Eine ordentliche Mahlzeit

Einmal kommt der Wolf, gänzlich ausgehungert, zum Fuchs und fragt ihn, ob er nicht wisse, wo er eine ordentliche Mahlzeit bekommen könne.

»Fraag dar günt de olle Mähr«, entgegnet Renke, »wat se för hör Fohl fraggt.«

»Du hast gut reden«, meint der Wolf, »wie aber kann man das erfahren?«

»Dat steiht groot un breet unner hör Achterhoof schreven«, sagt der Fuchs im gleichgültigsten Ton und wendet sich ab.

Der Wolf, ohne etwas Arges dabei zu denken, schenkt dem Kumpan Glauben und macht sich auf den Weg, den Preis des Füllens von den Hinterhufen der Stute zu lesen.

Als diese den Wolf erblickt, kehrt sie ihm nach Pferdeart das Hinterteil zu, dabei deckt sie mit der Brust ihr Füllen.

Der Wolf hält dies für ein gutes Zeichen und glaubt, die Stute biete ihr Füllen zum Kauf an. Er nähert sich also den Hinterhufen auf Nasenlänge und schnüffelt wacker, um die Stute zum Aufheben der Füße zu veranlassen. Diese aber schlägt ihm den Preis dermaßen ins Gedächtnis, daß er betäubt zu Boden fällt.

Bald darauf kommt der Fuchs wie zufällig vorbei und sieht den Wolf da liegen, wie er alle viere von sich streckt.

»Nu, Ohmke!« höhnt der Fuchs, »slöppst du al na de gode Mahltied?«

»Renke! Renke!« jammert vorwurfsvoll der Zerschlagene, »ik hebb 'n Slagg hatt, dat sük 'n Steen över mi erbarmen sull, un du driffst dien Güchel mit mi?«

»Ja, so geiht en dat, wenn man kien schreven Schrift lesen kann«, spottet der Fuchs und geht vorüber.


Sundermann, Friedrich: Der Upstalsboom. Ostfrieslands Volksüberlieferungen [...] 1. Aurich 1922, S. 126f.

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Der Abschnitt enthält Texte aus Friesland, deren Quellen jeweils unterhalb des Textes vermerkt sind.
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