62. Die sechs Genossen

[180] Sechs Bauern fanden sich eines abends zusammen. – »Ich wünsche schon lange«, sagte der Eine, »das Meer zu sehen. Bisher hat sich mein Wunsch noch nicht erfüllt. Wollt ihr morgen mit mir gehen, die ungeheuere Wassermasse, von der man so viel wunderbares berichtet, anzusehen?« – Alle waren damit einverstanden und so machten sie sich am nächsten Tag auf den Weg. Bald sahen sie ein grosses Getreidefeld vor sich, in dem der Wind spielte, sodass es dem bewegten Ozean glich.[180]

»Das Meer! Das Meer!« schrien alle sechse zugleich, die sich platt auf den Bauch warfen, um zu schwimmen.

Da kamen sie zu einem tiefen Brunnen. Da sie fürchteten, dass einer in den Strudel gestürzt sei, so zählten sie sich ab. »Eins, zwei, drei, vier, fünf«, sprach der Eine, auf sich selbst vergass er aber. »Es muss doch einer im Brunnen sein. Was sollen wir machen? Ich werde rufen. He, Thomas, bist du unten?« – Sie glaubten die Worte: »Ja, ja« zu vernehmen. Um auf den Grund des Brunnens zu kommen, legten sie einen Stock quer über die Öffnung. Jakob, der stärkste, hängte sich an den Stock, der zweite an seine Füsse und so weiter.

»Siehst du ihn schon?« schrie Jakob. »Meine Kräfte lassen nach.« – »Ich sehe ihn noch nicht.« – »Ich kann mich nicht mehr halten. Ich will in meine Hände spucken, haltet euch einstweilen.« – Der Bauer samt seinen Gefährten fiel ins schlammige Wasser und wurde nicht mehr gesehen.


(Somme.)

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 180-181.
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