Die Sprache der Tiere.

[91] Ein Vater hatte seinen Sohn zehn Jahre bei den Studien. Nach diesen zehn Jahren schrieb ihm der Lehrer des Sohnes einen Brief, daß er kommen und den Knaben zurücknehmen möge, da er nicht mehr wisse, was er ihn lehren solle. Der Vater nahm seinen Sohn zurück und gab ihm zu Ehren ein großes Gastmahl, zu dem er die vornehmsten Herren des Landes einlud.

Nach vielen Reden dieser Herren sagte einer der Gäste zu dem Sohn: »Nun, junger Herr, sagen Sie uns etwas Schönes von dem, was Sie gelernt haben.« – »Ich habe die Sprache der Hunde, der Frösche und der Vögel gelernt.« – Auf diese Worte brachen alle in ein großes Gelächter aus und gingen fort, spottend über den Stolz des Vaters und die Einfalt des Sohnes. Über dessen Antwort schämte sich der Vater so und geriet in solchen Zorn gegen ihn, daß er ihn zwei Dienern übergab mit dem Befehl, ihn in einen Wald zu führen und zu töten, darauf ihm sein Herz zu bringen. Die beiden Diener hatten nicht den Mut, diesen Befehl auszuführen und töteten statt des Jünglings einen Hund, dessen Herz sie ihrem Herrn brachten.

Der Jüngling floh aus dem Lande und kam in ein sehr entferntes Schloß, wo der Schatzmeister des Fürsten wohnte, der unermeßliche Schätze besaß. Er bat um Herberge und erhielt sie. Kaum aber war er im Hause, so umringte eine große Menge Hunde das Schloß. Der Schatzmeister fragte ihn, ob er wisse, weshalb so viele Hunde gekommen wären. Der Jüngling, der ihre Sprache verstand, antwortete, es wolle sagen, daß diesen Abend hundert Mörder das Schloß angreifen würden und daß er sich vorsehen möge. Der Schloßherr legte darauf zweihundert Soldaten in Hinterhalt ringsum das Schloß, und abends nahmen sie die Mörder gefangen.[92]

Der Schloßherr war so voll Dank gegen den Jüngling, daß er ihm seine Tochter geben wollte. Er aber erwiderte, jetzt könne er sich nicht aufhalten, aber in einem Jahr und drei Tagen werde er zurückkehren. Als er dann das Schloß verlassen hatte, kam er in eine Stadt, wo die Tochter des Königs sehr krank war, weil die sehr zahlreichen Frösche in einem Weiher nahe beim Palast mit ihrem Quaken sie nicht schlafen ließen. Der Jüngling verstand, daß die Frösche so quakten, weil das Mädchen ein Kreuz in den Weiher geworfen hatte, und kaum war das Kreuz herausgeholt, so genas die Prinzessin. Auch der König wollte den braven Jüngling mit seiner Tochter vermählen, der aber sagte auch hier, in einem Jahr und drei Tagen werde er wiederkommen. Er grüßte dann den König und reiste weiter auf dem Wege nach Rom. Unterwegs traf er zwei Jünglinge, die sich ihm anschlossen.

Eines Tages, da eine große Hitze war, legten sich alle drei zum Schlafen unter eine Eiche. Auf einmal flog ein großer Vogelschwarm auf die Eiche und sang so laut, daß die drei Wanderer aufwachten. »Warum singen diese Vögel so lustig?« fragte einer. – Der Jüngling antwortete: »Sie freuen sich über den neuen Papst, der einer von uns sein wird.« – Und sogleich setzte sich eine Taube ihm aufs Haupt.

Wirklich wurde er kurz darauf Papst. Dann schickte er nach seinem Vater, dem Schatzmeister und dem König, und alle drei erschienen zitternd vor ihm, weil sie wußten oder glaubten, sich irgendwie gegen ihn vergangen zu haben. Der Papst aber ließ sie von ihrem Leben erzählen, wandte sich dann zu seinem Vater und sagte: »Ich bin der Sohn, den du hast wollen töten lassen, weil ich gesagt hatte, ich verstünde die Sprache der Hunde, der Frösche und der Vögel. So hast du an mir getan, während ein Schatzmeister und ein König mir außerordentlich dankbar waren für dies mein Wissen.« – Der Vater weinte bitterlich vor Reue, der Sohn aber verzieh ihm und behielt ihn bei sich bis an seinen Tod.


(Monferrato)

Quelle:
Heyse, Paul: Italienische Volksmärchen. München: I.F. Lehmann, 1914, S. 91-94.
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