppe nötig ist, hinein. Hierauf zog er seinen Rock aus, nahm die Peitsche des Müllers und begann, auf den Kessel loszuschlagen. Trotz seines Schlagens blieb das Wasser kalt.

»Was treibt ihr denn da, Herr?« frug erstaunt Johann. – »Schweig, Dummkopf, du wirst es gleich sehen.« – Aus Leibeskräften schlug er wieder hin. Von Zeit zu Zeit steckte er einen Finger in den Kessel, aber das Wasser blieb kalt. Endlich hielt er ermüdet inne und rief: »Gewiss hat mir der[152] Müller wieder einen Streich gespielt.« – »Er machte sich sicher wieder über euch lustig, Herr,« antwortete Johann. – »Das macht nichts, aber er muss sterben.« – »Herr, Hiebe mit der Peitsche, glaube ich wenigstens, würden genügen.« – Nein, nein, er muss sterben. Mich für einen Narren halten, das ist doch arg. Eilen wir zur Mühle, nimm aber einen Sack mit. Da wird er hineingesteckt und in den Teich geworfen. Er soll ertrinken.

Johann nahm einen Sack und ging mit seinem Herrn zur Mühle. Der Müller wurde in den Sack gesteckt, auf das Mühlpferd geladen und zum Teich, der nicht weit weg war, gebracht. Am Wege sahen sie jedoch einen Händler nahen, der mit drei mit Waren beladenen Pferden zum Markt nach Guincamp zog. Der Herr begann sich zu fürchten. – »Verstecken wir uns hinter der Böschung, bis der Händler vorüber ist.«

Sie sprangen über den Graben, den Müller im Sacke lehnten sie jedoch an die Böschung. Als dieser das Geräusch hörte, das die Pferde hervorriefen, schrie er: »Nein, ich nehme sie nicht! Nein, ich nehme sie nicht!« – Der erstaunte Kaufmann näherte sich: »Was soll das heissen?« – Der Müller schrie aber noch immer: »Nein, ich nehme sie nicht! Nein, ich nehme sie nicht!« – »Was nimmst du nicht?« frug der Händler. – »Die einzige Tochter eines reichen Herrn, die ihr Vater an mich verheiraten will.« – »Ist sie wirklich reich?« – »Ja, riesig reich.« – »Dann werde ich sie nehmen.« »Schnell, schnell! Verfüge dich an meinen Platz.« – Der Händler stieg in den Sack und der Müller verband ihn gut. Dann nahm er die Peitsche und zog mit den drei beladenen Pferden nach Guincamp weiter.

Als er weg war, kehrten der Herr und Johann zum Sack zurück. – »Ich nehme sie! Ich nehme sie!« schrie der Händler aus dem Sack. – »Was nimmst du?« frug der Herr. – »Deine Tochter, lieber Herr.« – »So! Suche sie dir am Grund des Teiches.« – Der Händler wurde in den Teich geworfen und seit der Zeit hat man von ihm nichts mehr gehört.

Am folgenden Tag gingen der Herr und Johann nach Guincamp zum Markt. Als sie sich die schönen Verkaufsstände ansahen, waren sie nicht wenig erstaunt, dort auch den Müller zu sehen, der Goldschmiedarbeiten feilbot. – »Wie,« rief der Herr, »du bist hier?« – »Ja, gewiss. Ihr[153] wollt mir sicherlich etwas abkaufen, nicht wahr?« – »Bist du denn nicht im Teich verblieben?« – »Nein, wie ihr seht; ich befand mich nicht wohl dort, aber trotzdem muss ich euch dafür danken, denn ich habe alle die schönen Sachen, die ihr hier seht, von dort mitgebracht.« – »Wirklich?« – »Gewiss. Ich bedauere nur, dass ihr mich, nicht weiter hinein geworfen habt, denn da würde ich zu jener Stelle gekommen sein, wo es nur Goldsachen gibt.« – »Wirklich?« – »Gewiss.« – »Und ist das Gold noch dort?« – »Ich denke schon; doch müsst ihr euch beeilen, wenn ihr es noch sehen wollt.«

Herr und Knecht eilten zum Teich. Johann sprang als erster hinein und da er gross war, so sah gerade noch seine Hand aus dem Wasser, mit der er, da er nicht schwimmen konnte, sich Hilfe erbat. – »Halt,« rief der Herr, »er macht mir ein Zeichen, dass ich noch weiter hineinspringen soll. Unzweifelhaft hat er das Gold nicht erreicht.« – Er nahm sich einen Anlauf und sprang so weit, als er konnte. – Und seit der Zeit hat man nichts mehr gehört von ihm.

Das ist die Geschichte vom Müller und seinem Herrn.


(Basse-Bretagne.)

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 149-154.
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