[382] 816. Der Freischütz zu Ewerlingen.

Die adlige Familie von Ewerlingen hatte einen tüchtigen Jäger, der den Schloßherrn auf die Jagd begleitete, gewöhnlich aber allein hinausging, im nahen Gebüsch zu pirschen, und immer schwer mit Wild beladen zurückkehrte. Er war in der Gegend[382] bekannt unter dem Namen Freijäger. Auch sagten die Leute von ihm, er könne das Wild »kommen tun«.

Die Herrschaft von Ewerlingen veranstaltete eines Tages ein großartiges Festmahl. Viele Edle zogen an diesem Tag in das Schloß und der Schloßherr schmeichelte sich mit der Hoffnung, die hohen Gäste mit einem ausgesuchten Gericht zu überraschen, denn der Freijäger hatte ihm für diesen Tag einen herrlichen Hirsch zu liefern versprochen. Der Tag brach an und als der Schloßherr den Jäger nach dem Hirsch fragte, entgegnete dieser: »Er wird bald zur Stelle sein.« Und wirklich, nach einer halben Stunde kehrte er aus dem Gebüsch zurück und trug einen prächtigen Hirsch mit zehnfachem Geweih auf seinen Schultern.

Zu verschiedenen Zeiten des Jahres bezog die Familie ein anderes Schloß. Während ihrer Abwesenheit verwaltete der Freijäger das Schloß von Ewerlingen. So befand er sich einmal dort allein mit dem Kutscher. Nachmittags gingen beide zum Zeitvertreib auf die Jagd. Lange hatten sie Wald und Flur und Feld durchzogen, ohne etwas zu erlegen. Da erblickten sie plötzlich eine große Schar krächzender Raben, die sich auf einem kleinen Birnbaum niederließen. Beide gingen auf den Baum los, die Raben flogen aber nicht auf. »Nun geh«, sagte der Jäger zu seinem Begleiter, »und stoß mit dem Flintenschaft an den Stamm, und ich werde dann ein halbes Dutzend dieser schwarzen Kerle herunterschießen.« Der Kutscher tat, wie jener ihn geheißen, stieß mit dem Schaft seines Doppelgewehres an den Baum und – die gespannten Hähne sprangen zu, es knallte fürchterlich und der Jäger der in einiger Entfernung stand, wälzte sich in seinem Blute. Der Kutscher aber ergriff eiligst die Flucht und niemand hat ihn je wieder gesehen. Der Jäger ging seither in seiner eleganten Jägerkleidung als Geist auf dem Bann von Ewerlingen um, besonders in der Gegend, wo er den Tod gefunden hatte.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 382-383.
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