[33] 62. Die Geschichte von Bensurdatu.

Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten drei wunderschöne Töchter. Diese Töchter hatten sie über die Maßen lieb, und thaten Alles, um sie zufrieden und glücklich zu sehen.

Eines Tages nun sprachen die drei Königstöchter: »Lieber Vater, wir möchten so gerne heute aufs Land fahren, und dort zu Mittag essen.« »Ja, liebe Kinder, thun wir das,« sprach der König, und gab sogleich seine Befehle. Ein schönes Mittagessen wurde bereitet, und der König, die Königin und ihre drei Töchter fuhren aufs Land. Als sie nun gegessen hatten, sprachen die drei Mädchen: »Liebe Eltern, wir wollen uns ein wenig im Garten ergehen. Wenn ihr wieder nach Hause fahren wollt, so ruft uns nur.« Kaum aber waren die drei Mädchen in den Garten getreten, so senkte sich eine große schwarze Wolke herab, und trug sie fort.

Nach einer Weile wollten der König und die Königin nach Hause zurückkehren, und riefen deßhalb ihre Töchter, die waren aber nirgends zu finden. Sie suchten im ganzen Garten, im Hause, auf dem Felde, – vergebens, die drei Mädchen waren und blieben verschwunden. Denkt euch den Schmerz des Königs und der Königin. Die arme Mutter jammerte den ganzen Tag, der König aber ließ verkündigen, wer ihm[33] seine Töchter wiederbringe, solle Eine davon zur Frau haben und nach ihm König werden.

Nun befanden sich am Hofe zwei junge Generale, die sprachen zu einander: »Wir wollen uns aufmachen, und die Königstöchter suchen, vielleicht ist es unser Glück.« Also machten sie sich auf, und es hatten Jeder ein schönes Pferd, ein Bündel Kleider und etwas Geld. Sie mußten aber eine lange, lange Zeit reiten, also daß ihr Geld zu Ende ging, und sie ihre Pferde verkaufen mußten. Nach einiger Zeit ging auch dieses Geld zu Ende, und sie mußten auch ihre Kleider verkaufen. Endlich blieben ihnen nur die Kleider, die sie auf dem Leibe trugen. Da es sie nun hungerte, traten sie in ein Wirthshaus, und ließen sich zu essen und zu trinken geben. Als sie aber bezahlen wollten, sprachen sie zum Wirth: »Wir haben kein Geld, und haben nichts mehr als unsere Kleider. Nehmt diese als Bezahlung, und gebt uns statt dessen eine ärmliche Kleidung, so wollen wir bei euch bleiben und euch dienen.« Der Wirth war es zufrieden, brachte ihnen ärmliche Kleider, und so blieben die beiden Generale bei ihm und dienten ihm.

Unterdessen warteten der König und die Königin voll Sehnsucht auf ihre lieben Kinder, die kamen aber nicht wieder, und die Generale auch nicht. Nun hatte der König einen armen Soldaten, der Bensurdatu hieß, und ihm schon viele Jahre treu gedient hatte. Als Bensurdatu sah, daß der König immer so traurig war, sprach er eines Tages zu ihm: »Königliche Majestät, ich will ausziehen, und eure Töchter suchen.« »Ach, Bensurdatu, drei Töchter habe ich schon verloren, und zwei Generale dazu, soll ich dich auch noch verlieren?« Bensurdatu aber sprach: »Lasset mich nur ziehen, königliche Majestät; ihr sollt sehen, daß ich euch eure Töchter zurückbringe.«

Da willigte der König ein, und Bensurdatu zog aus, und machte denselben Weg, den die Generale vor ihm gemacht hatten. Endlich kam er an dasselbe Wirthshaus und verlangte zu essen. Da kamen die beiden Generale, um ihn zu bedienen, in ärmlicher Kleidung; er erkannte sie aber doch, und frug ganz erstaunt, wie sie dahin gekommen seien. Sie[34] erzählten ihm Alles, und Bensurdatu rief den Wirth herbei, und sprach: »Gib den Beiden ihre Kleider zurück, so will ich dir bezahlen, was sie schuldig sind.« Da nun der Wirth die Kleider brachte, legten die Generale dieselben wieder an, und machten sich dann mit Bensurdatu wieder auf den Weg, um die schönen Königstöchter zu suchen.

