Der Bauer als Arzt

[189] War einst ein reicher Bauer, doch von niedrigem und habgierigem Wesen. Er besaß Wein, Brot und Fleisch und alles, was man zum Leben braucht, doch tadelten seine Freunde, daß er unbeweibt sei. Er beschloß also, die erstbeste zu heiraten, und jene versprachen, ihm eine gute Partie zu verschaffen.

Es lebte im Lande ein Ritter, ein alter verwitweter Mann, der hatte eine schöne und wohlgebildete Tochter, die aber ihrer Armut wegen niemanden fand, der um ihre Hand gebeten hätte. Zu diesem Ritter gingen die Gesippen des Bauern und baten ihn für jenen, der an Hab und Gut reich sei, um seine Tochter. Der alte Mann war mit der Heirat einverstanden und die verständige Jungfrau wagte ihrem Vater nicht zu widersprechen. Die Hochzeit fand also bald darauf statt.[189]

Aber bald überlegte sich der Bauer, daß er schlecht gefahren sei, eine Ritterstochter paßte nun einmal nicht zu seinem Handwerk. Wenn er aus dem Hause gehen würde, so dachte er bei sich, dann würde der Kaplan kommen und ihm seine Frau abspenstig machen wollen, wenn er auf dem Acker sei, dann würde irgendein junger Laffe auf der Straße warten, und die beiden würden ihre Lust miteinander haben. Kurz, er wußte sich keinen Rat mehr und bereute die schnelle Heirat. Schließlich fiel ihm etwas ein, das ihn vor Schaden bewahren könne: »Ich werde sie prügeln,« sagte er bei sich, »sobald ich mich am Morgen erhebe, dann wird sie den ganzen Tag weinen, aber das stört mich nicht, weil ich an meine Arbeit gehe. Solange sie aber weint, wird sich niemand um ihre Gunst bewerben. Abends, wenn ich heimkomme, werde ich sie um Verzeihung bitten und wieder froh machen.« Am anderen Morgen ließ er sich also von seiner Frau Brot, Eier und Käse auftragen, und als das Essen abgeräumt war, schlug er sie so gottsjämmerlich ins Gesicht, daß man die Spuren seiner Finger auf ihren Wangen sah. Nach dieser Tat ging er geschwind aufs Feld und die Arme blieb in Tränen zurück. »Ach, was soll ich tun«, klagte sie, »mein Vater hat mich verraten, als er mich diesem Flegel gab. Ach, warum starb meine Mutter so früh?« Den ganzen Tag über blieb sie untröstlich, und alle Leute, die kommen wollten sie zu besuchen, kehrten wieder um. Ihre Tränen flossen, bis die Sonne unterging. Da kam der Bauer heim, fiel vor seiner Frau auf die Knie und bat sie um Vergebung. »Ich versichere Euch, daß ich Euch nie wieder schlagen werde. Der böse Feind verführte mich dazu!« Die Dame verzieh ihm schließlich und gab ihm sein Abendessen, darauf gingen sie in Frieden zu Bett.

Andern Tags ging der Bauer wieder auf den Acker, nachdem er zuvor seiner Frau einen derben Schlag versetzt und sie an den Haaren gezogen hatte. »Ach, er weiß nicht, wie Schläge tun,« klagte sie, »sonst würde er mich nicht so prügeln!«[190]

Während sie so jammerte, siehe, da kamen zwei Boten des Königs auf weißen Zeltern herangeritten und baten die Frau um ein wenig Speise. Sie gab ihnen gern, was sie hatte und fragte sie sodann: »Woher, ihr Herren, und wohin? Sagt mir, wen ihr sucht!« Der eine erwiderte: »Frau, wir sind Boten des Königs, ausgesandt, um einen Arzt zu suchen?« »Warum?« »Fräulein Ada, die Königstochter, ist krank, schon seit acht Tagen hat sie nichts gegessen noch getrunken, denn eine Fischgräte blieb ihr in der Kehle stecken. Der König ist außer sich über ihr zu befürchtendes Ableben.« Die Dame sprach: »Wenn ihr einen Arzt sucht, so braucht ihr nicht weit zu gehen, denn mein Gatte versteht von der Heilkunst mehr als der selige Hippokrates.« »Frau, spottet Ihr?« »Durchaus nicht! Aber es ist seine Gewohnheit, daß er nichts tut, wenn man ihn nicht zuvor durchbläut.« Die Boten spornten ihre Rosse und suchten den Bauern auf. »Kommt sogleich zum König!« entboten sie ihm. »Warum?« »Um Eure Kunst auszuüben. Es gibt auf der weiten Erde keinen so guten Arzt wie Ihr seid und wir kommen aus der Ferne her, Euch zu suchen.« Als der Bauer diese Worte vernahm, zweifelte er am Verstand dieser Leute und stammelte, er verstehe davon nicht das geringste. »Worauf warten wir noch?« sagte der eine Bote zum anderen, »du hast gehört, daß er geschlagen sein will, ehe er seine Kunst ausübt.« Der eine schlug ihn also ins Gesicht und der andere mit einem dicken Stock über den Rücken. Sie taten ihm allen möglichen Schimpf an und schleppten ihn dann vor den König. »Habt ihr nichts gefunden?« fragte dieser. »Doch, Herr!« sprachen beide zugleich und der Bauer zitterte vor Angst. Sie erzählten dem König die guten Eigenschaften, die der Bauer habe, doch sei er eigensinnig und stiernackig, denn er täte nichts, um was man ihn bitte, außer man bläue ihn zuvor. »Meister,« sagte der König zu unserem Helden, »ich werde meine Tochter holen lassen, damit du an ihr deine Kunst, deren sie dringend bedarf, ausübst.« Der Bauer bat um Gnade: »Herr, beim wahren Gott, ich verstehe nichts von[191] der Heilkunst!« »Das wundert mich,« sprach der König, »prügelt ihn!« Die Diener sprangen auf den Armen zu und erfüllten mit Wollust den Befehl ihres Herrn. Als der Bauer die Schläge spürte, winselte er: »Ich will sie augenblicklich heilen!« Die bleiche Jungfrau wurde in den Saal geführt, und der Bauer dachte nach, wie er es anstellen solle, sie zu kurieren, denn er wußte wohl, daß man ihn töten würde, wenn ihm die Heilung nicht gelänge. Er sprach also zum König: »Macht mir ein Feuer an einem abgelegenen Ort, dann sollt Ihr sehen, was ich tue, und wenn es Gott gefällt, werde ich sie heilen.« Der König ließ sogleich ein Feuer anzünden und die Jungfrau setzte sich neben die Glut auf einen Sessel. Der Bauer aber setzte sich auf den Boden neben die Flammen, zog sich nackt aus und begann mit seinen langen Nägeln seine lederne Haut allerorts zu kratzen und zu krallen. Dabei fuchtelte er so spaßig mit seinen dürren Spinnenarmen herum und verzog so drollig sein Gesicht, daß die Prinzessin lachen mußte, und dieses Lachen veranlaßte, daß ihr die Gräte aus dem Munde flog. Der Bauer zog sich sogleich wieder an, ergriff die Gräte und zeigte sie dem König: »Herr, mit Gottes Hilfe habe ich Eure Tochter geheilt! Seht hier die Gräte!« Der König freute sich gewaltig darüber und sprach: »Du bist mir über alles wert! Du sollst Gold und Kleider haben!« »Danke, Herr, davon will ich nichts, ich will nur schleunigst heim!« »Das sollst du nicht, du sollst mein Leibmedikus und Berater sein.« »Gnade, Herr, in meinem Hause war kein Brot, als ich heute früh fortging; ich muß Mehl zur Mühle bringen!« Der König rief zwei Burschen: »Haut ihn, damit er bleibt!« Als der Bauer die Schläge an Armen, Beinen und Schultern fühlte, bettelte er um Erbarmen: »Ich bleibe ja schon, laßt mich nur in Frieden!« Der Bauer mußte also am Hofe bleiben, wurde geschoren und rasiert und bekam ein Scharlachgewand.

Zur Genesung der Tochter veranstaltete der König ein großes Fest, zu welchem alle Kranken des Landes erschienen. Jeder erzählte seine Leiden und der König rief den Bauer:[192] »Meister, hörst du? Nimm dich dieser Leute an und heile sie mir sogleich!« »Gnade, Herr, es sind ihrer zu viele, ich kann sie nicht alle auf einmal heilen!« Der König winkte den zwei Burschen, welche sogleich ihre Stöcke ergriffen, denn sie wußten schon, was sie sollten. Als der Bauer sie kommen sah, zitterte er: »Gnade, ich werde sie unverzüglich heilen!« Der Bauer ließ wieder Brennholz bringen und ein großes Feuer im Saal entzünden. Um den Brand versammelte er die Kranken und sprach zum König: »Herr, Ihr geht herunter, und ebenso alle, denen nichts fehlt.« Nachdem der König mit seinem Gefolge den Saal verlassen hatte, sprach der Bauer zu den Kranken: »Bei Gott, ihr Herren, es ist eine große Kunst, euch alle zu heilen. Ich werde nun denjenigen von euch, der am ärgsten krank ist, aussuchen und in diesem Feuer zu Asche verbrennen. Davon werden alle andern Kranken Nutzen haben, denn wer von seiner Asche genießt, wird auf der Stelle geheilt werden.« Da schaute der eine Kranke den andern an, und es gab keinen Buckligen und Wassersüchtigen, der zugegeben hätte, er habe die ärgere Krankheit. Der Bauer sagte zum ersten besten: »Ich sehe, daß du sehr schwach bist, du bist zweifellos der Kränkste von allen!« »Gnade, Herr, ich bin ganz gesund, ich fühle mich von langem Leiden vollkommen geheilt!« »Dann geh herunter, was suchst du hier noch?« Der nahm sogleich die Türe in die Hand und verschwand. »Bist du geheilt?« fragte ihn der König. »Ja, Herr, Gott sei Dank und Dank Eurem Meister bin ich so gesund wie ein roter Apfel am Baum.« Was soll ich weiter erzählen? Keiner wollte ins Feuer geworfen werden, und alle machten sich davon, gleich als ob sie geheilt wären. Der König freute sich gar sehr und sagte zu seinem Arzt: »Lieber Meister, ich wundere mich, daß du die Kranken so schnell kuriert hast.« »Herr, ich habe sie behext. Ich kenne ein Zaubermittel, stärker als Ingwer und Zitrouan.« Der König sprach: »Geh nun heim, wenn du willst, und nimm von meinem Gold, meinen Rossen und Hunden soviel dir beliebt, und wenn ich dich wieder holen[193] lasse, so wirst du meinen Willen tun und mir ein guter Berater bleiben, den ich am meisten wert halte von allen Leuten dieses Landes.« »Danke, Herr,« erwiderte der Bauer, »ich bin früh und spät Euer Knecht und will es immer bleiben.« Er verabschiedete sich vom König und kam vergnügt heim. Aber auf seinen Acker brauchte er nicht mehr zu gehen, denn er hatte Geld genug, und seine Frau schlug er auch nicht mehr, sondern liebte sie und achtete sie.

Quelle:
Tegethoff, Ernst: Französische Volksmärchen. 2 Bände. Jena: Eugen Diederichs, 1923, S. 189-194.
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