6. Der Kaufmannssohn aus Genua.

[390] Ein Genueser Kaufmann hatte drei Schiffe zur See, die alle drei glücklich zurückkehren. Von den Kapitänen berichtet der Eine, wie er an einer Insel mit einem feuerspeienden Berge vorbeigekommen; der Zweite, er habe auf einer Insel einen herrlichen Palast erblickt; der Dritte, dass er eine Insel mit einem grossen Platze gesehen habe, auf dem die ausgesuchtesten Blumen gewesen. Diese Erzählungen erregen in dem Sohne des Kaufmanns den Wunsch, jene Inseln zu besuchen. Der Vater gestattet die Reise und befiehlt den Kapitänen, seinem Sohne zu gehorchen. Die beiden ersten Inseln werden ohne Unfall besucht, während aber der Kaufmannssohn auf der dritten einen Strauss sich zu pflücken beschäftigt ist, sieht der Kapitän des dritten Schiffes, welcher den Sohn seines Herrn begleitet hatte, ein starkes Gewitter herannahen und schifft sich alsbald ein, jenen auf der Insel zurücklassend. Der Kaufmannssohn, der bloss noch drei Geldstücke hat, wird dafür von einem Fischer ans Festland gebracht, wo er bei einem andern Fischer Aufnahme findet, denn Genua ist, wie er hört, noch 3000 Meilen weit. In des Fischers Hause sind mehrere Stuben, deren Schlüssel derselbe dem Fremden übergibt, indem er ihm sagt, in welche Stube er zu gehen hat, wenn er essen, oder schlafen, oder sich ankleiden will. Nur den Eintritt in eine Stube verbietet er ihm. Trotz des Verbotes aber geht der Kaufmannssohn in diese, nachdem ihn der Fischer allein im Hause gelassen, und findet in einer Kommode verborgen einen Diamanten,[390] welcher die Kraft hat, jeden Wunsch dessen, der ihn trägt, zu erfüllen. So wird es ihm leicht, sich nach Genua zu versetzen. Dort aber hatte der König dem die Tochter zu geben versprochen, der einen ebenso schönen Palast erbaue, als der königliche. Mit Hülfe des Steines gelingt dies dem Kaufmannssohn, der nun die Königstochter heirathet. Unterdessen ist aber auch der Fischer nach Genua gekommen, wo er als Lumpensammler auftritt. So erhält er von der Prinzessin die alten Kleider ihres Mannes, während dieser mit dem Könige auf der Jagd ist. Da nun aber in jenen alten Kleidern der Diamant sich befand, wird der Fischer wieder Besitzer desselben. Als solcher wünscht er das Verschwinden des Palastes. In Folge dessen sieht daher eines Morgens der König, wie seine Tochter und deren Mann vor seinem Palaste auf der Erde schlafen. Sogleich lässt er seinen Schwiegersohn in's Gefängniss werfen. Sein Vater aber besucht ihn in demselben und bringt ihm auf seinen Wunsch die Katze des Hauses. Dieser trägt der Gefangene auf, ihm den Diamant zu holen, was die Katze auch sehr geschickt ausführt. Mit Hülfe des Diamanten wird der Palast wieder hergestellt, weshalb der König dem Kaufmannssohne die Tochter wieder zurückgibt. Der Letztere erklärt, wie im Diamanten seine Kraft bestehe, und wie dieser ihm vom Fischer geraubt worden. Während dieser Auseinandersetzung geht der Fischer gerade am Palaste vorüber. Alsbald wird er festgenommen, in den Kerker geworfen, sowie auch alle Reichthümer, die er in seinem Hause aufgehäuft hatte, ihm genommen werden. So konnte der Kaufmannssohn ruhig leben.

Quelle:
Widter, Georg/Wolf, Adam: Volksmärchen aus Venetien. In: Jahrbuch für Romanische und Englische Literatur 8 (Leipzig: 1866) 3ff, S. 390-391.
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