24. Die neugierige Frau

[63] Marianne, die grösste Schwätzerin zu Piéve, verheiratete sich. Sie war jedoch nicht nur geschwätzig, sondern auch neugierig, was ihr zum Verhängnis wurde. In der Brautnacht sogar stand Marianne vom Bette auf und öffnete das Fenster, um die Zahl der jungen Leute zu erfahren, welche sie niedersangen.

Einige Tage nach der Hochzeit sprach ihr Mann, Buzetto, zu ihr: »Ich gehe in die Arbeit, sieh dazu, dass bei meiner Rückkehr die Suppe fertig ist.« – »Sie wird fertig sein,« erwiderte Marianne, doch kaum hatte sie das Wasser aufs Feuer gesetzt, als sie am Marktplatz einen Streit hörte. – »Ah, wer schreit? Ich glaube, es ist die alte Piedigialla.« Marianna beeilte sich, hinzuzukommen, denn sie wäre untröstlich gewesen, wenn sie nicht den ganzen Streit hätte verfolgen können.

[63] Mittags kam Buzetto heim. »Ist die Suppe fertig?« – »Die Suppe? Nein, denn ich hatte kaum Zeit Feuer zu machen. Wenn du nur wüsstest, was sich Piedigialla und Murichetta alles ins Gesicht sagten, sie lagen sich in den Haaren und ...« – »Ich frage dich nochmals, ob die Suppe fertig ist.« – »Aber, ich habe doch keine Zeit gehabt, ich sagte dir doch, dass Piedigialla ...« – »Lass mich in Ruh mit den Streitereien der alten Weiber! Ein anderesmal, wenn ich wieder eine Suppe will, so sieh darauf, dass sie hier ist.« – »Heute Abend bekommst du sicher eine.«

Gegen ein Uhr putzte Marianne die Erdäpfel, da hörte sie den Klang von Trommeln, Klarinetten und anderen Musikinstrumenten heraufdringen. »Das ist aber schön,« dachte sich die junge Frau und sofort rannte sie, die Suppe und alles übrige vergessend, die Treppe hinab, um die Musiker zu sehen. Die Musik schien ihr gut zu gefallen, denn schon war es Abend und Marianne war noch immer nicht zurück. Als Buzetto kam, suchte er sie vergebens. »Wo kann sie denn sein?« dachte er sich, wurde zornig und wartete.

Als sie endlich kam, rief er ihr zu: »Von wo kommst du denn?« – »Ach, armer Buzetto, du tust mir leid! Ich habe bedauert, dass du nicht auch die schöne Musik hörtest. Einen Marsch haben sie gespielt, der würde Steine zum tanzen bringen, dann ...« – »Na, warte nur, ich werde dich auch tanzend machen.« – Als Marianne versprach, das Haus nicht mehr zu verlassen, sondern zu kochen, da besänftigte er sich bald.

Aber sie vergass noch oft auf ihr Versprechen und brachte ihren Mann zur Verzweiflung, sodass er eines Tages zu seinem Nachbar ging und ihn um Rat fragte. – »Da ist das beste,« erwiderte ihm dieser, »du ziehst sie ganz nackt aus und nimmst ihr alle Kleidungsstücke weg, nimmst auch die Fenster- und Bettvorhänge herunter und sperrst sie ins Haus. Auf diese Art ist sie gezwungen, dir dein Mittagessen zu bereiten.« – »Ich werde deinen Rat befolgen,« erwiderte Buzetto.

Zu Hause angekommen, sprach er zu seiner Frau: »Heute Abend will ich Nudeln haben.« – Marianne sagte zu, aber er hielt es trotzdem für besser, sie zu entkleiden und die Bett- und Fenstervorhänge, dem Rate seines Freundes gemäss, zu verstecken. Marianne bereitete den Nudelteig, walkte grosse Flecke aus und wollte sie gerade trocknen lassen, als sie vom Platze ein Geschrei hörte: »Haltet ihn auf! Haltet ihn auf, [64] den Dieb!« – »Wer kann das sein?« frug sich die junge Frau und lief zur Türe, doch die war abgesperrt. Da sie nicht aus konnte, so dachte sie nach und ein sonderbarer Gedanke kam ihr. »Dass ich doch so vernagelt war!«

Sie band sich die Nudelflecke um, befestigte einen Strick am Fenster und liess sich zur Erde hinab. Bald gelangte sie an den Ort, von wo das Geschrei herkam, aber sie fand dort nur junge Leute, die Lotto spielten. Als sie diese in ihrem sonderbaren Aufzug erblickten, rissen sie ihr die Nudelflecke herab und die arme Frau war nun ..., wie, das wisst ihr wohl, nicht wahr?

Sie wollte in ihr Haus fliehen, aber die Menge umdrängte sie, sodass sie nicht aus konnte. Schamerfüllt begann sie zu schreien, was die übrigen Ortsbewohner nur noch herbeilockte. Endlich befreiten sie einige ebenso geschwätzige und neugierige Freundinnen und sie konnte nach Hause zurückkehren, musste jedoch wieder mit Hilfe des Strickes durchs Fenster steigen.

Einige Zeit danach kam Buzetto heim und wollte die Nudeln haben. – »Lieber Mann, du hast wahrhaftig kein Glück. Als ich sie schon bereitete, hörte ich plötzlich schreien: ›Ein Dieb! Ein Dieb!‹« – »Du hast also die Nudeln nicht fertig?« – »Ich konnte, du wirst das wohl begreifen, bei einem solchen schreien nicht hier bleiben und da ich nackt war, benützte ich die Nudelflecke als Bekleidung, dann ...« – »Was, du hast die Nudelflecke als Kleider benützt?« – »Jawohl, ich stieg dann durchs Fenster auf die Gasse und ...« – »Es ist genug.«

Buzetto nahm einen Strick und schlug auf Marianne so heftig los, dass sie wie tot niederfiel. Dann liess er sie ankleiden und führte sie ins Haus ihrer Eltern. – »Ich bringe euch,« sprach er, »eure Tochter wieder zurück. Sie wird es euch selbst berichten, warum ich sie nicht mehr behalte. Vielleicht könnt ihr ihre Neugierde bändigen. Ich nehme sie nicht früher zurück, als bis sie diesen bösen Fehler abgelegt hat.«

Marianne kam nie mehr zu Buzetto zurück. Warum, das erratet ihr wohl.


(Corsica.)

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 63-65.
Lizenz:
Kategorien: