XCVI. Von der Frau, die das Butterfass leer nascht.

[349] Árn. II S. 509/10. Nach einer verbreiteten Erzählung im Borgarfjörður.


Ein altes Bauernpaar kauft ein Fass voll Butter zum Wintervorrate. Um es recht gut aufzuheben, geben sie es dem Könige, der es auch sorgsam wegstellen lässt. Die Alte bekommt jedoch Lust, von ihrer Butter heimlich zu naschen. Sie sagt also ihrem Manne, sie sei zur Kindtaufe gebeten, und macht sich auf ins Königreich. Hier nimmt sie einen guten Teil der Butter und geht dann heim. Der Mann fragt, wie das Kind getauft worden sei. »Rand heilst das hochgeborene Mädchen«, sagt die Alte. Nach einiger Zeit ist ihr Buttervorrat zu Ende, und da behauptet sie wiederum, ins Königreich zur Taufe geladen zu sein. Diesmal ist das Kind nach ihrer Behauptung »Mitte« genannt worden. Wie sie zum dritten Male zum Naschen geht, ist der Name des getauften Kindes »Bodenrand«, und als sie bei ihrem letzten Besuche die Buttertonne ganz ausgegessen hat, erzählt sie ihrem Manne von dem Knaben, der den Namen »Boden« in der Taufe empfangen habe. – In der Winterszeit werden nach und nach in der Hütte die Vorräte knapp, und auf Vorschlag des Alten wollen sie nun ins Königreich gehen, um ihre Buttertonne zu holen. Die Tonne wird ihnen vom Könige auch richtig ausgeliefert, doch wie sie sie zu Hause öffnen, ist auch nichts mehr von Butter in ihr zu entdecken. Die Alte ist darüber ebenso erstaunt wie ihr Mann. Auf einmal fällt ihr Auge auf eine Brummfliege, die sich auf den Rand der Buttertonne gesetzt hat. »Da kommt der infame Dieb«, sagt die Frau entrüstet und macht ihren Mann auf die Fliege aufmerksam. »Die hat natürlich all' unsere Butter aus der Tonne gegessen.«[349] Das leuchtet dem Bauern ein, und er kommt nun mit seinem Fischhammer, um die Fliege zu töten. Aber wenn er auch alles andere in der Hütte kurz und klein schlägt, die Fliege entwischt ihm immer. Endlich kann er nicht mehr und setzt sich halbtot vor Ermüdung nieder. In diesem Augenblicke ruht sich die Fliege auf der eigenen Nase ihres Verfolgers aus. »Nimm es wahr, solang sie auf der Nase sitzt«, ruft er eifrig seiner Frau zu. Und diese besinnt sich nicht lange. Sie schlägt mit dem Hammer so kräftig auf ihren Mann, dass er tot zu Boden fällt, während die Fliege lustig davonfliegt. – – –

Dieser kleine Schwank findet sich in den Märchensammlungen der Fær-oer (Fær. 51 »Revur og bjødn« S. 436/7), Norwegens (Asbj. 17 H »Ræven snyder Bjørnen for Julekosten« S. 75/6), Schleswig-Holsteins (Müllenh. XXVIII »Fuchs und Wolf« S. 468), Deutschlands (Grimm 2 »Katze und Maus in Gesellschaft« I S. 4 ff.), Lothringens (Cosquin 54 »Le loup et le renard« II S. 156 ff.) und Griechenlands (Hahn 89 »Vom Wolf, der Füchsin und dem Honigtopfe«). In all' diesen Märchen sind es zwei Tiere, die miteinander Proviant haben, den das schlauere der beiden Tiere unter dem Vorwande, zu Gevatter gebeten zu sein, heimlich auffrisst. Nachher wird dann der Streich entdeckt, aber auch jetzt noch wird das dümmere Tier an der Nase herumgeführt. Das isländische Märchen unterscheidet sich sehr bezeichnend darin, dass das Tiermärchen auf Menschen übertragen ist. Der betrogene Ehemann entdeckt hier auch nicht einmal die List seiner Frau, sondern er glaubt tatsächlich, dass die Fliege der Dieb sei. Dadurch kommt dann noch ein neuer Zug in die Erzählung: dass der Mann erschlagen wird, weil die Frau auf seiner Nase eine Fliege töten will, ist ein Motiv, das sich schon im Pantschatantra findet. Der Affe, der des Königs Schlaf bewachen soll, erschlägt seinen Herrn, weil er von dessen Kopf eine Biene verjagen will (Benf. II S. 155). Hierzu gibt Benfey noch eine Parallele im ersten Bande des Pantschatantra, wo ein Sohn aus ähnlichem Grunde seinen Vater tötet (Benf. I S. 292). Auch Straparola erzählt von einem Diener (13. Nacht 4. Fabel II S. 354 ff.), der auf der Stirne seines schlafenden[350] Herrn eine Fliege töten will und bei der Gelegenheit seinen schlafenden Herrn erschlägt.

Zu dem ersten Teile unseres Märchens, dem Butterdiebstahle unter dem Vorwande, zu Gevatter gebeten zu sein, gibt Köhler (Kl. Schr. S. 105 ff.) noch weitere Literatur an. Ebenso finden sich weitere Nachweise in den Anmerkungen bei Grimm und Cosquin.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 349-351.
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