[21] Alles aus einer Erbse.

[21] Eine alte Frau wollte sich ein Gericht Erbsen kochen. Sie stand am Fenster und fing an die Erbsen zu lesen, als ihr eine durch die Finger sprang und hinabfiel auf die Straße. Unter ihr aber wohnte eine andere Frau, die hatte nichts als einen Hahn. Wie der Hahn die Erbse herankugeln sah, lief er sogleich hinzu und pickte sie auf. Die Alte hatte das gesehen und eilig stieg sie hinab zu der Herrin des Hahnes und sagte:


Meine Erbse gibst du mir,

Oder ich nehm's Hähnchen dir.


Und das sagte sie so oft und so lange, bis die arme Frau, nur um sie endlich los zu werden, ihr den Hahn überließ. Sie nahm ihn und ging damit weiter.

Da kam sie an ein Haus, vor dem ein anderes Weib saß, dieses bat sie und sprach: »Ich habe da einige Geschäfte, thue mir den Gefallen und behalte mir meinen Hahn so lange, bis ich wieder da bin.« Die andere wollte anfangs nicht, denn sie hatte ein Schwein und dachte wol, dieses könne den Hahn fressen; endlich that sie es doch, und die Alte ging fort. Was jene vorgesehen hatte, geschah: das Hähnchen kam dem Schwein zu nahe und dieses verzehrte es mit Stumpf und Stiel.[22]

Kommt die Alte zurück und verlangt ihr Hähnchen. Da jammert die andere und sagt: »Ich hab's vorhergewußt, was geschehen werde!« – »Und was ist geschehen?« – »Oh das Schwein hat dein Hähnchen aufgefressen!« Da wurde die Alte fuchswild und rief: »Was geht mich das an? Warum hast du nicht besser aufgepaßt?


Entweder gibst mein Hähnchen mir,

Oder ich nehm's Schweinchen dir!«


Der andern half es nichts, sie mußte ihr Schwein herausgeben, und das trieb die Alte ganz vergnügt davon.

Kam sie zu einer, die hatte eine Kuh im Stalle, die bat sie und sprach: »Ich habe da etwas zu thun und bitte dich, liebe Gevatterin, mein Schweinchen so lange zu behalten, bis ich zurück bin.« Die hatte zwar keine rechte Lust, meinte aber endlich, es könne nichts Böses dabei sein, und sperrte das Schweinchen zu der Kuh im Stall. Die Kuh kam jedoch ein böser Appetit an und sie fraß das Schwein mit Haut und Haaren auf. Beim Zurückkommen sagt die Alte: »Da bin ich, gib mir jetzt mein Schwein.« Die andere jammerte und schlug die Hände zusammen und rief: »Das Schweinchen kann ich dir nicht wiedergeben, das hat die Kuh gefressen!« Die Alte redete dagegen: »Schweinchen hin, Schweinchen her, was geht das mich an? Hättest du besser aufgepaßt:


Entweder gibst mein Schweinchen mir,

Oder ich nehm's Kühlein dir.«


Die andere mochte sich stellen, wie sie wollte, die Alte stritt so lange, bis sie die Kuh herausbekam, und mit der zog sie ganz vergnügt ihres Weges, sagte auch zu dem Manne, der mit ihr war: »Hast du gesehen, wie[23] aus einer Erbse eine Kuh kommen kann? Schauen wir weiter zu!«

So gelangte sie an ein Haus, da wohnte eine Witwe mit ihrer Tochter, das war ein wunderschönes Mädchen, dem das Kuhfleisch über alles ging. Wie die Alte da ihre Kuh einstellen wollte, sträubte sich die Mutter des Mädchens und sagte: »Deine Kuh könnte gefährdet sein, kommt meine Tochter die Lust an, so verzehrt sie dieselbe, was thu' ich dann?« Endlich aber, um des Weibes unverschämten Geilens willen, nahm sie die Kuh auf ihren Hof, und die Alte ging fort. Wie gedacht, so geschah's. Die Tochter konnte ihre Lust nicht bezähmen, schnitt ein Stück nach dem andern von der Kuh herunter, bis nur noch die Knochen übrig waren. Wie die Alte zurückkam, lief ihr die Witwe entgegen und rief: »Das Unglück ist geschehen: meine Tochter hat die Kuh aufgegessen. Ich hab's dir doch vorausgesagt!« Daran kehrte sich die Alte aber gar nicht, sondern sagte: »Das geht mich gar nichts an, da trage nun die Folgen, warum hast du nicht besser aufgepaßt:


Entweder gibst mein Kühlein mir,

Oder ich nehm's Mädchen dir!«


»Mein Kind?« rief die Witwe, »mein Kind kann ich dir nicht geben!« – »Und ich«, antwortete die Alte, »kann dir meine Kuh nicht lassen.« Es fing ein großes Streiten an, bis die Witwe mürbe wurde und das Mädchen herausgab. Das wurde in einen Sack gesteckt, den lud sie ihrem Gefährten auf und wanderte weiter.

Sie kam auf einen Berg, da wohnte ein uraltes Mütterlein, das war eben daran, Waffeln zu backen. Die andere trat herzu und bat sie, ihr den Sack aufzubewahren, bis sie zurückkäme. Das Mütterlein befürchtete[24] zwar, daß man ihr den Sack stehle, endlich ließ sie sich doch überreden, und das Weib ging fort.

Das alte Mütterlein war aber des Mädchens im Sacke Großmutter, und wie der Sack hinter der Thür lag, hörte sie auf einmal aus ihm heraus eine Stimme, die sprach:


Großmutter, Todtengesicht,

Bäckst dir Waffeln und gibst mir nichts;

Ich riech' es hinter der Thür,

Großmutter, gib auch mir!


»Das ist die Stimme meiner Enkelin«, sagte das Mütterlein, »wo steckst du denn?« Und das Mädchen antwortete aus dem Sacke: »Hier bin ich, im Sacke hinter der Thür.« – »Aber wie bist du dahineingerathen?« – »Mach' nur erst auf«, rief jene, »dann will ich dir alles erzählen.« Großmutter öffnete den Sack und ließ das Mädchen heraus und erfuhr die ganze Geschichte. Nun hatte die Alte einen großen Hund, den steckte sie mit einem Laib Brot an Stelle der Enkelin in den Sack, und die Enkelin versteckte sie im Keller. Da klopfte es an der Thür, es war die Frau, welche kam, ihren Sack zurückzuverlangen: »Heda, wollt Ihr mir wol meinen Sack zurückgeben?« »Ja, ja«, erwiderte die Alte, »dort liegt er, nehmt ihn nur.« Der Mann lud ihn sich auf die Schultern und stieg weiter auf den Berg, wo er ihn absetzte, um auszuruhen. Die Frau wollte nachsehen, was das Mädchen mache, bändelte den Sack auf, und heraus sprang der große Hund, der fiel wüthend über sie her und zerriß sie alle beide.


Aus einer Erbse, bittre Noth,

Fanden Mann und Weib den Tod!

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 21-25.
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