[158] Das goldene Schachspiel.

[158] Ein reicher Herr hatte einen Pachter, der war die Sparsamkeit selbst und gewann sich nach und nach eine Heerde von zwölf Schafen. Als er starb, ließ er die Schafe seinem Sohne Peter und sprach zum Herrn: »Ich lege Euch meinen Sohn ans Herz, seid freundlich zu ihm.« Dieser Herr liebte nichts so sehr als das Schachspiel und meinte, er wolle es auch einmal mit dem Sohne seines Pachters versuchen. Er rief ihn und sprach: »Peter, komm, wir wollen um ein Schaf spielen.« Peter antwortete: »Herr, was brauchen wir lange zu spielen, alle meine Schafe sind Euer.« Der Herr sagte: »Es ist nicht um die Schafe, es ist um das Spiel, und spielen müssen wir.« So setzten sie sich und begannen zu spielen. Sie spielen, und Peter gewinnt. »Setzen wir jetzt der Schafe zwei«, sagt der Herr. Und wieder gewinnt der Knabe. Der Herr setzt vier Schafe, er setzt acht, dann sechzehn, zuletzt zweiunddreißig ... der Knabe gewinnt und gewinnt. Und da die Nacht herum war, hatte er alle Schafe und Ziegen seines Herrn gewonnen. Sagt zu ihm der Herr: »Peter, heute verkaufst du die Milch auf deine Rechnung.« – »O nein«, antwortet dieser, »wie kann das sein, Ihr seid[159] der Herr und ich der Knecht.« Doch der Herr ließ nicht ab und sagte, es müsse so sein.

Am nächsten Abend ruft der Herr den Knaben wiederum zum Schachspiel und sagt: »Heute setze ich eine Kuh gegen acht von deinen Schafen.« Peter mußte gehorchen und gewann die Kuh. Der Herr sagt: »Jetzt eine Kuh gegen eine Kuh.« Und Peter gewann wieder. Er warnte den Herrn, dieser aber wollte nichts hören, und so setzte Peter, in der Hoffnung, seinen Herrn einen guten Gewinn machen zu lassen, hundert Schafe gegen zwölf Kühe; aber auch hier gewann er. Der Herr setzte darauf vierundzwanzig Kühe, er setzte vierundvierzig ein, er verlor, und Peter gewann ihm alle seine Kühe ab. Der Herr ergrimmte, sagte aber doch: »Morgen verkaufst du auch die Kuhmilch auf deine Rechnung.« Und obschon sich der Knabe weigerte, blieb es doch dabei.

Jetzt besaß der Herr nur noch die Pferde und die Maulthiere, und wie sie am Abend wieder beim Spiel saßen, setzte er diese gegen die Kühe: zwölf gegen zwölf, vierundzwanzig gegen vierundzwanzig, und so fort, bis er auch sie alle miteinander an Peter verloren hatte. Jetzt setzte er Haus und Hof ein, aber eins, zwei, drei, Peter gewinnt auch diesmal, und aus war es.

