67. Johanna und Brimboriau

[188] Ein Bettler ging in einem Dorfe von Haus zu Haus und klopfte auch an der Türe eines Hauses an, in dem Brimboriau mit seiner Gattin, Johanna, wohnte. Letztere, die allein zu Hause war, öffnete: »Was willst du?« – »Ein Stück Brot.« – »Wohin gehst du?« – »Ins Paradies.« – »So! Könntest du da einen Laib Brot und Lebensmittel für meine Schwester, die schon lange im Paradies ist, mitnehmen, denn ihr mangelt es an allem? Wenn ich ihr noch Kleider mitschicken könnte, wäre es mir sehr angenehm.« – »Diesen Dienst leiste ich dir gerne,« erwiderte der Bettler. »Ich kann jedoch nicht alles tragen und habe daher ein Pferd nötig.« – »Wenn du sonst nichts willst. Du kannst dir ja unser Pferd nehmen, wenn du es wieder zurückbringst. Wie lange wirst du ausbleiben?« – »In drei Tagen bin ich wieder zurück.«

Der Bettler bestieg das Pferd und ritt, mit Kleidern und Nahrungsmitteln bepackt, davon. Bald hernach kam Brimboriau heim. »Wo ist unsere Stute Finette?« frug er. – »Beunruhige dich nicht,« entgegnete die Frau, »gerade war ein guter Mann hier, der ins Paradies reist. Ich habe ihm Finette geliehen, dass er meiner Schwester Kleider und Nahrungsmittel, an denen sie grossen Mangel leidet, mitbringen kann. In drei Tagen kommt er wieder zurück.«

Brimboriau war damit nicht zufrieden, doch wartete er dennoch drei Tage ab. Als aber der Mann mit der Stute nicht zurückkehrte, befahl er seiner Frau, sich mit ihm auf die Suche zu machen. Als sie zu einem Ort kamen, wo man ein Pferd eingegraben hatte, von dem jedoch noch ein Bein aus der Erde hervorlugte, rief Johanna ihrem Mann zu: »Komm rasch her, Finette kommt aus dem Paradies zurück« Brimboriau lief rasch herzu, als er jedoch den Sachverhalt sah, wurde er wütend.

Unterdessen kamen Diebe herbei und führten Brimboriau und seine Frau mit sich. Die armen Leute entflohen und[188] nahmen eine Türe mit, welche die Räuber aus einem Haus herausgerissen hatten. Als es dunkel wurde, stiegen beide auf einen Baum, um dort die Nacht zu verbringen. Brimboriau nahm die Türe auch auf den Baum mit. Der Zufall wollte es, dass bald danach auch die Diebe zum Baum kamen, um ihr Geld zu zählen. Während sie unter dem Baum sassen, liess Brimboriau die Türe hinabfallen. Die Diebe erschracken und schrien: »Gott straft uns!« Sie flohen, liessen aber das Geld zurück. Brimboriau raffte es zusammen und sprach zu seiner Frau: »Wir haben nicht mehr nötig, Finette zu suchen, denn wir haben nun genug, um sie ersetzen zu können.«


(Lorraine.)

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 188-189.
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