[7] 2. Aschenputtel.

Es waren einmal drei Schwestern, die spannen mit ihrer alten Mutter Lein, und machten unter sich aus, daß die, welcher der Faden risse und die Spindel zu Boden fiele, von den andern aufgegessen werden sollte. Da fiel der Mutter die Spindel zuerst zu Boden, und sie verziehen es ihr und fuhren fort zu spinnen; darauf fiel sie ihr abermals, und sie verziehen ihr wiederum; als sie sie aber zum dritten Male fallen ließ, sagten die beiden ältesten Schwestern: »nun aber wollen wir sie aufessen!« Doch die jüngste wehrte ihnen ab und rief: »tut es[7] nicht! tut es nicht! Wenn ihr durchaus Fleisch essen wollt, so schlachtet lieber mich und laßt sie am Leben.« Die beiden älteren Schwestern hörten aber nicht auf die Bitten und Tränen der jüngeren, sondern schlachteten und kochten ihre alte Mutter, und als sie sich zu Tische setzten um sie zu essen, luden sie die jüngste ein mitzuessen. Sie aber setzte sich auf einen Holzsattel, der unter der Hühnersteige stand und ganz mit Hühnerkot beschmutzt war, und weinte und verwünschte ihre Schwestern. Als die älteren abgegessen hatten, ging sie hin und sammelte alle Knochen und Knöchelchen der Mutter, begrub sie bei der Aschengrube und beräucherte sie täglich mit Weihrauch. Nachdem vierzig Tage vorüber waren, wollte sie sie von dort wegnehmen und sie an einen andern Ort bringen; aber wie sie den Stein aufhob, unter dem sie lagen, wurde sie von dem Glanze geblendet, der ihr entgegenstrahlte, und statt der Knochen fand sie drei kostbare Kleider; auf dem einen war der Himmel mit seinen Sternen, auf dem zweiten der Frühling mit seinen Blumen, auf dem dritten das Meer mit seinen Wellen gestickt; und dabei lag ein großer Haufen von Geldstücken aller Art.

Das Mädchen ließ diese Sachen da, wo sie lagen, deckte wieder den Stein darauf und setzte sich, wie sie gewohnt war, auf den Holzsattel, der unter der Hühnersteige stand. Als ihre Schwestern heimkamen und sie wieder dort sitzen sahen, machten sie sich über sie lustig und riefen sie bei dem Spottnamen Hühnerdrekkelchen, den sie ihr gegeben hatten.

Am nächsten Sonntag gingen die älteren Schwestern in die Kirche. Kaum waren sie aber weg, so wusch sich die jüngste, so schnell sie konnte, allen Schmutz ab, der an ihr war, zog das Kleid an, auf dem der Himmel mit[8] seinen Sternen zu sehen war, steckte sich die Taschen voll Geldstücke und ging in die Kirche. Da staunte alle Welt über sie, und der Glanz, in welchem sie strahlte, blendete Aller Augen. Als die Kirche aus war, folgte ihr ein großer Haufen Volks, um zu sehen, wo sie hinginge; sie aber nahm das Geld mit vollen Händen aus ihren Taschen und streute es auf den Weg, um das Volk aufzuhalten, und kam so wirklich ungesehen nach Hause.

Dort schlüpfte sie rasch in ihre alten Kleider, und setzte sich auf ihren gewohnten Sitz, den Holzsattel, der unter der Hühnersteige stand. Als nun ihre Schwestern nach Hause kamen, sagten sie zu ihr: »komm her, du Ärmste, und laß dir erzählen von der schönen Dame, die heute in unsere Kirche kam; die war so schön, wie die Tochter der Sonne, und hatte dir Kleider an, die strahlten und glitzerten, daß einem davon die Augen weh taten, und unterwegs streute sie Geld aus. Da sieh her, wie viel wir gesammelt haben; wärst du mitgegangen, so hättest du auch welches sammeln können.« Sie aber antwortete: »dummes Geschwätz! was kümmert mich die Fremde und ihre Goldstücke?«

Am andern Sonntag machte sie es gerade so, wie das erste Mal, und kam glücklich nach Hause, ohne daß es Jemand merkte.

Beim dritten Male verfolgte sie auch der Königssohn und war so nahe hinter ihr her, daß sie beim Laufen einen Pantoffel verlor und nicht Zeit hatte ihn aufzuheben. Der Königssohn sah ihn, und hob ihn auf, und darüber verlor er das Mädchen aus den Augen.

Der Königssohn hatte sich aber so sehr in die Unbekannte verliebt, daß er im ganzen Lande bekannt machen ließ, er wolle dasjenige Mädchen zur Frau nehmen, deren Fuß genau in den gefundenen Pantoffel passe. Er ging[9] selbst in alle Häuser, um die Probe zu machen, doch es wollte ihm nirgends gelingen.

Das hörten auch die Schwestern des Hühnerdreckelchen und sprachen zu ihm: »dein Fuß ist so klein, geh doch einmal hin und probire den Pantoffel.« Es wollte aber nichts davon hören und sagte: »wollt ihr etwa, daß ich den Pantoffel voll Hühnerkot machen soll, indem ich ihn anprobire?« Endlich entschloß sich der Königssohn, die Häuser der Reihe nach durchzunehmen, und kam so auch in das der drei Schwestern. Da luden dessen Begleiter auch die Jüngste ein, den Pantoffel zu probiren; die aber sagte: »ihr habt mich nur zum Besten.« Sie ließen jedoch nicht ab ihr zuzureden, und so stand sie endlich von ihrem Holzsattel auf. Sowie sie der Königssohn erblickte, merkte er, daß sie die rechte sei. Es kostete ihm aber noch viele Mühe, bis er das Mädchen dahin brachte, den Pantoffel zu probiren, und siehe da, er paßte ihr vollkommen. Da rief der Prinz: »ich will dich zur Frau nehmen.« Sie aber antwortete: »ich bin ein armes Ding, das solltest du nicht zum Besten haben.« Doch er beteuerte ihr, daß es ihm Ernst sei, und als das Mädchen sich endlich davon überzeugte, ging sie hin, zog eins von den schönen Kleidern an und strahlte bei der Hochzeit in königlicher Herrlichkeit.

Es dauerte nicht lange, so wurde ihr Leib gesegnet, und als sie in die Wochen kam, benutzten ihre Schwestern, die auf ihr Glück neidisch waren, die Gelegenheit, um sie zu besuchen. Als sie zu ihr kamen, war gerade niemand anders im Gemache. Da steckten sie sie schnell in einen Kasten und warfen ihn in den Fluß.

Der Kasten schwamm aber auf dem Wasser, bis er an das Ufer getrieben wurde. Dort fand ihn eine Alte, mit deren Verstand es nicht ganz richtig war, und trug[10] ihn zu ihrer Feuerstätte, um ihn als Brennholz zu benutzen. Wie sie ihn mit ihrer Axt zerhauen wollte, da sprang er von einander und die Königin setzte sich auf; darüber erschrak die Alte so sehr, daß sie auf und davon lief und nicht mehr wiederkam. Die Königin blieb also allein in der Wildnis und hörte rings umher die Wölfe heulen und die Eber grunzen und die Löwen brüllen. Da setzte sie sich nieder und weinte und bat den lieben Gott: »lieber Gott! gieb mir eine Hülle, um den Kopf hinein zu stecken, damit ich nicht das Geschrei der wilden Tiere zu hören brauche!« Der liebe Gott gewährte ihr, um was sie ihn gebeten hatte. Darauf rief sie abermals: »lieber Gott, mache die Höhle noch etwas größer, damit ich mit dem halben Leibe hineinschlüpfen kann!« und als ihr auch dieses gewährt wurde und sie merkte, daß sie erhielt, um was sie bat, da bat sie zum dritten Male um ein großes Schloß, mit aller zum Leben erforderlichen Einrichtung. Kaum war sie mit ihrer Bitte zu Ende, so saß sie auch schon in einem herrlichen, mit Allem wohlversehenen Schlosse, und aller Hausrat, der darin war, konnte reden, und antwortete auf ihre Fragen, und hörte auf ihre Befehle. Wenn sie hungrig war, so rief sie nur: »komm herbei, Tisch, mit allem nötigen Gedecke«; »kommt her, ihr Löffel, Messer, Gabeln, Gläser, Flaschen«; »kommt her, ihr Speisen!« und sogleich erschien Alles, wonach sie gerufen. Wenn sie aber abgegessen hatte, so rief sie: »seid ihr noch vollzählig? fehlt nichts?« und darauf erwiderte das Tischgeräte: »nein, es fehlt nichts.«

Eines Tages verirrte sich der Königssohn auf der Jagd und geriet in jene Einöde. Als er nun das Schloß erblickte, ging er hin, um zu sehen, wer darin wohne. Er fand das Tor verschlossen und klopfte also an. Seine[11] Frau hatte ihn schon von weitem erkannt; sie ließ es sich aber nicht merken, sondern rief: »wer klopft an der Pforte?« Er antwortete: »ich bins, mache auf!« Da rief sie: »öffne dich, Pforte!« und sogleich tat sich diese auf und er trat ein, stieg die Treppe hinauf und fand dort seine Frau auf einem Throne sitzend, aber er erkannte sie nicht. Da sprach er zu ihr: »guten Tag!« und sie erwiderte: »sei willkommen!« und sogleich rief auch das ganze Hausgeräte, was im Schloße war: »sei willkommen! sei willkommen!« Darauf rief sie einen Sessel herbei, und als dieser herangekommen war, lud sie ihren Gast ein, sich darauf zu setzen, und frug ihn nach der Ursache seines Besuches. Als sie hörte, daß er sich auf der Jagd verirrt habe, sagte sie ihm, er solle über Tisch bleiben und dann nach Hause zurückkehren.

Darauf rief sie den Tisch herbei, und dieser kam mit allem nötigen Gedecke. Dann sprach sie: »kommt, ihr Wasserkannen und Waschbecken und Handtücher, damit wir uns waschen!« Nachdem sie sich gewaschen: »kommt nun, ihr Speisen von zehnerlei Art!« und alles, was sie befahl, kam sogleich herbei.

Als sie abgegessen hatten, nahm der Königssohn heimlich einen Löffel weg und steckte ihn in seinen Stiefel. Wie sie aber von der Tafel aufstanden, rief die Hauswirtin zu seinem großen Schrecken: »Sage mir, Tisch, ob du dein ganzes Tischzeug hast?« Der antwortete: »ja!« »Sagt mir, ihr Löffel, ob ihr noch alle da seid!« Die aber sagten: »ja, bis auf einen!« und dieser rief: »ich stecke in dem Stiefel des Gastes.« Die Wirtin aber tat, als habe sie es nicht gehört, und fragte abermals: »hört, ihr Löffel, seid ihr noch alle da?« Da warf der Prinz den Löffel heimlich weg und wurde dabei ganz rot. Sie aber rief: »warum wirst du denn rot?[12] ich habe wohl gemerkt, was du getan hast, doch du brauchst dich nicht zu fürchten, denn ich bin deine Frau und so und so ist es mir ergangen.«

Da herzten und küßten sie sich, und jedes erzählte dem andern alles, was sich mit ihm seit ihrer Trennung zugetragen. Darauf befahl die Königin ihrem ganzen Schlosse, sich nach der Hauptstadt ihres Gemahles auf den Weg zu machen, und sogleich fing das an, nach jener Gegend hinzurücken. Als die Leute in der Stadt hörten, daß ein großes Schloß herzuwandere, liefen sie alle heraus, um dies mit anzusehn, und als dasselbe endlich stille stand und der Königssohn mit seiner verlorenen Gemahlin heraustrat, entstand ein ungeheurer Jubel, und sogleich begannen große Festlichkeiten, um ihre Rückkehr zu feiern. Der Königssohn aber ließ die beiden Schwestern seiner Frau kommen und hieb sie mit eigener Hand in Stücke und lebte von nun an glücklich und zufrieden mit seiner Frau.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 7-13.
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