24. Die Pomeranzen

[101] Es war einmal ein König, der hatte eine Tochter, und die war krank. Nun hatte sie ein Gelüste nach Pomeranzen, es gab aber keine weit und breit im ganzen Lande. Sonntags nach der Messe ließ der König durch einen Trommler ausrufen, daß der, welcher seiner Tochter Pomeranzen brächte, sie zur Frau bekommen sollte. Da war nun ein Bauersmann, der in der Messe gewesen war und solches gehört hatte. Er hatte aber drei Söhne, dieser Bauersmann. »Wenn ich nur Pomeranzen bekommen könnte,« sagte er zu sich selber, »damit einer meiner Söhne sie heiraten würde; wie glücklich wäre ich darüber!« Als er heimkam, fand er einen Pomeranzenbaum, der war ganz voll Pomeranzen. Er ließ seine Söhne rufen und sprach zum Ältesten: »Da sind sechs Pomeranzen; die wirst du der Königstochter bringen!« Er wickelte ihm die sechs Pomeranzen ein und legte sie in einen Korb.

Der Bursch mußte durch einen Wald, um in das Gebiet des Königs zu gelangen. Als er mitten im Walde war, begegnete er einer kleinen guten Frau. Sie sagte zu ihm: »Was habt Ihr denn in Eurem Korbe?« Darauf antwortet er ihr sehr ungezogen: »Geht das Euch etwas an?« Sie sagt: »Ja, ich möchte es wissen!« »Nun ja,« sagt er zu ihr, »ich habe einen Scheißdreck!« Da entgegnete ihm die gute Frau: »Scheißdreck soll es sein!« Und die Pomeranzen haben sich in Scheißdreck verwandelt. Als er ins Schloß gekommen ist, hat er gesagt, er bringe Pomeranzen für die Prinzessin. Da hat man seinen Korb geöffnet und hat Dreck darin gefunden. Darüber haben die Leute, die dort waren, eine große Wut auf ihn bekommen und haben ihn binden und einsperren lassen.

Als der Vater sah, daß sein Sohn nicht wiederkam, wurde[101] er unruhig und sprach zum andern: »Also du, hier sind zwölf Pomeranzen; geh und schau, was dein Bruder macht!« Und als der Bursch in den Wald kam, begegnete er wieder der nämlichen kleinen guten Frau. Sie sagt zu ihm: »Was habt Ihr denn da in Eurem Korb, mein Freund?« Er sagt zu ihr: »Aber geht das Euch etwas an?« Darauf sie: »Aber ich möchte es wissen!« Er erwidert: »Es sind Eselsohren darin!« Da sprach sie: »Eselsohren sollen es sein!« Am Morgen kommt er mit seinen tappigen Holzschuhen ins Schloß zur Königstochter. Man fängt an: »Was bringt uns denn der schon wieder?« Er antwortet: »Ich bringe Pomeranzen für die Prinzessin!« Man öffnete den Korb: große Eselsohren waren darin. Darüber sind sie wieder in große Wut geraten und haben ihn genau so eingesperrt.

Darauf hat es den Vater verdrossen, daß seine Söhne gar nicht zurückkommen, und er hat zu seinem Jüngsten gesagt: »Was soll das nun heißen, daß sie nicht wiederkommen?« Darauf hat jener gesagt: »Vater, wenn ich ginge, vielleicht hätte ich mehr Glück!« Da sprach der Vater, welcher diesen Sohn nicht sehr liebte, zu ihm: »Du! Du glaubst immer, daß du es besser kannst wie die andern!« und später: »Nun ja, es ist gut, hier sind drei Pomeranzen; geh hin, wenn du willst!« Der Junge ist sehr zufrieden und geht. Auch ihm begegnet die kleine gute Frau. Sie sagt zu ihm: »Wohin geht Ihr so vergnügt, mein Freund?« Darauf antwortet er ihr: »Frau, ich will der Königstochter diese Pomeranzen bringen!« Sie sagt zu ihm: »Mein Freund, weil du so höflich bist, will ich dir sagen, wie du es machen mußt. Du bist nur ein Bauer; du weißt nicht, wie du es anstellen mußt, um zum Ziel zu kommen. Zunächst hat die Tochter des Königs einen Liebhaber, den sie lieber hat als dich; sie wird nichts von einem Bauern wissen wollen.« Dann sagt sie zu ihm: »Da sind drei Dinge: eine kleine Pfeife, eine Ahle und ein kleines Messerchen und hier ein kleines Stäbchen. Wenn du in Not bist, so sagst du: ›Kraft meines kleinen Stäbchens, wenn nur meine kleine gute Frau da wäre!‹« Sie sagt:[102] »Dann werde ich zu dir kommen und dir aus der Not helfen!« Nun geht er sehr zufrieden weiter. Er kommt in das Reich des Königs. Man fragt ihn, was er auch noch habe; ob es wieder so häßliche Dinge wären? Da meint er: nein, er habe Pomeranzen; man öffnete seinen Korb, es war ein ganzes Dutzend darin, die schönsten Pomeranzen, die man auftreiben konnte. Er selber war sehr erstaunt, da er nur drei zu haben glaubte. Man führt ihn zum König. Man stellt ihn der Königstochter vor, welche ein schiefes Gesicht macht, als sie ihn sieht. Dann sagt der König zu ihm: »Du mußt mir drei Aufgaben lösen, ehe du meine Tochter bekommst. Hier sind hundert Hasen, du mußt sie hüten gehen, aber: heute abend darf kein einziger fehlen!« Nun ist er mit seinen Hasen fort. Alle Hasen machen sich nach rechts und links davon; er konnte sie nicht dazu bringen, wiederzukommen. Er nimmt sein Stäbchen und murmelt: »Kraft meines kleinen Stäbchens, wenn nur meine kleine gute Frau da wäre!« Die kleine gute Frau erscheint und redet ihn an: »Höre, mein Freund, du mußt auf deiner Pfeife blasen und all deine Hasen werden zurückkommen. Aber eines: der Liebhaber der Königstochter wird kommen und dich um einen bitten, weil er gern möchte, daß du einen verlierst. Du mußt ihm sagen: ›Ich will Euch gern einen geben, aber unter der Bedingung, daß ich Euch dreimal die Ahle in den Hintern hineintreiben darf.‹ Und dann wirst du einen Pfiff tun und dein Hase wird zurückkommen. Dann wird der König kommen, um dich seinerseits um einen zu bitten. Du mußt ihm sagen: ›Ich will Euch gern einen geben, aber unter der Bedingung, daß ich Euch einen Zipfel vom Ohr abschneiden darf.‹ Schließlich wird die Königstochter selber kommen, einen zu erbitten. Du mußt ihr sagen: ›Ich will Euch gern einen geben, aber unter der Bedingung, daß ich Euch umarmen darf.‹ Für ein Fräulein wie sie wird das recht schimpflich sein, aber, damit du einen Hasen verlierst, wird sie schon einverstanden sein.«

Abends geht er ins Schloß mit all seinen Hasen. Der König sagt ihm, er habe einen weniger, die Prinzessin sagt[103] ihm, er habe einen weniger, der Liebhaber desgleichen. Darauf zählt er sie ihnen vor und die Rechnung stimmt trotzdem. Jetzt sagt der König: »Was ist zu tun, um ihn zu erwischen? Ich muß ihn erwischen!« Er läßt ihn auf einen Speicher steigen, dort gab es Korn, Hafer und alle Arten von Getreide durcheinander gemengt. Er sagt zu ihm: »Dies alles siehst du. Gut. Heute abend muß alles ausgelesen sein, alles in Ordnung gebracht, jedes auf seinem Platz.« O weh! Der andere sagt: »Das ist sehr schwierig, aber man muß schließlich einen Versuch machen.« Und dann: »Kraft meines kleinen Stäbchens, wenn nur meine kleine gute Frau da wäre!« Die kleine gute Frau kommt und sagt: »Mutter der Ameisen, steige in meine Tasche! Mutter der Ameisen, steige aus meiner Tasche!« Da ist alles in Ordnung gebracht gewesen, jedes, wo es hingehörte. Am Abend steigt der König hinauf und ist ganz verwundert gewesen. Er sagt: »Was muß man tun, um ihn zu erwischen?« Und dann: »Jetzt wirst du mir einen Sack mit Wahrheiten füllen; das ist die letzte Aufgabe, die du zu erfüllen hast!« Nun sagt jener: »Was soll das sein, ein Sack Wahrheiten?« Er murmelt wieder: »Kraft meines kleinen Stäbchens, wenn nur meine kleine gute Frau da wäre!« Da sprach die gute Frau zu ihm: »Du weißt den Tag, da du die Hasen hütetest; du mußt ihnen vor aller Welt erzählen, was du mit ihnen gemacht hast, das sind die Wahrheiten. Du mußt dem König zuletzt erzählen, was du mit ihm gemacht hast; er wird nicht wollen, daß du es offenbar machst, und er wird dir seine Tochter geben.« Später sagt er: »Gnädiger Herr, ich werde Euch einen Sack mit Wahrheiten füllen! Liebhaber der Königstochter, seid Ihr nicht gekommen, mich um einen Hasen zu bitten, und habe ich Euch nicht drei Ahlenstiche in den Hintern versetzt? Das ist eine Wahrheit. Und Ihr, mein Fräulein, seid Ihr nicht gekommen, mich um einen Hasen zu bitten? Ich habe Euch einen gegeben, aber ich habe Euch sehr heftig umarmt. Das ist noch eine Wahrheit. Und Ihr, gnädiger Herr ...« Da bemerkte der König, daß er die Wahrheit von ihm reden wollte, und er hat[104] es nicht gewünscht; er hat sich geschämt und er hat gesagt: »Genug davon! Du sollst meine Tochter haben!« Und dann hat jener sich mit der Königstochter verheiratet und hat seine Brüder aus dem Gefängnis entlassen; dann ist er zu seinem Vater auf Besuch gegangen und hat gesagt: »Ihr seht wohl ein, daß ich zwar der jüngste, aber auch der Pfiffigste von allen bin!«

Quelle:
FR-Märchen Bd.2, S. CI101-CV105.
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