Eus tres conseys.
Die drei Rathschläge.
(Pollensa.)

[60] Es waren ein Mann und eine Frau, welche vor kurzer Zeit geheirathet hatten. Sie waren sehr arm, und der Mann entschloss sich, in die weite Welt zu gehen, um zu sehen, ob er nicht ein Kapitälchen zusammen bringen könnte. Er geht und geht immer weiter; endlich fand er eine Gasse und in einem Hause hörte er einen Herrn, welcher Rechnungen machte und dazu sagte:

– So viel und so viel ist so viel ...

– Aber nein, das geht nicht gut ...

– So viel, so viel und so viel ist so viel, aber nein, meine Rechnung stimmt nicht. Jener Mann blieb ein[61] wenig stehen, um ihn anzuhören und betrat dann das Haus.

Er fragte:

– Herr, mit was sind sie verlegen?

Er sagte:

– Ich habe eine Rechnung zu ordnen, und ich kann sie nicht abschliessen.

– Wollen sie, dass ich sie ihnen mache?

Er sagte:

– Wenn ihr glaubt, dass ihr dazu fähig seid.

– Das ist eine sehr leichte Sache, antwortete er.

Nun also.

Er sagte:

– So viel, so viel und so viel ist so viel.

– Ihr seid geschickt zum Rechnungen[62] abschliessen, sagte der Herr, und wenn ihr bleiben wollt, um mir die Rechnungen zu führen, könnt ihr jetzt gleich dableiben.

Der Mann sagte zu und der Herr fragte ihn, welchen Lohn er wolle und er antwortete ihm:

– Was sie mir geben werden.

Nach langer Zeit, als er sich schon viel Geld erspart hatte, entschloss er sich, nach Hause zurückzukehren, um seine Frau wiederzusehen, welche er seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte; und er sagte es dem Herrn, und dieser bemerkte ihm, dass es ihm sehr leid thue, aber über sein Weggehen habe er zu verfügen.

Bei der Abreise liess ihn der Herr für das, was er mit dem Schweisse seiner Stirne verdient hatte, wählen[63] zwischen einer grossen Geldsumme und drei Rathschlägen, und er wählte die drei Rathschläge.

Der erste war, dass er nie die alten Wege für neue vertauschen solle.

Der zweite war, dass er nie fragen solle, warum eine Sache sei und warum nicht.

Der dritte Rathschlag war, bevor er eine Sache beginne, solle er dreimal darüber nachdenken.

Sodann gab er ihm einen Laib Brod und sagte ihm, dass er es nicht eher anschneiden solle, bis zu dem Tag, an dem er die grösste Freude hätte.

Er reiste ab und auf dem Wege fand er zwei Männer an einer Stelle, wo sich zwei Wege kreuzten. Sie sagten zu ihm:

– Gehet mit uns, auf diesem Wege[64] werden wir früher ankommen, und er dachte an den Rathschlag des Herrn und sagte zu sich – Nein, ich will die alten Wege nicht für die neuen vertauschen.

Die Männer gingen fort auf dem kürzeren Weg und er auf dem alten Weg. Sie gingen weiter, immer weiter und fanden sich endlich zusammen, und von den zweien, die er verlassen hatte, erschien nur einer, weil der andere durch Diebe, die sie getroffen hatten, ermordet worden war. Der Mann, der am Leben geblieben, sagte zu ihm:

– Wisset, dass ihr gut gethan habt, die alten Wege nicht für die neuen zu vertauschen.

Er verfolgte seinen Weg weiter, es überraschte ihn die Dunkelheit und er[65] erblickte ein Lichtchen und ging geradeaus darauf zu. Da fand er ein Landgut und fragte, ob man ihm für jene Nacht Unterkunft geben wolle.

Sie sagten ja und am folgenden Morgen fragte er, ob er fortgehen könne und sie sagten ihm nein, weil alle, welche dahin kämen, drei Tage bleiben mussten. Er blieb die drei Tage und sie gaben ihm gut zu essen und zu trinken und dann frug er abermals, ob er weggehen könne.

Der Pächter bejahte es, indessen könnt ihr sagen, dass ihr der Glücklichste seid von allen Leuten, die hierher gekommen sind, weil sie immer gefragt hatten, warum es so[66] sei, warum es nicht so sei, dass sie drei Tage dableiben sollten und alle, die das fragten, seien in einem Zimmer aufgehängt worden, wo bereits viele Todtengerippe sind.

Er reiste ab und ging weiter und immer weiter und kam endlich in seiner Ortschaft an und bevor er sein Haus aufsuchte, erkundigte er sich bei einem Nachbar, weil er sich schon nicht mehr erinnerte, wo das Haus seiner Frau war. Er stieg auf die Terrasse jenes Hauses und sah seine Frau am Fenster an der Seite eines Geistlichen. Er vermuthete Böses und wollte auf sie einen Schuss abfeuern, aber er dachte an den dritten Rathschlag, den ihm der Herr gegeben hatte und schoss nicht auf sie. Er beobachtete weiter und[67] es kam ihm wieder das Verlangen, auf sie zu schiessen und wieder hielt er sich zurück.

Zuletzt stieg er herab und frug die Nachbarin, ob sie die Bewusste kenne. Die Frau bejahte es und er frug sie, ob sie sich erinnern könne, dass deren Mann in die weite Welt fortgegangen sei und was für ein Leben jene Frau geführt habe, seitdem ihr Mann fort sei.

Sie antwortete ihm, dass sie eine rechtschaffene Frau sei, nachdem ihr Mann fortgegangen war, hatte sie ein Kind geboren, dieses sei ein Geistlicher geworden, nachdem eine gute Person für ihn die Kosten bezahlt hatte und dass derselbe am nächsten Tage die erste heilige Messe lesen werde.[68]

Er sagte zu ihr:

– Ich bin ihr Mann und die Nachbarin, sehr erfreut, begleitete ihn zum Hause seiner Frau.

Am folgenden Tag feierte der Sohn seine erste heilige Messe und sie bereiteten ein grosses Essen und weil das der schönste Tag seines Lebens war, schnitt er das Brod an, welches sein Herr ihm gegeben hatte und jenes Brod war voll Goldmünzen.

Sie lebten alle gesellschaftlich mitsammen, bis sie starben.

Quelle:
Erzherzog Ludwig Salvator: Märchen aus Mallorca. Würzburg, Leipzig: Verlag der Kaiserlichen und Königlichen Hofbuchhandlung von Leo Woerl, 1896, S. 60-69.
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