»Peter«, sagte darauf der Herr, »jetzt kannst du mich zu deinem Knecht nehmen. Willst du, so bleib' ich, willst du nicht, geh' ich meiner Wege.« Peter antwortete: »Wenn es Euch recht ist, so bleibet als Verwalter der Güter, ich bin es gar wohl zufrieden.« So versorgte der Herr die Geschäfte und kam oft in die Stadt, die Waaren zu Markte zu bringen. Eines Tages fand er an den Mauern große Zettel angeschlagen, darauf stand geschrieben, daß die Tochter des Königs von Spanien[160] sich vermählen wolle, und zwar sollte derjenige ihr Mann sein, der sie im Schachspiel besiege. Eilig kam der Verwalter nach Hause und sagte es Peter an, wie er jetzt sein Glück machen könne. »Gehe hin«, sprach er, »du wirst siegen!« Nun ließ sich der Jüngling bei einem Goldschmiede ein Schachbret machen, das man nach Art eines Buches öffnen und schließen konnte. Das Schachbret war golden, die Schachfiguren halb aus Silber, halb aus Gold. Darauf macht er sich, als Bauer gekleidet, auf den Weg, wandert und wandert; weil aber die Sonne gar zu mächtig war, schläft er unter einem Baume ein. Drei Feen gehen vorüber, sehen den Jüngling und sagen: »Wie schön ist er! Wollen ihm eine Gabe zurücklassen.« So legte ihm die erste einen Beutel, die zweite ein Tafeltuch, und die dritte eine Violine zur Seite, und sie sprachen: »So oft er den Beutel öffnet, soll er ihn immer gefüllt finden. So oft er das Tafeltuch ausbreitet, soll es ihm Speise und Trank geben. So oft er auf der Violine spielt, muß tanzen, wer ihn hört.« Sie verschwanden, und Peter erwachte. Erwachte und rieb sich die Augen und sprach: »War das ein Traum? Drei Frauen beschenkten mich?« Er sieht sich um und findet die Sachen: Beutel, Tafeltuch und Violine. Schnell nimmt er das Tuch, breitet es aus und wünscht sich, zu essen. Und da standen sie: Mehlspeisen, Braten, Fische, Würste, was das Herz begehrte, und er aß, wie er noch nie gegessen. Dann lud er sich die Sachen auf und ging vergnügt weiter. Er kam aber an einen Kreuzweg und wußte nicht, welches die Straße nach Spanien war. Ein Schweinehirt war nicht weit davon, den rief er an und sprach: »He, Gevatter, wohin[161] geht der Weg nach Spanien?« Der gab ihm, grob wie er war, keine Antwort, sondern drehte ihm den Rücken. »Ei«, sagte Peter, »den wollen wir geschmeidig machen; sehen wir einmal zu, was die Violine kann.« Er zieht sie hervor, und beim ersten Striche schon fängt der Grobian mitsammt seinen Schweinen zu tanzen an, tanzt und tanzt, daß er den Athem verliert und nur noch rufen kann: »Gnade, Gnade! Genug, genug! Um der Barmherzigkeit willen!« Jetzt erst hört Peter auf, setzt die Violine ab, und der Schweinehirt weist ihm ganz artig den Weg nach Spanien.

Er kommt dort an, geht durch die Stadt und sucht den Palast des Königs. Man zeigt ihm diesen, und da steht auch an der Thür angeschlagen wieder die Bekanntmachung des Königs. Er ist also zur Stelle und will eintreten, die Schildwache hält ihn zurück und fragt: »Was willst du?« – »Mit der Königstochter Schach spielen.« – »Ei du Bauerlümmel«, rief die Wache, »mach', daß du fortkommst! So viele Kaiser und Könige sind gekommen und haben mit der Prinzessin gespielt, wie darfst du es wagen?« Peter zeigte auf die Bekanntmachung und wollte mit Gewalt hinein. Bei dem Lärm, der entstand, schauten die Hofleute zum Fenster heraus und fragten, was los sei. »O«, rief die Wache hinauf, »es ist hier ein Bauerlümmel, der durchaus mit der Prinzessin Schach spielen will.« Und jene: »Laßt ihn nur herein, der König will es also.« Da trat Peter ein und ging zum Könige; der läßt die Tochter rufen und sagt zu ihr: »Was willst du thun? Dieser Bauer verlangt, mit dir zu spielen, mit dem wirst du bald fertig.« Die Königstochter nahm ganz stolz ihr Schachspiel und forderte den Jüngling auf, mit ihr zu kommen.[162] Doch kaum sieht dieser das Schachspiel, so ruft er: »Wie, eine Königstochter will auf so schlechtem Brete spielen? Ist das auch schicklich? Das darf ich nicht leiden.« Und nimmt das Schachbret und wirft es zum Fenster hinaus. Dann zieht er sein goldenes hervor. Wie das die Prinzessin sieht, denkt sie: »Ich muß auf meiner Hut sein, das ist sicher kein gemeiner Bauer.« Als sie die Figuren theilten, gab er der Königstochter die goldenen und behielt die silbernen für sich. Das Spiel begann, und gar bald standen die Dinge für die Königstochter schlimm genug. Sie war nahe daran zu verlieren, da gibt sie ihm von hinten einen tüchtigen Knipp ins Fleisch, und wie sich Peter umsieht, versetzt sie rasch die Figuren, und er verliert. »Du hast verloren«, ruft sie triumphirend. »Herr König, er hat verloren, laßt ihn zu den andern ins Gefängniß werfen!« Es geschah so, und die andern waren Könige, Königssöhne und Prinzen, an zwei Dutzend, die gleich ihm verloren hatten. Peter brachte Leben in die Gesellschaft, sie trieben ihren Witz mit ihm und hänselten ihn, wo sie nur konnten. Peter blieb erst ruhig und sagte: »Laßt mich in Frieden, es möchte euch schlecht bekommen, denn ich würde euch die Beine gehörig lupfen.« Das war aber nur Oel ins Feuer, und sie trieben es jetzt ärger als zuvor. Da stellte sich Peter in einen Winkel, holte seine Geige hervor, strich darauf, und nun ging ein Tanzen los, daß die Herren nur so flogen. Gar bald hatten sie den Athem verloren und riefen: »Genug! Hör' auf! Peterchen, hör' auf!« Er aber spielte wacker drauf los und sprach: »Kühlt euch nur erst gehörig das Blut ab, dann wollen wir uns weiter sprechen.« Wie er glaubte,[163] es sei genug, steckte er seine Geige ein, und jetzt wurden sie die allerbesten Freunde, kamen herbei und nannten ihn ihren lieben Bruder.

Zwei oder drei Tage waren vergangen, da fragte die Kronprinzessin den Gefangenwärter: »Nun, was macht man im Gefängnisse?« – »O«, antwortete dieser, »seitdem der Bauer drinnen ist, herrscht eitel Lustbarkeit unter den Gefangenen.« – »So«, antwortete sie, »man muß ihnen also den Brotkorb höher hängen, du wirst ihnen nichts mehr zu essen bringen.« Da bekamen die Herren lange Gesichter und fragten Peter, ob er etwa auch aus Steinen Brot machen könne? Und Peter antwortete: »Ja freilich kann ich das. Habt nur keine Angst, wir werden ein köstlich Mahl halten.« Jetzt paßten sie auf, wie er das machen wolle, aber die Küche blieb finster, kein Feuer ward angezündet, die Katze lag in der Asche und schlief. Da meinten sie wol, er habe sie zum besten, denn die Essensstunde war gekommen. Plötzlich fragte sie Peter: »Nun, ihr Herren, was wollt ihr essen?« Sie antworteten: »Uns ist es gleich, gib uns, was du willst!« Sie setzten sich, und Peter breitete das Tischtuch zwischen ihnen aus ... und da stand ein Essen für vierzig Personen und mehr bereitet: Suppe, Brot, Braten, Fisch, Kuchen und Wein von allen Sorten und aus aller Herren Ländern. Kaum war ein Gericht zu Ende, stand auch schon ein neues da; so ging es bis zum Gefrorenen und zum Kaffee. Anfangs hatten sie große Augen gemacht, dann aber langten sie zu und es ließ sich keiner nöthigen. Den Rest des Mahles gab Peter dem Gefangenwärter, denn so erfuhr es der König gewiß, daß sie in Saus und Braus lebten. Wirklich lief dieser auch sofort zum Könige und[164] erzählte ihm alles. Da befahl ihm die Prinzessin, den Bauer zu ihr zu führen. Er kam, und sie sagte: »Peter, wie hast du es angefangen, die Leute so köstlich zu tractiren?« – »Das möchtet Ihr wol gern wissen? Nun, ich will's Euch sagen: ich habe da ein Tischtuch, das mir alles gibt, was ich verlange.« Das hätte die Prinzessin gern gehabt, und sie forderte Peter auf, mit ihr zu spielen, sie wolle ihre Person und er solle das Tischtuch einsetzen. Sie begannen, und wieder war Peter fast Sieger, als ihm die Prinzessin mit der linken Hand einen Knipp gibt, und wie Peter sich umschaut, versetzt sie die Figuren, und Peter verliert die Partie. Und wieder mußte er ins Gefängniß. »Wie dumm bist du, Peter«, riefen ihm die Herren entgegen, »wie dumm, lässest dich zum andern mal betrügen.« Er erzählte den Kniff der Prinzessin, fing dann an auf seiner Geige zu spielen, und alle waren lustig und guter Dinge acht Tage lang.

Nach acht Tagen fragte die Königstochter den Gefangenwärter: »Wie steht's im Gefängnisse?« – »O Herrin«, antwortete der, »was ich Euch damals gesagt: man singt, lacht und tanzt und ist guter Dinge. Der Bauer hat eine ganz wunderbare Violine.« Da befahl sie, den Peter zu ihr zu führen, und sie begann: »Du bist ja ein Hexenmeister, Peter. Deine Violine möchte ich wol haben. Wir spielen darum, du setzest die Violine, ich dagegen meine Person.« Peter war bereit, das Schachspiel begann. Diesmal hatten ihn die Herren gewarnt und gesagt: »Gib wohl Acht, kneift sie dich wieder, so dreh' dich nicht um, sonst kommst du aufs neue ins Gefängniß.«[165]

Peter trieb sie gar arg in die Enge, und sie merkte, daß sie sich helfen mußte wie die andern mal. Peter aber paßte auf, und wie sie ihn von hinten knipp, packt er ihre Hand fest und sagt: »Jetzt spielt!« Sie bat ihn, ihre Hand loszulassen, er aber zwang sie, erst fertig zu spielen, und da verlor sie. Das war ihr gar nicht lieb, und sie sprach: »Ich habe da zwei Gegenstände von dir, nimm sie, setze sie, und ich halte meine Person dagegen.« Peter jedoch lachte sie aus und sagte: »Nein, nein, nichts da! Ich bin Sieger und will es bleiben.«

Sie kommen vor den König, und dieser, dem das Treiben seiner Tochter schon lange nicht gefallen hatte, sagte: »So ist's recht, meine Tochter hat ihren Mann gefunden, wenn es auch nur ein Bauer ist.« Einer der Edelleute redete dagegen: »Das kann unmöglich ein Bauer sein, seht doch nur, wie vortrefflich er Schach spielte, und Geld hat er auch. Dahinter muß etwas stecken.«

Peter, kaum frei geworden, schrieb seinem Verwalter einen Brief: »Eben habe ich die Prinzessin im Schach besiegt, ich habe nichts mehr nöthig und mache Euch zum Herrn über meine Güter.« Dann zog man ihm prächtige Kleider an, und eine große Tafel wurde gedeckt. Peter ließ auch alle die königlichen Gefangenen aus dem Kerker holen, und nach Tische war ein großer Ball. Die Nacht kam, aber niemand fiel es ein nach Hause zu gehen, es schien, das Fest wollte kein Ende nehmen. Peter währte das zu lang, er rief seine Gemahlin: »Komm, stelle dich zu mir.« Dann fing er an die Geige zu streichen, und nun begann ein Wirbeln und[166] Walzen zur Thür hinaus, die Treppe hinunter, auf die Straße, und das Schloß war bald wie gekehrt. Nur der König und die Königin blieben zurück und Peter mit seiner jungen Frau.


Sie blieben glücklich und zufrieden;

Uns aber, uns ist nichts beschieden.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 158-167.
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