IX. Das Märchen von der Königstochter, die in ein Pferd verwandelt war.

[42] Lbs. 538 4 to. Von Snorri Jónsson auf Norður-Reykir in der Mosfellsveit erzählt.


Einem Königspaar kommt spurlos die einzige Tochter abhanden, und der König lässt bekannt machen, dass er demjenigen sein Reich geben wolle, der ihm sein Kind wiederbringt. – Nicht weit vom Königreiche wohnt ein Bauer mit seinem Sohne Hörður. Wie der Knabe eines Tages das Vieh seines Vaters hütet, kommt er zufällig in einen Wald, vor dessen Betreten sein Vater ihn immer gewarnt hatte. Er hört hier grossen Lärm und sieht eine Schar von Füllen auf sich zukommen. Sie greifen ihn an, aber er wehrt sich mit seiner Keule. Endlich kommt eine braune Stute (Brunka) zu ihm und fordert[42] ihn auf, sie zu besteigen. Dann eilt sie mit ihm fort, von den Füllen in einem fort noch verfolgt. Am Abend kommen sie zu einer Hütte. Hier muss Hörður auf dringende Bitte des Pferdes dieses töten und alles in ganz kleine Stückchen zerschneiden. Am anderen Morgen steht Brunka wieder frisch und lebendig vor der Hütte und nagt das Gras ab. Aber sie hat nun statt des Schwanzes einen Haarschweif, da Hörður vergessen hatte, den Schwanz auch zu zerbrechen. Von nun an sollen nach dem Wunsche des Braunen alle Pferde Haarschweife haben. –

Am folgenden Abend, als sie an eine andere Hütte gelangt sind, hat Hörður die gleiche Aufgabe. Nun vergisst er, einen Teil des Nackens zu zerbrechen, und da hat am anderen Morgen das Pferd eine Haarmähne, die nun gleichfalls künftig alle Pferde besitzen sollen. Am dritten Abend vernachlässigt Hörður das Zerbrechen der Klauen. Infolgedessen hat Brunka Hufe bekommen, und seit dieser Zeit müssen alle Pferde beschlagen werden. Sie kommen nun in das Königreich, und hier bittet Hörður auf Vorschlag der Brunka den König um Aufnahme für den Winter. Dies wird ihm unter der Bedingung gewährt, dass er die Diebe ausfindig macht, die den Goldschatz des Königs bestohlen haben. Er fragt nun Brunka deswegen um Rat, und diese bittet ihn, mit ihr auszureiten. Wie sie nicht weit vom Schlosse sind, beginnt das Pferd zu lahmen. Hörður macht an einer Schmiede Halt, um es neu beschlagen zu lassen. Aber alle Hufeisen sind untauglich, bis endlich der Schmied mit einem goldenen Hufeisen Brunka beschlägt. Nun reitet Hörður heim. Wie der König das goldene Hufeisen sieht, entdeckt er, dass es aus seinem gestohlenen Schatze ist. Das Haus des Schmiedes wird durchsucht, und alles findet sich bei ihm wieder. Seine Mitschuldigen will der Schmied aber um keinen Preis verraten. – – Nach einiger Zeit wird der König von Wikingern zum Zweikampfe aufgefordert. Hörður besteht den Kampf für ihn und bleibt mit Hilfe seiner Brunka Sieger. Da er sieht, wie sehr der König unter dem Verluste seiner Tochter leidet, verspricht er ihm, alles zu versuchen, um das Mädchen wiederzufinden. Brunka will ihm hierbei jedoch nur helfen, wenn[43] er eine Nacht bei ihr schläft. Wie er davon nichts wissen will, läuft das Pferd ihm fort. Er sucht es allenthalben, und endlich findet er es, wie es versucht, seinen Kopf zwischen zwei Steinen zu zerschmettern. Von dem Anblick gerührt verspricht Hörður seiner Brunka, sie zu heiraten. Der König veranstaltet zur Hochzeit ein grosses Festmahl. Wie Hörður mit seinem Pferde im Bette liegt, ruft dieses auf einmal: »Hilf dem Könige, denn Rauður, der Minister, will ihn gerade morden«. Er springt auf und kommt noch zur rechten Zeit, um den schlafenden König zu schützen und den Minister so zu Boden zu werfen, dass er beide Schenkel bricht. Von dem Kampflärm erwacht der König. Nun behauptet der Minister, Hörður habe dem König nach dem Leben getrachtet. Seinen Angaben wird geglaubt, und Hörður wird ins Gefängnis gesteckt, um am anderen Tage gehängt zu werden. Im Bette der Neuvermählten findet man nun morgens die verschwundene Königstochter. Sowie sie hört, welches Schicksal ihrem Gemahl droht, eilt sie zum König. Sie erzählt diesem, dass der Minister Rauður sie habe heiraten wollen. Weil sie sich geweigert hätte, sei sie von ihm in ein braunes Pferd verwandelt worden. Nicht eher habe sie erlöst werden können, bis ein Mann sie dreimal ganz in kleine Stückchen zerschneide und schliesslich auch heirate. – Die Bosheit des Rauður kommt nun an den Tag. Er wird von wilden Pferden zerrissen, während Hörður mit der Königstochter ein fröhliches Hochzeitsfest feiert.

Eine zweite Behandlung dieses Märchens findet sich in der Lbs. 537 4 to in der »Flókatrippasaga«, d.h. in dem Märchen vom Füllen. In dieser Variante sind aber zwei Märchen miteinander vermischt, die Erzählung von der Königstochter, die in ein Pferd verwandelt ist, sowie die Geschichte von den in der Neujahrsnacht geraubten Prinzessinnen, die durch Brüder, die mit wunderbaren Eigenschaften ausgestattet sind, ihrem Vater zurückgebracht werden. Der Inhalt des Märchens, dessen Herkunft nicht angegeben wird, ist in kurzem folgender:

Ein Bauer hat drei Söhne. Die beiden älteren, seine Lieblingskinder, ziehen in die Welt hinaus. Sie sollen einem Könige in der Neujahrsnacht seine zweite Tochter bewachen,[44] da ihm das Jahr vorher die älteste Tochter in dieser Nacht gestohlen worden war. Die Brüder fallen jedoch in Schlaf, und das Mädchen ist am anderen Morgen verschwunden. Zur Strafe werden nun die Bauernsöhne getötet. Jetzt kommt der jüngste Bauernsohn, Þorsteinn, zum gleichen König. Unterwegs hat ihm ein Füllen seine Dienste angeboten. Drei Abende hintereinander hat er es schlachten müssen, aber am anderen Morgen war es immer wieder frisch und munter. Nur ist es jedesmal ein wenig verändert, weil Þorsteinn nicht alles in kleine Stückchen zerschnitten hatte. Beim Könige findet er Aufnahme unter der Bedingung, dass er die jüngste Tochter in der Neujahrsnacht bewacht. Das Füllen will ihm dabei helfen, wenn er es zum Lohne zu heiraten verspricht. Da er sich weigert, so läuft es fort. Nun kommen drei Riesen zum Könige, die sich Velvakandi (der gut Wachende), Velhöggvandi (der gut Hauende), und Velklifrandi (der gut Kletternde), nennen. Auch sie sollen in der Neujahrsnacht Wache halten, Þorsteinn verspricht nun dem Füllen, als es heimgekehrt ist, die Heirat. Sie wachen nun alle zusammen. In der Neujahrsnacht streckt sich ein grau behaarter Arm ins Zimmer, um die Prinzessin zu ergreifen, doch Velhöggvandi haut den Arm ab. Am anderen Morgen verfolgen sie die Blutspur bis zu einer Höhle. Hier töten sie einen Riesenvater mit drei Söhnen und befreien die Königstöchter. Dann halten alle Hochzeit, die drei Riesen mit den Prinzessinnen und Þorsteinn mit seinem Füllen. Nach der Hochzeitsnacht sind die Riesen zu Königssöhnen, das Füllen zu einer Königs tochter entzaubert.

Eine dritte Fassung dieses Märchens gibt Jón Porkelsson in der »Kjángarsaga« (LXXIX S. 91 ff.): Der Königssohn Sigurður, der in die Welt auf Abenteuer ausziehen will, darf sich aus den Pferden seines Vaters ein Pferd aussuchen. Ein unansehnliches Füllen läuft immer um ihn herum und bietet sich dem Prinzen so lange an, bis dieser es wählt. Zu der Zeit hatten die Pferde noch Klauen, Hörner und einen Magen wie ein Rind. Sigurður, der an drei Abenden sein Pferd Kjaung töten musste, vergisst am ersten Abend die Klauen, am zweiten die Hörner und am dritten Abend einen Magen mit in den Pferdestall zu nehmen. Infolgedessen sind seit dieser Zeit durch den[45] Wunsch Kjaungs die Pferde ohne Hörner, Klauen und ohne einen zweiten Magen. Am Königshofe, zu dem sie nun gelangen, muss Sigurður dreimal den König suchen und dreimal sich so vor ihm verstecken, dass der König ihn nicht zu finden vermag. Gelingt ihm dies, so darf er die Königstochter heiraten. Der König ist zuerst einer von zwei Hammern, dann eine von zwei Forellen und schliesslich eine Nadel in der Nadelbüchse der Königstochter. Er muss jedesmal in seiner wahren Gestalt erscheinen, da Sigurður sich den Anschein gibt, als wolle er den Hammer zerschlagen, den Fisch zerschneiden und die Nadel durchstechen. – Sigurður verbirgt sich nun dreimal bei seinem Pferde, das dem König durch heftiges Ausschlagen gar nicht gestattet, in seine Nähe zu kommen, um den Jüngling hervorzusuchen. – Jetzt soll er, wie versprochen, die Königstochter heiraten. Doch der Minister Rauður, der auch schon lange um die Prinzessin freite, fordert ihn zum Zweikampfe heraus. Sigurður wirft ihn aus dem Sattel, und Kjaung beisst ihn derartig, dass er lange Zeit schwer krank darniederliegt. In der Hochzeitsnacht darf das Pferd zu den Füssen des Brautpaares schlafen, am anderen Morgen liegt dann an seiner Stelle eine schöne Prinzessin im Bette. Diese pflegt dann den übel zugerichteten Minister und heiratet ihn später.

Viele übereinstimmende Züge mit dem isländischen Märchen hat die Erzählung »Grimsborken« (Asbj. 37 S. 183 ff.). Es ist im grossen und ganzen eine Vereinigung der ersten und dritten isländischen Fassung dieses Themas, nur bleibt das hilfreiche Pferd im norwegischen am Schlüsse unverändert – von einer Entzauberung zu einem Menschen ist nicht die Rede. Der Inhalt ist kurz folgender: Grimsborken ist ein äusserst unansehnliches Fohlen. Es weiss aber seinen jungen Herrn zu überreden, ihm drei Jahre lang die Milch von zwölf Stuten geben zu lassen. Dadurch wird ein gewaltiges Pferd aus dem armseligen Füllen. Mit Hilfe von Grimsbork löst der Jüngling nun drei Aufgaben, die von einem König ihm gestellt werden. Aber trotzdem bekommt er die Prinzessin nicht eher, als bis sie sich zweimal vor ihm und er sich zweimal vor ihr versteckte. Die Prinzessin ist eine Ente und dann ein Brot. Die Ente[46] will der Jüngling angeblich schiessen, das Brot zerschneiden. Der Jüngling versteckt sich bei Grimsbork, der die Prinzessin zum Suchen nicht in seine Nähe kommen lässt.

Bei Grundtv. (1) »Mons Tro« (II S. 1 ff.) ist das Pferd, das dem Jünglinge hilft, alle Aufgaben des Königs zu lösen, wie in den isländischen Fassungen ein verzauberter Königssohn. Eine Prinzessin, die Mons Tro für den König holen soll, will nur mit ihm gehen, wenn er sie zweimal finden kann. Zuerst ist sie eins von vielen Seidentüchern, dann ein Halm in einem Strohbündel. Das Pferd wird wieder zum Königssohn, nachdem sein Herr ihm den Kopf abgeschlagen hat.

Auch in der Geschichte von der »Fata Morgana« (Gonz. 64 II S. 49 ff.) ist das Pferd, das dem Prinzen in allen Gefahren beisteht, ein verzauberter Königssohn. Um erlöst zu werden, muss sein Herr es zu Tode prügeln und ihm nachher den Leib aufschneiden. Im übrigen hat dieses Märchen mit dem hier behandelten Thema keine weiteren Züge gemeinsam. – – Auf den Faer-oern wird von einem Burschen erzählt, der eine Königstochter von einem Riesen zurückholt (Faer. S. 391 ff.). Hier ist das helfende Tier ein Esel. Um die Königstochter aus den Händen des Riesen zu befreien, muss der Held sie dreimal suchen. Sie ist ein Korn, ein Draht und ein Strohhalm. Der Jüngling verbirgt sich dann dreimal als Haar im Schwänze seines Esels. –

Auch in dem walachischen Märchen von Schott (Juliana Kosseschana S. 184 ff.) handelt es sich um ein Pferd, das dem jüngsten Königssohne hilft, alle Gefahren zu überstehen. Der Jüngling kommt zu einem Könige, der seine Tochter nur dem geben will, der sich dreimal so vor ihm zu verstecken vermag, dass er ihn nicht findet. Auch hier hilft das zauberkundige Pferd. – – – Das Verstecken des Freiers finde ich in den verglichenen Märchensammlungen noch dreimal belegt, Schott (13 S. 153), Hahn (61 I S. 317) und Grimm (191 II S. 304). In allen drei Fällen ist es eine heiratsscheue Königstochter, die diese Aufgabe stellt. Dem Freier, dem die Lösung endlich glückt, wird hierbei von verschiedenen Tieren geholfen.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 42-47.
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