13. Die Prinzessin im Sarg und die Schildwache.

[257] Einmal lebte ein mächtiger Fürst, der eine schöne und brave Frau, aber keine Kinder hatte. »Wenn meine Frau nur einmal gebären würde«, rief er einst in der Sehnsucht nach einem Erben, »und sollte das Kind vom Teufel sein, mir wäre es auch recht.« Da beherbergte er einstens einen angesehenen Fremden in seiner Burg, und im Gespräch mit ihm kam er unter anderm auch auf seinen Wunsch zu sprechen. »Wisst ihr was,« sagte dieser, »versprecht ihr mir ein Kind zu geben, so verspreche ich euch auch, dass ihr binnen einem Jahre deren zwei besitzen sollt.« Der Fürst versprach dieses natürlich gerne und der Fremde hielt gewissenhaft Wort, denn gerade ein Jahr nach seiner Abreise genas die Fürstin von Zwillingen, einem Knaben und einem Mädchen, die kerngesund und ausserordentlich schön waren.[257]

Da erscheint nach einem Jahre der Fremde und fragt den Fürsten, welches der beiden Kinder er ihm geben wolle. Dieser aber entschuldigte sich damit, dass er den Knaben als Nachfolger brauche und der Mutter müsse man doch auch eine Freude lassen, er möge sie ihm daher noch alle beide lassen. »Es sei«, sagte der Fremde, »Ich werde also nach fünf Jahren kommen.« Richtig erschien er nach fünf Jahren wie der, aber der Fürst, der beide Kinder unendlich liebte, schlug es ihm rund ab, eines davon herzugeben. Da brach der Fremde in so grässliche Drohungen aus, dass der Fürst heftig darüber erschrack und sich endlich herbeiliess, ihm das Mädchen zu geben, wenn es sechzehn Jahre alt sein würde. Hierauf aber befiel den Fürsten eine ungeheuere Angst und Schmerz und er weinte oft, denn er merkte, mit wem er es zu thun hatte.

Unterdessen war der Knabe nicht bloss grösser, sondern auch vernünftiger geworden. Die fortwährende Traurigkeit seines Vaters betrübte ihn sehr, oft fragte er ihn theilnehmend um die Ursache derselben, erhielt aber nie eine vollkommen befriedigende Antwort auf seine Fragen. Da erzählte es der Knabe einst seinem Lehrer, einem frommen Geistlichen, und dieser ging selbst den Fürsten um die Ursache seines Leides an. »Wohlan denn, frommer Vater! wisset, dass ich Unglücklicher meine Tochter dem Teufel versprochen habe.« »Da habt ihr freilich sehr übel gethan«, sagte der Priester, »aber gebt mir Tag und Stunde an, wenn er kommt, sie zu holen, und dann werde ich auch dabei sein; das wäre nicht übel, wenn ein tadelloser Priester wie ich nicht mit dem Höllengeiste fertig werden könnte.«

Richtig kam zur bestimmten Stunde der Teufel, ging aber nicht in das Zimmer der Prinzessin, weil er den Geistlichen im vollen Ornat und mit dem Allerheiligsten bei ihr sah, sondern blieb an der Thüre stehen.

»Was willst du, Höllengeist?«, rief ihn der Priester an.

»Das Mädchen, das mir versprochen ist«, antwortete der Teufel.[258]

»So ein Versprechen ist zu gottlos, ist nicht gültig, auch hat sie nie eingewilligt.«

»Wollt ihr mir sie nicht geben, so werde ich mir die Princecs selbst holen.«

»Auch das wirst du nicht, ich werde es zu hindern wissen, und jetzt entfliehe.«

»Was? so ein elender Pfaff will mich hindern?«

»Ja, ich fühle mich stark genug dazu durch meine Pflicht und heilige Weihe.«

»O!« sagte der Teufel, »ich gehe jetzt, weil ich weiss warum, aber siehe einmal zu, wie ich mit der Zeit deine Schutzbefohlene zurichten werde.«

Zwei Jahre waren vergangen und der alte Lehrer war gestorben, da wurde des Fürsten Tochter schwer krank und starb. Vor ihrem Tode noch bat sie ihren Vater, er möchte sie nicht gleich begraben, sondern acht Tage in der Kirche aussetzen und bewachen lassen, was auch wirklich geschah; denn als sie in der Kirche auf einem prachtvollen Trauergerüste aufgebahrt war, wurde eine Schildwache dazu gestellt. Da erhob sich um Mitternacht die Prinzessin aus dem Sarge. »Wo ist mein schändlicher Vater?« rief sie mit fürchterlicher Stimme, packte die Schildwache und zerriss sie in Stücke. Am andern Morgen fand man die Kirche offen, die Prinzessin im Sarge, aber von der Schildwache bloss die einzelnen Stücke. Da verbreitete sich unendlicher Schrecken in der ganzen Besatzung, niemand wollte mehr Wache stehen und man musste sich endlich entschliessen, mittelst Kugelung denjenigen auszumitteln, der diesen gefährlichen Posten zu beziehen hatte. Zufälligerweise traf das Loos den Diener eines Hauptmanns, der sich einem Marienbilde verlobt hatte, zu dem er täglich Abends beten ging. Als er den ganzen Tag hindurch über sein trauriges Schicksal geweint und sich von Kameraden und Verwandten beurlaubt hatte, nahm er gegen Ave Maria seine Waffen und ging, bevor er seinen Posten in der Kirche bezog, noch früher zu dem Marienbilde, seine Andacht zu verrichten.

Nachdem er lange und innig gebetet hatte, machte er sich auf den Weg zur Kirche. Da traf er unterwegs ein[259] altes Weib, die ihn um seine Traurigkeit befragte und der er seinen gefährlichen Auftrag erzählte. »Gehe getrost, mein Sohn!« sagte die Alte, »dir wird gar nichts geschehen. Gehe nur vor den Altar der Madonna, schliesse das Gitter hinter dir zu und niemand wird dir etwas anhaben können.« Und so that er, als er in die Kirche kam. Da erhebt sich um Mitternacht die Todte wieder aus dem Sarge. »Vierundzwanzig Stunden ist es, dass ich nicht Menschenblut getrunken habe. Wo ist mein schändlicher Vater, dass ich ihn zerreisse für das niederträchtige Versprechen, das er gegeben hat.« Rings wüthete sie in der Kirche herum, wie eine Löwin, aber sie fand die Wache nicht und legte sich endlich wieder in den Sarg.

Am andern Morgen fand man die Schildwache zwar lebend, aber auch an allen Gliedern bebend von der ausgestandenen Todesangst. Da liess ihn der Fürst zu sich berufen und liess sich alles erzählen, was er gesehen und gehört. »Du bist die wahre Wache«, sagte der Fürst, »thue mir doch den Gefallen und stehe heute Nacht wieder Wache.« Der Bursche fand dieses fürstliche Zutrauen zwar sehr ehrenvoll, aber doch bedurfte es langen Zuredens, bis er sich dazu herbeiliess, nochmals das Wagniss zu bestehen.

Abends ging er wieder zu seinem Marienbilde, dankte für den genossenen Schutz und betete, es möge ihn auch heute wieder in seine mächtige Hut nehmen. Da trifft er beim Weggehen wieder eine andere Alte, die ihn theilnehmend befragt, wohin er gehe und der er wieder seinen Auftrag erzählt. Auch diese tröstete ihn und sagte: »Sei ganz unbesorgt, mein Kind! setze dich nur in den Beichtstuhl und es wird dir gar nichts geschehen.« Da setzte er sich in den Beichtstuhl und erwartete nicht ohne grosse Angst die Mitternachtsstunde. Als diese geschlagen, begann der nämliche Auftritt wie in der verflossenen Nacht, nur noch fürchterlicher. Aber auch diesmal blieb er unentdeckt von der Prinzessin und kam mit der blossen Angst davon.

Da stellte der Fürst an ihn die Bitte, auch die dritte Nacht bei der Prinzessin zu wachen. »Herr!« sprach[260] der arme, beängstigte Diener, »zweimal bin ich dem schrecklichsten Tode bloss durch den Beistand der Madonna und zweier alter Mütterchen entgangen, ihr wisst, der Mensch soll auf Gottes Barmherzigkeit nicht freventlich vertrauen, andererseits habt ihr so viele tapfere Offiziere und Hofkavaliere ...«, aber der Fürst liess ihn nicht ausreden, sondern versprach so viel, bat so schön und stellte ihm vor, wie er eine arme Seele aus den Klauen der Hölle reissen könne, dass er sich wirklich nochmals dazu bereden liess.

Aber als es Abend wurde, wurde ihm doch sehr bange und er kehrte wieder zu seinem Marienbilde und flehte so heiss zur Mutter des Heilandes, damit sie ihm wieder ihren Beistand leiste und guten Rath sende. Diesesmal kam keine Alte, sondern eine stattliche Dame, die ihn befragte, und als er ihr seine bisherigen Erlebnisse und neuen Befürchtungen erzählt hatte, sagte sie mit freundlicher Miene zu ihm: »Dir wird nichts geschehen, komm getrost mit mir zur Kir che.« Als sie dort angelangt waren, sprach sie: »Setze dich hier nieder am Altar, nimm dieses Fläschchen mit Wohlgeruch in die linke Hand, öffne den Tabernakel und nimm die Monstranz in die rechte und erwarte so, was da kommen wird. Die Prinzessin wird sich wieder erheben und zwar schrecklicher als je, denn heute ist der Tag der Entscheidung für ihre arme Seele. Mit ihr werden vier Männer kommen, und die werden sich aufstellen in der Kirche, zwei links und zwei rechts, und sich ihren Körper zuwerfen, wie einen Spielball. Nach einer Stunde werden sie auf die Stufen zum Altar einen Teppich breiten, den Körper der Prinzessin darauf legen und sie mit einem grossen Schwerte in Stücke zerschneiden wollen; dann fasse Muth und wirf ihnen die Monstranz entgegen.« Nachdem die Dame so gesprochen, entfernte sie sich mit würdevollem Schritte, er aber harrte in grosser Angst der Mitternachtsstunde. Als diese vom Thurme herabklang, erhob sich auch die Prinzessin aus dem Sarge, grässlicher als je, denn Feuer sprühte sie aus Augen und Munde. Aerger als je fluchte sie ihrem Vater und suchte nach einem[261] Opfer ihrer Wuth. Da wurde sie auf einmal von den vier Männern gepackt, erbarmungslos herumgeschleudert und endlich auf den Teppich gelegt. Schon war das grosse Schwert gezogen, schon hatte einer der Männer es zum Hiebe erhoben, als sich auch unser Held ermannte und ihnen das Hochwürdige entgegenwarf. Da war plötzlich Alles entschwunden, bloss zu seinen Füssen lag, dem Tode nahe, die ächzende Prinzessin.

Er legte nun den Teppich mehrfach zusammen, bettete sie darauf und labte sie mit dem Riechfläschchen der Dame, worauf sie in einen tiefen Schlaf verfiel; er aber, erschöpft von den ausgestandenen Gemüthsbewegungen und der dreimaligen Wache, legte sich daneben und schlief nicht minder fest ein.

Am nächsten Morgen kam der Fürst selbst mit seinem Sohne in die Kirche nachzusehen, und als er beide fest schlafend fand, liess er sie sanft aufheben und auf einem vierspännigen Wagen in sein Schloss führen, wo jedes in ein eigenes Zimmer gelegt noch lange fortschlief.

Kaum war die Prinzessin erwacht, so rief sie nach ihrem Vater und Bruder, und diese, die am Fusse ihres Bettes schon lange und sehnsüchtig auf ihr Erwachen gewartet hatten, eilten in ihre Arme. »Ach!« rief sie, »wie froh bin ich, dass ich euch nach so langen und fürchterlichen Leiden wieder umarmen kann.«

Als die erste Freude des Wiedersehens vorüber war, fragte sie nach ihrem Retter, und als man ihr meldete, dass er im Nebenzimmer ruhe, sagte sie: »Bringt ihn zu mir, denn der mir allein beigestanden, der die Schrecknisse und Gefahren dieser Nächte mit mir getheilt und mich gerettet hat, der soll auch künftig mein Bett mit mir theilen.«

Am nämlichen Tage noch feierten sie ihre Hochzeit und lebten miteinander glücklich ein langes, gesegnetes Leben, das Marienbild aber wurde zum Andenken feierlichst auf dem Altar ihrer Schlosskapelle aufgestellt.


Vgl. Sommer, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen, Märchen, Nr. 5; Curtze, S. 168; Simrock,[262] Deutsche Märchen, Nr. 2; Wolf, Deutsche Hausmärchen, S. 258; Ey, S. 1; Stier, Ungarische Volksmärchen aus Gaal's Nachlass, Nr. 10; »Ausland« 1858, S. 117 (rumänisches Märchen) und Kletke's Märchensaal, Bd. 2, S. 60 (ehstnisch). Das sächsische Märchen steht dem venetianischen am nächsten. Es ist das einzige, welches gleich jenem damit beginnt, dass ein kinderloser König ein Kind wünscht, und wenn es auch vom Teufel käme, worauf in Jahresfrist die Königin eine Tochter, die über und über schwarz ist und schon sprechen kann, gebar. Das waldeckische Märchen beginnt auch damit, dass ein König über seine Kinderlosigkeit bekümmert ist. Einst begegnet ihm ein schwarzes Männchen, fragt nach der Ursache seines Kummers und sagt dann, er solle ein Töchterchen erhalten, sie werde aber im zwölften Jahre wieder sterben.

Quelle:
Widter, Georg/Wolf, Adam: Volksmärchen aus Venetien. In: Jahrbuch für Romanische und Englische Literatur 8 (Leipzig: 1866) 3ff, S. 257-263.
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