Wie ein Schotte durch ein Mittel, das ihm seine Wirtin angegeben hatte, vom Bauchweh geheilt wurde

[216] Vor noch nicht langer Zeit diente ein Schotte in der Garde des Königs von Frankreich. Er hatte von Jugend auf ein wenig an der Wissenschaft genascht, zumal da er sah, daß der König die gelehrten Leute vorzog und andererseits erwog, daß er während seiner dienstfreien Zeit reichlich Gelegenheit habe, seine Studien zu betreiben. Er suchte sich also eine Wohnung bei einer biederen Witwe und quartierte sich dort für einige Zeit ein.

Eines Tages fühlte er sich unwohl, und da er nicht hinreichend Sprachkenntnisse besaß, um sich jemand anderem gegenüber verständlich zu machen, so gedachte er, seine Wirtin um einen Rat gegen sein Leiden zu bitten und sagte zu ihr: »Madame, mich haben groß Übel an meinem Nabel!« Seine Wirtin merkte, daß er sagen wolle, sein Bauch tue ihm weh, und daß er sie um ihre Ansicht fragen wolle, wie er rasche Erleichterung finden könne. Sie sagte zu ihm, er müsse zum[216] heiligen Eutrop beten, welcher, wie man sage, von diesem Übel heile. Der Schotte verstand sie, und da er fühlte, daß sein Bauch sich verschlimmerte, so wollte er den Rat seiner Wirtin nicht verachten, sondern ging in die nächstbeste Kirche und begann dermaßen dringend zu beten und zu bitten, daß die, welche ihn hörten, glaubten, der Heilige müsse sich ihm bald offenbaren. Während er in solche Betrachtungen versunken war, hatte sich zufällig ein Spitzbube hinter dem Bildnis des heiligen Eutrop versteckt und beobachtete das Gebaren der Kommenden und Gehenden. Als er die Grimassen bemerkte, die dieser Schotte schnitt, rief er laut: »So lauf doch, lauf zu Johann von Schottland und seinem Anhang!« Der Schotte verstand diese grob herausgeschleuderten Worte und glaubte, irgendein Spitzbube wolle ihn in seiner Andacht stören. Er nahm dieserhalb seinen Pfeil und seinen Bogen, beobachtete, von welchem Ort die Stimme, die er gehört hatte, ausgegangen sein könne, und schoß die Statue des Heiligen rasibus um. Der Spitzbube, welcher dahinter war, fürchtete, der Schotte möge seinen Schuß wiederholen und stieg eilends von der Leiter, auf welcher er stand, herab. Dabei verursachte er jedoch ein Geräusch; der Schotte glaubte, es sei der Heilige und machte sich auf seine Verfolgung, um ihn für die zugefügte Beleidigung zu strafen. Darüber geriet er in solche Aufregung, daß sich sein Übel sogleich verlor, und seitdem hatte er kein Bauchweh mehr.

Quelle:
Tegethoff, Ernst: Französische Volksmärchen. 2 Bände. Jena: Eugen Diederichs, 1923, S. 216-217.
Lizenz:
Kategorien: