41.
Hans der Herr und Hans der Knecht.

[75] Es war einmal ein armes Ehepaar, das hatte drei Söhne, und der jüngste davon hieß Hans. Als diese eines Tages auf dem Felde waren und Kartoffeln einsammelten, warf der Aelteste seinen Karst weg und rief: »Was habe ich von diesem elenden Leben? Ich gehe fort in die weite Welt; vielleicht finde ich anderswo mein Glück!«

»Bruder, ich gehe mit!« sagte darauf der Zweite freudig; der Jüngste aber meinte, sie sollten doch erst ihren Eltern einen Sack voll Kartoffeln bringen, dann wolle er auch mitgehen.

Dies thaten sie dann auch und nachdem sich Jeder drei Guineen in die Tasche gesteckt hatte, nahmen sie Abschied und versprachen nach einem Jahre und einem Tage wieder zurückzukommen.

In der ersten Nacht hatten sie kein besseres Lager, als eine trockene Grube auf dem Kirchhofe; ehe sich jedoch der Jüngste hineinlegte, wollte er sich erst einmal die schönen Grabsteine ansehen und stolperte dabei über einen Sarg. »Der arme Mensch,« seufzte er still bei sich, »hat[75] sicherlich keinen Freund gehabt, der ihn beerdigte,« und darauf zog er seinen Rock aus und fing an, ihm ein Grab zu schaufeln.

Als er kurze Zeit gearbeitet hatte, kam auf einmal ein wild aussehender Riese auf ihn zu und sprach: »Was machst du hier? Dieser Todte schuldet mir eine Guinee und ich lasse ihn nicht eher beerdigen, bis sie bezahlt ist.«

»Hier ist deine Guinee,« erwiderte Hans; »verlasse aber auch dafür den Kirchhof.«

Der Riese that so und Hans arbeitete weiter. Ungestört aber blieb er nicht, denn kaum hatte er wieder einige Schaufeln Erde aufgeworfen, als ein noch viel schrecklicherer Riese mit zwei Köpfen auf ihn zukam und die Geschichte des ersten wiederholte. Hans gab ihm seine zweite Guinee und der Niese ließ ihn dann in Ruhe. Doch kurz darnach erschien ein dritter mit drei Köpfen und beraubte den armen Hans um sein letztes Goldstück und dann erst konnte dieser sein angefangenes Liebeswerk ungestört beenden. Darnach legte er sich zu seinen Brüdern und schlief, bis ihm die Sonne in's Gesicht schien und ihn aufweckte. Nun erzählte er ihnen, wie er um alles Geld gekommen sei, aber Keiner war so gutmüthig, ihm auch nur einen einzigen Penny anzubieten.

Als sie an den nächsten Kreuzweg kamen, trennten sie sich und Jeder ging seinen eigenen Weg. Hans, der von der schweren Arbeit der letzten Nacht noch etwas müde war, setzte sich neben die Straße und knusperte an einem Stück Brod. Kaum hatte er jedoch den ersten Bissen hinuntergeschluckt, so kam ein Bettler zu ihm und bat ihn um Gotteswillen, ihm doch etwas zu geben.

»Ich habe weder Kupfer, Silber, noch Gold,« erwiderte Hans, »wenn du aber mein Brod mit mir theilen willst, so bist du freundlichst dazu eingeladen.« Der Bettler ließ sich dies nicht zweimal sagen, setzte sich neben Hans und aß.

»Wo gehst du hin?« fragte er darauf.

»Das weiß ich selber nicht; ich will mein Glück suchen!«

»Dann geh' ich mit dir; ich werde dein Knecht sein!«

»Mein lieber Mann,« antwortete Hans lächelnd, »ich bin arm und brauche keinen Knecht; ich bin ja selber auf dem Wege, mich irgendwo zu verdingen!«

»Laß das nur gut sein. Du hast in der vergangenen Nacht[76] meinen Bruder begraben; sein Geist ist mir darauf erschienen und hat mir befohlen, ein Jahr dein Diener zu sein. Du bist also Hans der Herr und ich Hans der Knecht.«

»Meinetwegen.«

Darauf marschirten sie weiter und kamen nach Sonnenuntergang in einen großen Wald, in dem ein prächtiges Schloß stand.

»Hier,« sagte Hans der Knecht, »wohnt der einköpfige Riese, der meinen armen Bruder nicht begraben lassen wollte.« Darnach klopfte er an die Thüre.

»Was wollt ihr?« rief der Riese.

»Wir wollen dich retten. Der König hat hunderttausend Mann ausgeschickt, um dich wegen deiner Räubereien zu fangen. Da du mir meinen Bruder begraben ließest, so bin ich zu deinem Beistande herbeigeeilt.«

»Aber was soll ich thun?«

»Hast du kein sicheres Versteck?«

»Ich habe eine sieben Meilen lange Höhle, deren Eingang sich in der Scheune befindet.«

»Das ist hinreichend. Laß den Soldaten ein gutes Abendessen zurück und verstecke dich in der Höhle; komme aber nicht eher heraus, bis ich dich rufe!«

Der Riese that, wie ihm gerathen worden und die Beiden schlossen die Thüre hinter ihm. Dann aßen und tranken sie sich satt und Hans der Knecht ließ alle Kühe und Ochsen des Riesen aus den Ställen und jagte sie unter furchtbarem Lärm über die Fallthüre der geheimen Höhle. Dann öffnete er sie und rief: »Bist du noch da?«

»Ja wohl,« antwortete der Riese, der sich etwa zwei Meilen von der Oeffnung befand.

»Hast du dich gefürchtet?«

»Ob ich mich gefürchtet habe! Sind sie fort?«

»Noch nicht! Sie wollen erst dein scharfes Schwert haben!«

»Das muß ich für mich behalten!«

»Dann mache, daß du an das Ende der Höhle kommst, wenn du deinen Kopf noch eine Stunde länger behalten willst!«

»Das ist ein schlechter Trost; gib es ihnen, es liegt unter meinem Bette!«

»Wenn sie fort sind, werde ich dir ein Zeichen geben.«[77]

Darauf legten sich die Beiden in das Bett, das lang und breit genug für sie war, und schliefen ruhig bis zum andern Morgen, wonach sie dem Riesen das verabredete Zeichen gaben und fortgingen.

Die nächste Nacht brachten sie im Schlosse des zweiköpfigen Riesen zu und beraubten ihn in ähnlicher Weise seines unsichtbar machenden Mantels. In der dritten Nacht führten sie dem dreiköpfigen Riesen seine Siebenmeilen-Stiefel aus und am vierten Abende standen sie vor dem Palaste des Königs.

»Dieser König,« sprach Hans der Knecht, »hat eine Tochter, die so stolz ist, daß sie jeden Bewerber abweist, ihm dann den Kopf abschlagen und diesen auf die eisernen Thürstangen stecken läßt. Sogar den König von Marocco wies sie schnöde ab, worüber sich dieser so sehr ärgerte, daß er sich in sein Schwert stürzte. Doch der Teufel hauchte ihm später wieder neues Leben ein und bot ihm seinen Beistand an, um die stolze Prinzessin zu bestrafen. Er wohnt auf dem andern Flußufer in einem Palaste und hat solche Macht über die Prinzessin erlangt, daß sie ihn heiraten muß, sobald zwölf Köpfe auf der Thüre stecken. Einige sagen auch, es sei der Teufel selber, der nur die Gestalt des Königs von Marocco angenommen habe. Jeder, der sich um die Jungfrau bewirbt, hat drei Dinge zu thun, und wenn er es nicht kann, so wird ihm der Kopf abgeschlagen und auf eine Thürstange gesteckt. Elf stecken bereits dort und jetzt ist an dir die Reihe, dein Glück zu versuchen. Gott ist stärker als der Teufel!«

Darauf klopften sie an.

»Was wollt ihr?« fragte der Thürhüter.

»Ich will um die Prinzessin werben,« erwiderte Hans der Herr.

»Siehst du die Köpfe dort?«

»Wozu diese Frage?«

»Ehe du eine Woche älter bist, wird sich der deinige auch in ihrer Gesellschaft befinden.«

»Da muß ich mich vorsehen.«

»Gut; kommt nur herein. Gott stehe euch Narren bei!«

Nun gingen sie in den Palast, wo der König auf dem Throne saß und die Prinzessin auf einem goldenen Stuhle neben ihm ruhte. »Ich glaube,« sagte der König, »eure Losung heißt Tod oder meine Tochter.«

»Gewiß, mein Herr!« erwiderte Hans der Herr.[78]

»Ich weiß nicht,« fuhr der König fort, »ob ich lachen oder weinen soll; denn wenn du die drei Aufgaben nicht lösen kannst, so muß meine Tochter den schrecklichen König von Marocco heiraten. Ich werde diese Nacht ihre Scheere in deinem Schlafzimmer lassen und wenn sie am nächsten Morgen noch da ist, so behältst du deinen Kopf einen Tag länger. Am zweiten Tage mußt du mit dem König von Marocco um die Wette laufen, und wenn du gewinnst, so hast du abermals dein Leben um einen Tag verlängert. Am dritten Tage mußt du entweder seinen oder deinen Kopf bringen.«

Darauf ließ er ihnen ein gutes Abendessen vorsetzen und führte sie in das Schlafzimmer und legte die Scheere auf den Tisch.

»Lege dich nur ruhig schlafen,« sagte Hans der Knecht zu seinem Gefährten; »ich hänge mir den unsichtbarmachenden Mantel um und werde schon Acht geben, daß du die Scheere am andern Morgen noch findest.«

Aber er konnte nicht schlafen und sah beständig auf die Scheere. Doch als es Zwölf schlug, verschwand sie plötzlich vor seinen Augen. Er sah da- und dorthin – doch die Scheere war fort. »Wo bist du, Hans?« fragte er dann, aber er erhielt keine Antwort. »Ob ich nun wache oder schlafe, wird wohl eins sein,« sagte er tiefbeklommen und schlief ein.

Als die Uhr Zwölf schlug, sah Hans der Knecht in seinem unsichtbarmachenden Mantel, wie sich die Mauer öffnete und die Prinzessin hereinkam und die Scheere wegnahm. Dann ging sie, gefolgt von zehn Kammermädchen, hinunter an den Fluß und stieg in ein Boot. »Ich bin darin,« sagte sie; »ich ebenfalls,« sprach das erste Mädchen und so sprachen alle, als sie sich im Boote niederließen. »Ich bin auch da!« sprach Hans und die Mädchen sahen sich verwundert um, erblickten aber Niemand an der Stelle, woher die Stimme kam. Dann fuhren sie hinüber in den Palast des Königs von Marocco, tranken und sangen und tanzten, daß das ganze Haus erbebte. Die Prinzessin gab ihm die Scheere und sagte: »Hebe sie auf oder nicht; ganz wie du willst!«

»Ob ich sie aufheben werde!« erwiderte der König, öffnete das Kästchen und legte sie hinein. Doch ehe er es verschloß, nahm sie Hans unbemerkt wieder heraus und steckte sie in seine Tasche. Darnach setzten sie sich Alle wieder in das Boot und fuhren zurück.[79]

Als Hans der Herr am nächsten Morgen erwachte, fiel sein erster Blick auf die Scheere auf dem Tische und sein zweiter auf seinen Gefährten, der noch ruhig schlief und den unsichtbarmachenden Mantel neben sich liegen hatte. Nun sprang er fröhlich aus dem Bette, tanzte und sang, und als der König kam und die Scheere fand, sprach er: »Lieber Hans, dein Kopf ist für heute sicher; die zweite Aufgabe aber wird etwas schwerer sein.«

Gegen Mittag kam der König von Marocco, um mit ihm um die Wette zu laufen. Er hatte enganliegende Kleider an, sein kohlschwarzes Haar war so kurz wie nur möglich abgeschnitten, und sein Gesicht war so gelb wie ein Eidotter. Hans kam ebenfalls und hatte die Siebenmeilenstiefel angezogen. Sobald das Zeichen gegeben wurde, eilten sie fort. Hans lief so schnell wie der Flug einer Sternschnuppe und erreichte das Ziel sieben Mal, ehe es der König nur ein Mal erreichte, worüber dieser ein so schreckliches Gesicht schnitt, daß man meinte, er wäre der Teufel selber. »Jauchze nicht zu früh,« stammelte er, »morgen gilt's deinen Kopf oder den meinigen!« »Der Himmel ist stärker als die Hölle,« erwiderte Hans.

Am folgenden Abend fuhr die Prinzessin mit ihrem Kammermädchen wieder hinüber in den Palast und Hans der Knecht stieg mit dem unsichtbarmachenden Mantel und dem haarscharfen Schwerte ebenfalls in das Boot. Dem König von Marocco schien es jedoch etwas angst geworden zu sein, denn er saß nachdenklich am Tische und sprach kein Sterbenswörtchen. Da sich die Prinzessin unter solchen Umständen nicht länger bei ihm aufhalten wollte, eilte sie wieder in ihr Boot zurück, um nach Haus zu fahren. Als ihr nun der König nacheilte, um wenigstens zärtlichen Abschied von ihr zu nehmen, schlug ihm Hans plötzlich mit seinem Zauberschwerte den Kopf ab und steckte ihn unter seinen Mantel. In diesem Augenblicke seufzte die Prinzessin und betete, daß Hans doch ja kein Unglück geschehen möge. Dafür ward sie nun von ihren Mädchen ausgelacht, doch Hans kniff sie dermaßen in die Waden, daß sie bald andere Gesichter schnitten.

Am nächsten Morgen erblickte Hans der Herr den Kopf seines Feindes vor sich auf dem Tische und sprang mit einem Satze aus dem Bette und brachte ihn dem Könige. Niemand war nun froher als dieser und augenblicklich ließ er die nöthigen Vorkehrungen zur Hochzeit treffen. Als dieselbe vorbei war, machte das junge Ehepaar[80] eine Reise zu Hansens Eltern, und daß diese nun auf Lebenszeit aller Noth enthoben waren, läßt sich leicht voraussetzen.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 75-81.
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