[104] 18. Der Bartlose und der Drakos.

[104] Es war einmal ein Bartloser, der hatte eine schwangere Frau. Dieser kam großes Gelüste nach frischem Käse an, und der Bartlose machte sich also auf, um welchen zu finden. Da begegnete er einem Schäfer und fragte ihn: »hast du frischen Käse?« »Ach, mein lieber Bartloser, wo soll ich den herbekommen?« sprach jener, »denn sowie ich meine Schaafe gemolken habe, und daraus Siebkäse machen will, kommt ein Drakos und frißt mir die Milch auf.« Darauf versetzte der Bartlose: »wenn du die Wahrheit sprichst, so bin ich derjenige, der dich an dem Drakos rächen kann; sowie du deine Schaafe gemolken hast, und daran bist Siebkäse zu machen, dann rufe mich, und ich will schon machen, daß der Drakos nicht mehr wiederkommt.« »Ach, wenn du das kannst«, rief der Schäfer, »so will ich dir jede Woche Milch und Käse umsonst bringen, und dir immer dankbar sein.«

Als der Schäfer am andern Tage wieder Käse machen wollte, da rief er den Bartlosen zu sich. Dieser aber schloß die Türe der Hütte zu, zog eiserne Schuhe mit großen Nägeln an, streute eine Lage glühender Asche auf den Boden und nahm einen frischen Käse in die Hand. Als nun der Drakos kam, um nach seiner Gewohnheit den Käse zu fressen, und aus dem Loche hervorsah, durch welches er in die Hütte zu kriechen pflegte, rief ihn der Bartlose an: »he, was bist du für ein Kerl?« und jener antwortete: »ich bin der Drakos.« Da lachte der Bartlose und sprach: »ei was, Drakos, in meinen Augen bist du nur eine Mücke.« Der Drakos kehrte sich nicht an diese Worte, sondern kam etwas weiter hervor und sah sich nach dem frischen Käse um. Da aber rief der Bartlose[105] mit fürchterlicher Stimme: »höre, Drakos, wenn du nicht machst, daß du fortkommst, so werde ich dich fressen, so wahr als aus dem Stein, den ich in meiner Hand zerdrücke, Wasser fließt und ich aus dem Boden, auf dem ich stehe, Feuer stampfe, denn in meinen Augen bist du nur eine Mücke.« Als nun der Drakos sah, daß jener den Stein in den Händen zerdrückte und Wasser darausfloß, und daß aus dem Boden, auf den er stampfte, Feuer kam, da begann er sich zu fürchten, und sagte zu dem Bartlosen: »wir wollen Frieden mit einander halten und Brüderschaft machen.« Der Bartlose sagte: »meinetwegen, wenn du den Schäfer in Ruhe lässest«; und als das der Drakos versprochen hatte, machten sie Brüderschaft mit einander und zogen in die Welt.

Als sie nun an einen Wald kamen, sagte der Drakos: »wir wollen nun auf die Jagd gehen, nimm du diese Richtung, und ich will jene nehmen, und dann wollen wir sehen, wer das meiste Wild nach Hause bringt.« Als der Bartlose nicht weit gegangen war, sah er einen Wildeber auf sich anrennen und um sich vor ihm zu retten, hatte er kaum Zeit auf den nächsten Baum zu steigen. Da versuchte der Eber den Baum mit seinen Hauern zu fällen, damit jener herunterfiele und er ihn fressen könne. Er fuhr aber so gewaltig mit seinem Rüssel wider den Baum, daß er davon starb und seine Hauer in dem Baume stecken blieben. Da stieg der Bartlose vom Baume und lief nach dem Drakos und rief: »Drakos! Drakos! nun wie steht es mit der Jagd?« »Dumme Frage«, sagte dieser darauf, »wir haben ja kaum angefangen.« – »Nun, so komme her und sieh dir das Ferkel an, das ich gefangen und mit den Hauern in den Baum gesteckt habe, damit es nicht davon läuft. Nimm es und trag es nach Hause, und weide es einstweilen aus, bis[106] ich nachkomme.« Er tat dies aber, weil er selbst nicht im Stande war, das Schwein zu schleppen. Da nahm es der Drakos auf die Schultern und trug es nach Hause.

Unterwegs kamen dem Drakos Zweifel an, ob der Bartlose wirklich so stark sei, als er sich rühmte. Nachdem er also das Schwein abgesetzt, lief er zurück und forderte ihn auf, mit ihm zu ringen, um zu sehen, wer von ihnen den andern unterbrächte. Der Bartlose versetzte, daß er das zufrieden wäre, aber daß dem Kampfe viele Leute zusehen müßten. Sie rangen darauf, aber bei dem ersten Stoß, den der Drakos dem Bartlosen gab, fiel der zu Boden, und jener rief: »ei, Bartloser, wo ist denn die Stärke, die du von deinem Vater hast?« Der aber sagte: »ei, Drakos, mach doch kein solches Geschrei darüber, daß ich ausgeglitten bin.« Doch zum zweiten Male ging es grade so. Beim dritten Mal kniete sich der Drakos auf die Brust des Bartlosen, und von seiner Schwere traten dem die Augen aus den Höhlen. Da rief der Drakos: »ei Bartloser, wo ist denn die große Stärke, die du von deinem Vater hast? warum rollst du denn deine Augen so?« Darauf sagte der Bartlose: »ich rolle meine Augen, weil ich darüber nachdenke, wie ich dich nun in die Lüfte werfen soll, nach Sonnenaufgang, oder nach Sonnenuntergang, denn in meinen Augen bist du doch nur eine Mücke.« Da erschrak der Drakos, stand auf und erklärte sich für besiegt und bat den Bartlosen nur, daß er ihn nicht in die Lüfte schleudern möge.

Darauf ging der Drakos zu seiner Mutter und sprach: »Mutter, ich habe einen begegnet, der stärker ist, als ich, und habe Brüderschaft mit ihm gemacht; so und so ist es mir mit ihm ergangen.« Als er ihr alles erzählt hatte, sagte sie: »du hast Recht, der ist stärker als du, den[107] müssen wir aus dem Wege schaffen, damit uns von ihm kein Leid widerfährt.«

Des andern Tags kam der Bartlose wieder mit dem Drakos zusammen, und da sagte er zu ihm: »heute Abend mußt du mit mir nach Hause kommen, da soll uns meine Mutter den Eber braten, den du erlegt hast, und wir wollen uns einmal recht gütlich tun.« Der Bartlose ging also am Abend mit dem Drakos nach Hause und aß und trank mit ihm und seiner Mutter. Als man ihm aber im Hause ein Bett machen wollte, sagte er: »ich kann es in einem Hause nicht aushalten, denn ich bin gewohnt, im Freien zu schlafen.« Er ging also vor das Haus und legte sich vor demselben nieder. Nach einer Weile stand er heimlich auf und schlich sich an einen andern Platz, der versteckter war, an die Stelle aber, wo er sich früher hingelegt hatte, legte er einen Sack Stroh.

Nach Mitternacht stand der Drakos auf, nahm ein großes Messer, schlich zu dem Sacke und bohrte ihn durch und durch. Drauf ging er in das Haus zurück und sagte zu seiner Mutter: »der wird uns keinen Kummer machen, denn ich habe ihn durch und durch gestochen.«

Am andern Morgen ging der Bartlose in das Haus und fand den Drakos noch schlafend. Da weckte er ihn und rief: »he Bruder, schläfst du noch um diese Zeit?« Als der Drakos den Bartlosen vor sich stehn sah, wunderte er sich und rief: »was? du lebst noch? habe ich dich denn nicht heute Nacht durch und durch gestochen?« Der Bartlose aber lachte und sprach: »Weißt du denn nicht, daß ich unsterblich und unverwundbar bin?« »Ist das möglich?« fragte der Drakos. »Ja«, sagte der andere, »ich bin gefärbt und bin[108] deswegen stich- und schußfest, ich habe wirklich heute Nacht gespürt, daß mich etwas stach, ich glaubte aber, es wäre ein Floh.« »Kannst du mich nicht auch färben?« fragte der Drakos. »Ei, warum nicht, aber dazu brauche ich ein Faß, das so groß ist, daß du hineinkriechen kannst, und einen Waschkessel, der ebenso groß ist; der muß mit Wasser gefüllt und über das Feuer gesetzt werden, und wenn das Wasser siedet, dann werde ich die zur Farbe nötigen Kräuter hineinwerfen und die Farbe kochen.« Der Drakos besorgte alles, was ihm der Bartlose aufgetragen. Wie nun das Wasser sott, warf der Bartlose einen Arm voll Kräuter hinein, und als die Farbe fertig war, ließ er den Drakos in das Faß steigen, hob mit der Drakäna den Kessel vom Feuer, schüttete das siedende Wasser auf den Drakos und hieß die Mutter das Faß mit einem Tuche zubinden, damit der Dunst nicht herauskönne, und als das geschehen war, machte er sich heimlich aus dem Staube.

Die Drakäna wartete und wartete, daß er wiederkommen und ihren Sohn aus dem Faß herauslassen solle. Am Abend aber verlor sie die Geduld, öffnete das Faß und rief: »komm heraus!« aber der Drakos rührte sich nicht. Da nahm die Mutter einen Hakenstock, um ihn damit herauszuziehen, aber sie zog nur einen Arm von ihm heraus, und sie mußte lange fischen, bevor sie alle Glieder ihres Sohnes einzeln aus der Brühe herausgefischt hatte.

Der Bartlose ging nun zu dem Schäfer und erzählte ihm, wie er ihn von dem Drakos erlöst habe, und zum Dank dafür schenkte ihm dieser das schönste Lamm aus seiner Heerde.

Als aber der Bartlose das Lamm nach Hause trug, da begegnete ihm eine Füchsin, riß es ihm von den[109] Schultern und schleppte es in ihre Höhle. Weil nun der Bartlose sich scheute, ihr in diese nachzukriechen, so sagte er: »warte, Stinkmario! das will ich dir vergelten.« Er nahm darauf zwei Kürbisflaschen und hängte sie so geschickt an einem Stab vor der Höhle auf, daß der Wind in die Löcher pfiff, und da starker Nordwind war, so brummten die Flaschen in einem fort u! u! u! u! Die Füchsin glaubte, daß der Bartlose vor der Höhle stehe und vor Zorn über das verlorene Schaf so schnaube, und traute sich drei Tage lang nicht aus ihre Höhle hervor. Am vierten konnte sie es aber vor Durst nicht mehr aushalten, und wagte sich heraus, und als sie die Kürbisflaschen erblickte, fing sie an zu fluchen und band sie an ihren Schweif, um sie in das Meer zu werfen. Als sie sie aber von einem Felsen herunterwerfen wollte, verlor sie das Gleichgewicht, fiel mit den Flaschen ins Meer und ertrank.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 104-110.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon