Vom schlauen Mädchen.

[3] Es fuhr einmal ein Herr und ein Kutscher, und sie kamen zu einem Hause und da spann ein Mädchen. Der Herr schickte den Kutscher zu dem Mädchen, um etwas zu trinken aus dem Hause zu holen, aber das Mädchen sagte ›Bärtiges (d.h. alus, Hausbier; man denke an die Grannen der Gerste) habe ich nicht, und das aus dem Stillen gelaufene (d.h. Waßer) wird er vielleicht nicht trinken.‹ Der Herr aber, der das hübsche Rätsel zu lösen wuste, sagte zu ihr ›Bist du so schlau, so werde auch ich so schlau sein. Wenn du zu mir kommen wirst, weder nackt noch bekleidet, weder zu Pferd noch zu Fuße noch zu Wagen, weder auf dem Wege noch auf dem Fußpfade noch neben dem Wege, im Sommer und zugleich im Winter, so werde ich dich heiraten.‹ Da entkleidete sie sich und hieng sich ein Netz um und setzte sich auf einen Geißbock und ritt zum Herren hin immer im Fahrgeleise und gieng in einen Wagenschuppen und stellte sich da zwischen einen Schlitten und einen Wagen. Jetzt war sie gekommen weder nackt noch bekleidet, weder zu Pferd noch zu Fuße noch zu Wagen, weder auf dem Wege noch auf dem Fußpfade noch neben dem Wege, im Sommer und zugleich im Winter. Aber der Herr wollte sie nicht heiraten und schickte sie nach Hause und ließ ihr abgekochte Eier bringen. Diese Eier sollte sie von einer Henne ausbrüten laßen. Das Mädchen aber kochte Gerstenkörner ab und schickte sie dem Herren hin, die sollte er säen; wenn sie keimen und grünen würden, da würde sie auch die Hünchen ausbrüten laßen. Da sagte der Herr ›Diese Gerstenkörner werden freilich nicht keimen und du wirst keine Grütze für jene Hünchen machen können.‹ Da muste er sie heiraten.[3]

Darnach kamen drei, die im Streite mit einander lagen, zu dem Herren, um sich Recht zu holen; der Eine hatte eine Peitsche, der Andere einen Wagen und der Dritte eine Stute, und die Stute hatte ein Folen. Sie stritten sich nun: der Eine sagte ›Das ist das Folen meiner Peitsche;‹ der Andre sagte ›Das ist das Folen meines Wagens;‹ der Dritte sagte ›Das ist das Folen meiner Stute.‹ Der Herr aber war nicht im Stande, ihren Streit zu schlichten. Da sandte er zu seiner Frau; diese hieß sie sich ein Netz holen, führte sie auf den Berg und ließ sie fischen; und sie konnten da nicht fischen. Da sagte sie zu ihnen ›So wenig ihr auf dem Berge fischen könnt, so wenig kann eine Peitsche ein Folen haben und ein Wagen auch nicht, sondern nur einzig und allein eine Stute kann ein Folen haben.‹

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 3-4.
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