Der Soldat aus Paris

[129] Es war einmal ein Soldat welcher seinen Dienst verlassen hatte; er bat eine alte Frau, ihn für die Nacht zu beherbergen, und sie tat es gern. Am andern Morgen fragte sie ihn, woher er käme. »Von Paris, gute Frau!« antwortete er. Die gute Frau glaubte, er sage: ›vom Paradies‹, und sie sprach zu ihm: »Ihr kommt vom Paradies? Habt Ihr meinen guten Mann dort gesehen?« »Wie heißt er denn?« »Hans, wie Ihr.« »Ja, gute Frau, er ist im Paradies, und er hat dort eine Schenke.« »Ist er reich?« »Nicht sehr. Er ist genötigt, eine Tonne Apfelwein zu verkaufen,[129] um eine neue kaufen zu können, und er besitzt kein Hemd. Wenn ein Eisenbahnzug kommt, macht er den Packträger und trägt das Gepäck auf dem Rücken.« »Eisenbahn?« sagte die gute Frau höchst erstaunt, »gibt es denn solche im Paradies?« »Ja, gute Frau, und Wagen auch, und schon morgen früh werde ich dorthin zurückkehren.« »Würdet Ihr wohl, wenn Ihr ins Paradies geht, meinem guten Mann Hemden und Geld mitnehmen?« »Das will ich gern«, sagte der Soldat. Sie gab ihm ein Dutzend Hemden und eintausendfünfhundert Franken und noch fünfzehn Franken obendrein für die Mühe der Besorgung.

Sobald der Soldat fort war, kam der Sohn der guten Frau, welcher Priester war, heimgeritten. Seine Mutter sprach zu ihm: »Mein armer Junge, wenn du ein wenig früher gekommen wärst, hättest du einen Mann gesehen, der vom Paradies kommt. Er ist deinem Vater begegnet welcher durchaus nicht reich ist, er unterhält dort eine Schenke und hat keine Hemden mehr. Ich habe dem Manne Hemden und Geld gegeben, damit er es ihm überbringe.« »Wie ist der Mann gekleidet?« fragte der Priester. »Als Soldat.« Sogleich stieg der Priester wieder zu Pferd, um ihm das Geld und die Hemden abzunehmen. Er kam an den Rand eines Waldes, wo er einen Mann erblickte, der damit beschäftigt zu sein schien, dürre Reiser zu sammeln; es war der Soldat; aber da er sein Gewand umgedreht und sich einen Schnurrbart angeklebt hatte, erkannte er ihn nicht. »Habt Ihr hier keinen Soldaten gesehen?« »Doch,« antwortete der Mann, »gerade ist einer vorbeigelaufen; er muß dort mitten im Walde sein.« Der Priester konnte zwischen den Bäumen nicht reiten und sagte daher zu dem Mann: »Haltet mein Pferd, ich werde Euch ein Trinkgeld geben, wenn ich wiederkomme.« Darauf eilte der Priester in den Wald; als er ein wenig entfernt war, kehrte der Soldat sein Gewand wieder um, stieg zu Pferd und entfloh in vollem Galopp. Ein wenig später sah ihn der Priester vorüberreiten und erkannte sein Pferd; er rief ihm zu, er solle halten, aber der Soldat hörte[130] nicht auf ihn, sondern peitschte sein Roß und trieb es zu noch schnellerem Laufe an. Der Priester kam zu Fuß wieder nach Hause und seine Mutter sagte zu ihm: »Was hast du mit deinem Pferd gemacht?« »Ach,« erwiderte er, »ich habe es dem Soldaten gegeben, damit er schneller ins Paradies kommt.«

Quelle:
FR-Märchen Bd.2, S. CXXIX129-CXXXI131.
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