Sie wanderten wieder eine lange Zeit, und kamen endlich in eine öde, wilde Gegend, wo weit und breit keine menschliche Wohnung zu sehen war. Als es aber schon dunkelte, sahen sie von ferne ein Licht, und da sie näher hinzu gingen, fanden sie ein kleines Häuschen und klopften an. »Wer ist da?« frug eine Stimme. »Ach, erweiset uns die Barmherzigkeit, und gebet uns ein Nachtlager,« antwortete Bensurdatu, »wir sind müde Wandrer und haben uns verirrt.« In dem Häuschen aber wohnte eine steinalte weise Frau, die machte ihnen auf und ließ sie herein. »Woher kommt ihr, und wohin geht ihr?« frug sie. Da antwortete Bensurdatu: »Ach, gute Alte, wir haben eine schwere Arbeit unternommen; wir sind ausgezogen, die drei Töchter des Königs zu suchen.« »O, ihr Unglücklichen! das werdet ihr nimmer ausführen können, denn die Königstöchter sind von einer schwarzen Wolke geraubt worden, und dort, wo sie jetzt sind, kann sie Niemand finden.« Da bat Bensurdatu die Alte, und sprach: »Wenn ihr wisset, wo sie sind, so saget es uns, denn wir wollen unser Glück versuchen.« »Wenn ich es euch auch sage,« sprach die Alte, »so könnet ihr sie doch nicht erlösen; denn dazu müßt ihr in einen tiefen Brunnen hinuntersteigen, und wenn ihr unten angekommen seid, so werdet ihr zwar die Königstöchter finden, aber die beiden Aelteren sind von zwei Riesen bewacht, und die Jüngste ist in der Gewalt eines Lindwurms mit sieben Köpfen.« Da das die Generale hörten, fürchteten sie sich, und wollten nicht weiter, Bensurdatu aber sprach: »So weit sind wir gekommen, nun müssen wir auch die Arbeit vollenden. Saget uns, wo dieser Brunnen ist, so wollen wir morgen früh hingehen.« Da sagte es ihnen die Alte, und gab ihnen etwas Käse, Wein und Brot, damit sie sich stärken sollten, und nachdem sie gegessen hatten, legten sich Alle schlafen.[35]

Am nächsten Morgen bedankten sie sich bei der weisen Frau und zogen dann weiter.

So wanderten sie, bis sie zum Brunnen kamen, und der eine General sprach: »Ich bin der Aelteste, und will zuerst hinuntersteigen.« Er ließ sich an einem Strick festbinden, nahm ein Glöckchen mit, und fing an hinunter zu steigen. Kaum aber war er ein wenig in die Tiefe gekommen, so ertönte ein solches Donnern und Getöse, daß er ganz erschreckt das Glöckchen läutete, und sich so schnell als möglich wieder hinaufziehen ließ.

Nun kam der zweite General an die Reihe, es ging ihm aber nicht besser als dem ersten. Als er das Getöse hörte, erschrak er so, daß er sein Glöckchen läutete, und sich eilig wieder hinaufziehen ließ.

»Was seid ihr für tapfere Leute,« rief Bensurdatu, »jetzt will ich es auch einmal versuchen.« Da ließ er sich anbinden, und ließ sich herzhaft in den Brunnen hinab, und als er das Donnern hörte, dachte er: »Lärme du nur, mir thust du damit nicht weh.« Als er nun auf den Grund des Brunnens kam, fand er sich in einem großen, schönen Saal, und in der Mitte saß die älteste Königstochter, und vor ihr saß ein großmächtiger Riese, den mußte sie lausen, und er war dabei eingeschlafen. Als sie nun Bensurdatu erblickte, winkte sie ihm, um ihn zu fragen, weßhalb er gekommen sei. Da zog er sein Schwert, und wollte auf den Riesen zu; sie machte ihm aber schnell ein Zeichen, sich zu verstecken, denn der Riese war aufgewacht, und brummte: »Ich rieche Menschenfleisch!« »Ach, wo sollte das Menschenfleisch herkommen,« antwortete sie, »es kommt ja kein Mensch zu uns; schlaft nur ruhig wieder ein.« Als aber der Riese schlief, machte ihr Bensurdatu ein Zeichen, sie solle sich ein wenig zurückbiegen, zog sein Schwert, und hieb mit einem Streich den Kopf des Riesen ab, daß er in eine Ecke flog. Die Königstochter aber war hoch erfreut, und dankte ihm, und schenkte ihm eine goldne Krone. »Jetzt zeiget mir, wo eure Schwester ist,« sprach Bensurdatu, »ich will sie auch erlösen.«

Da machte die Prinzessin eine Thür auf, und führte ihn in einen[36] zweiten Saal, darin saß die zweite Königstochter, und der Riese saß vor ihr, den mußte sie lausen, und er war dabei eingeschlafen. Als sie aber hereinkamen, machte ihnen die Königstochter ein Zeichen, sie sollten sich verstecken, denn der Riese war aufgewacht, und brummte: »Ich rieche Menschenfleisch!« »Wo sollte das Menschenfleisch herkommen!« antwortete sie, »es kann ja Niemand herein dringen; schlaft nur ruhig ein.« Als er aber schlief, kam Bensurdatu hervor, und hieb ihm mit einem Streiche den Kopf ab, daß derselbe weit weg flog. Die Königstochter dankte ihm voller Freude, und schenkte ihm auch eine goldne Krone. »Jetzt will ich auch noch eure jüngste Schwester erlösen,« sprach Bensurdatu; die Königstochter aber erwiderte: »Ach, das wird dir nimmer gelingen, denn sie ist in der Gewalt eines Lindwurms mit sieben Köpfen.« »Führet mich nur hin,« antwortete Bensurdatu, »ich will ihn schon bekämpfen.«

Die Königstöchter machten ihm eine Thür auf, und da er hereintrat, stand er in einem großen Saal; darin war die jüngste Königstochter mit schweren Ketten gefesselt, vor ihr aber lag ein Lindwurm mit sieben Köpfen, der war grauenhaft anzusehen, und richtete sich auf, um den armen Bensurdatu zu verschlingen. Der aber verlor den Muth nicht, sondern kämpfte mit dem Lindwurm, bis er ihm alle sieben Köpfe abgehauen hatte. Dann löste er die Ketten, mit denen die arme Königstochter gefesselt war, und sie umarmte ihn voll Freude, und schenkte ihm auch eine goldne Krone. »Jetzt wollen wir auch an die Oberwelt zurückkehren,« sprach Bensurdatu, führte sie zu dem Grunde des Brunnens, und band die älteste Königstochter fest, und als er läutete, zogen die Generale sie glücklich hinauf. Dann warfen sie den Strick wieder hinunter, und Bensurdatu band die zweite fest.

Nun waren nur noch die Jüngste und Bensurdatu übrig; da sprach sie: »Lieber Bensurdatu, thu mir den Gefallen, und laß dich zuerst hinaufziehen, denn sonst üben die Generale einen Verrath an dir aus.« »Nein, nein,« antwortete Bensurdatu, »ich will dich nicht hier unten lassen, sei ohne Sorgen, meine Gefährten werden mich nicht verrathen.«[37] Da sprach die Königstochter: »Wenn du denn nicht anders willst, so will ich mich zuerst hinaufziehen lassen. Eines aber verspreche ich dir: Wenn du nicht kommst um mein Gemahl zu werden, so werde ich mich niemals verheirathen.« Nun band er die Königstochter fest, und die Generale zogen sie hinauf.

Als sie aber nun den Strick noch einmal hinabwerfen sollten, wurde ihr Herz von Neid erfüllt gegen den armen Bensurdatu, also daß sie ihn verriethen und verließen. Die Königstöchter aber bedrohten sie, und zwangen sie zu schwören, sie würden ihren Eltern sagen, die beiden Generale hätten sie erlöst. »Und wenn man euch nach Bensurdatu fragt, so saget, ihr hättet ihn nicht erblickt,« sprachen sie. Also mußten die Königstöchter schwören, und die beiden Generale brachten sie an den Hof; und der König und die Königin waren voll Freude, als sie ihre lieben Kinder wiedersahen. Weil aber die Generale erzählten, sie hätten die Königstöchter erlöst, so gab ihnen der König voll Freude seine beiden ältesten Mädchen zu Gemahlinnen. – Lassen wir sie nun, und sehen nach dem armen Bensurdatu.

Erst wartete er eine lange Zeit, als aber der Strick nicht wieder heruntergeworfen wurde, merkte er, daß seine Gefährten ihn verrathen hatten, und dachte: »Ach, wehe mir! wie kann ich nun wieder hinaus.« Da ging er durch alle Säle, und in einem derselben sah er einen schön gedeckten Tisch, und da ihn hungerte, setzte er sich hin und aß. Nun mußte er eine lange Zeit dort unten bleiben, denn er fand kein Mittel, wieder hinauszukommen.

Eines Tages aber, da er durch die Säle ging, sah er an der Wand einen Geldbeutel hängen, und als er ihn in die Hand nahm, da war es ein Zauberbeutel, der sprach: »Was befiehlst du?« Da wünschte er sich aus dem Brunnen heraus zu sein, und als er oben war, wünschte er sich ein großes, schönes Schiff, bemannt und bereit zur Abfahrt. Und kaum hatte er es sich gewünscht, so lag da ein wunderschönes Schiff, und vom Maste wehte eine Fahne, darauf stand: »König von drei Kronen.« Da setzte er sich aufs Schiff, und fuhr in die Stadt, wo der König[38] wohnte, und als er in den Hafen kam, fing er an zu schießen. Als das der König hörte, und das schöne Schiff sah, dachte er: »Was muß das für ein mächtiger Herrscher sein, der drei Kronen hat, und ich habe nur eine.« Deßhalb fuhr er ihm entgegen, und lud ihn ein, in sein Schloß zu kommen, und dachte: »Das wäre ein Mann für meine jüngste Tochter; denn die jüngste Königstochter war noch immer nicht verheirathet, und so viele Freier auch um sie geworben hatten, sie hatte Keinen angenommen.«

Als nun der König mit Bensurdatu kam, erkannte sie ihn nicht, weil er so prächtige königliche Kleider trug. Der König aber sprach zu ihm: »Edler Herr, nun wollen wir essen und fröhlich sein, und wenn es möglich ist, so erweiset mir die Ehre, und nehmet meine jüngste Tochter, zur Gemahlin.« Bensurdatu war es zufrieden, und sie setzten sich Alle zum Mahle nieder, und waren fröhlich und guter Dinge; nur die jüngste Königstochter war traurig, denn sie dachte an Bensurdatu. Da sprach der König zu ihr: »Liebe Tochter, dieser edle Herrscher will dich zu seiner Gemahlin erheben.« »Ach, lieber Vater,« antwortete sie, »ich habe ja keine Neigung, mich zu verheirathen.« Da wandte sich Bensurdatu zu ihr, und sprach: »Wie aber, edles Fräulein, wenn ich Bensurdatu wäre, würdet ihr mich da wohl heirathen?« Und als ihn alle verwundert anschauten, fuhr er fort: »Ja, ich bin Bensurdatu, und so und so ist es mir ergangen.«

Als der König und die Königin das hörten, wurden sie hoch erfreut, und der König sprach: »Lieber Bensurdatu, du sollst meine jüngste Tochter zur Gemahlin haben, und wenn ich einst sterbe, so sollst du die Krone erben. Ihr Verräther aber müsset meine Staaten verlassen, und euch nie wieder blicken lassen.«

Also mußten die beiden Generale das Reich verlassen; der König aber hielt drei Tage Festlichkeiten, und verheirathete seine jüngste Tochter mit Bensurdatu. Und so blieben sie zufrieden und glücklich, wir aber haben das Nachsehen.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. 33-39.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon