[3] »Es war einmal ...«

Es war einmal ein Bauer, der hatte drei Söhne, an Gütern aber nichts als einen Esel mit Sattel und Gurt. Als es nun mit ihm zu Ende ging, rief er die Söhne, machte das Testament und sprach: »Dem Aeltesten lass' ich den Esel, dem Zweiten den Sattel, dem Jüngsten aber den Gurt.« So starb er.

Der Aelteste wußte mit dem Esel nichts anzufangen und zog aus, ihn zu verkaufen. Er kommt an dem Hause eines reichen Kaufmanns vorbei, der schaut eben zum Fenster heraus, sieht den Bauer mit dem Esel, ruft ihn an und spricht: »Heda, guter Freund, hast du wol Lust, den Esel zu verkaufen?« Der Bauer antwortet: »Warum nicht, mein Herr!« Sagt der Kaufmann: »So höre, wie wir den Handel machen wollen. Ich setze alle meine Güter gegen deinen Esel. Kannst du mir nun ein Märchen erzählen, ohne zu beginnen: ›Es war einmal ...‹, so bekommst du die Waaren und wirst ein reicher Mann. Sagst du aber: ›Es war einmal ...‹, so verlierst du den Esel und scherst dich zum Teufel!« Der Bauer glaubte gewonnen Spiel zu haben und schlug ein, und als ihn der Kaufmann noch fragte, wieviel Zeit er wolle, sich das Märchen zu überlegen, antwortete er: »Drei Tage.«[3]

Die drei Tage waren um, der Kaufmann trat zu ihm und sprach: »Nun erzähle dein Märchen!« Der Bauer sprach: »Ich bin bereit«, und hub an: »Es war einmal ...« »Halt!« fiel ihm der Kaufmann ins Wort, »du hast den Handel verloren. Es war ausgemacht, ein Märchen zu erzählen ohne die Worte ›Es war einmal‹.« Der Bauer war ganz verblüfft und sagte: »Wohl, ich habe verloren.« Er ließ dem Herrn den Esel und ging seiner Wege. Als er nach Hause zu seinen Brüdern kam, erzählte er ihnen alsogleich, wie es ihm ergangen. »Ich zog«, sprach er, »in die Stadt, den Esel zu verkaufen. Da schaute ein Kaufmann zum Fenster heraus, der fragte mich, ob ich den Esel losschlagen wolle. Wir wetteten, ich verlor, und er hat nun das Thier.«

Die Erzählung ging dem Besitzer des Sattels zu Herzen, es kam ihm die Lust, sein Glück zu versuchen, und er ging in die Stadt. Hier traf er den Kaufmann und bot ihm den Sattel zum Verkauf an. Sie schlossen den gleichen Pact und er verlor gleicherweise. Jetzt macht sich der Jüngste mit dem Gurte auf den Weg und findet den Kaufmann, der auch alsobald bereit ist, alle seine Güter gegen den Gurt zu setzen, so er ihm ein Märchen erzähle ohne die Worte »Es war einmal«. Der Knabe geht darauf ein, und der Kaufmann fragt nur noch: »Wieviel Zeit verlangst du?« Darauf der Knabe: »Vierundzwanzig Stunden.«

Die vierundzwanzig Stunden waren um, der Kauf mann läßt ihn rufen und sagt: »Bist du bereit, so erzähle dein Märchen.« Da hub der Bauer an und erzählte:


Meine Mutter hat eine Glucke gehegt,

Die hat zwei Eier ins Nest gelegt.[4]

Sie brütet, und brütet 'nen jungen Hahn,

Der fängt gar lustig zu krähen an:

»Scher' dich zum Teufel, du Kaufherrlein,

Deine Schätze, die sind jetzt mein!«


So hatte er es glücklich fertig gebracht, ohne zu sagen: »Es war einmal.« Die Wette war gewonnen, und der Kaufmann mußte ihm alle seine Güter herausgeben.


So lebt er glücklich und zufrieden,

Uns aber, uns ist nichts beschieden.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 3-5.
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