[234] Das Märchen vom Hahn und der Maus.

[234] Ein Hahn und eine Maus gingen einmal zum Nußbaum, um Nüsse herunterzuschlagen. Der Hahn flog auf den Baum, schüttelte die Nüsse herunter und warf sie der Maus zu. Diese öffnete sie, fraß den Kern heraus und verschloß die Schalen dann wieder. Gevatter Hahn merkte das und rief: »Höre, Gevatterin Maus, wenn ich jetzt hinunterkomme, soll dir's schlecht gehen.« Er flog vom Baume hinab und zerhackte ihr tüchtig den Schädel. Die Maus lief davon, ging zum Arzte und rief:


Arzt, Arzt, Aerztchen,

Heil' mir meinen Schädel.

Hatt' ein Nüßlein nur gemaust,

Hat der Hahn mich so zerzaust.


Der Arzt antwortete: »Bring' mir Lappen!« Die Maus ging zum Lumpensammler und rief:


Lumpensammler, gib mir Lappen,

Lappen muß dem Arzte bringen.

Arzt, Arzt, Aerztchen

Heilt mir meinen Schädel.

Hatt' ein Nüßlein nur gemaust,

Hat der Hahn mich so zerzaust.


Sprach der Lumpensammler: »Bring' mir erst Pommade.« Und die Maus lief zum Kaufmann und sagte:
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Kaufmann, gib mir schnell Pommade,

Muß zum Lumpenmann sie tragen.

Lumpensammler gibt mir Lappen,

Lappen muß dem Arzte bringen.

Arzt, Arzt, Aerztchen

Heilt mir meinen Schädel.

Hatt' ein Nüßchen nur gemaust,

Hat der Hahn mich so zerzaust.


Der Kaufmann sagte: »Erst bring' mir Eier.« Nun ging die Maus zu der Henne und rief:


Gib mir Eier, gute Henne,

Muß damit zum Kaufmann rennen.

Kaufmann gibt mir schnell Pommade,

Muß zum Lumpenmann sie tragen.

Lumpensammler gibt mir Lappen,

Lappen muß dem Arzte bringen.

Arzt, Arzt, Aerztchen

Heilt mir meinen Schädel.

Hatt' ein Nüßchen nur gemaust,

Hat der Hahn mich so zerzaust.


Da sagte die Henne: »Erst bring' mir Mehl.« Da kroch die Maus des Nachts unter die Thür des Müllers, lud sich das Mehl auf und brachte es der Henne. Die gab ihr Eier, die Eier brachte sie zum Kaufmann, der gab ihr die Pommade, die Pommade trug sie zum Lumpenhändler und sagte:


Lumpensammler, gib mir Lappen,

Lappen muß dem Arzte bringen.

Arzt, Arzt, Aerztchen

Heilt mir meinen Schädel.

Hatt' ein Nüßchen nur gemaust,

Hat der Hahn mich so zerzaust.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 234-236.
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