[414] 882. Der Hexenstuhl bei Tadler.

[414] Wenn man von der Tadler Brücke am linken Ufer der Sauer aufwärts folgt, so gelangt man nach kaum viertelstündigem Gange zu einer ganz romantischen Stelle im Gebirge, die noch heute allgemein im Volksmund »den Hexestull« oder »Prédegstull« genannt wird. Hier erhebt sich eine hohe und steile Bergmasse, die vielfach von nackten Schieferfelsen durchzogen ist. Einer dieser Schieferfelsen bildet den obengenannten Hexenstuhl. Dies war vor vielen Jahren der Aufenthaltsort von Hexen und andern unheimlichen Wesen. Um den Hexenstuhl versammelten sich bei wichtigen Angelegenheiten sämtliche Hexen. Die Vorsteherin derselben bestieg dann den Stuhl und redete zu der ganzen versammelten Schar (weshalb der Ort Prédegstull genannt wird).

Ein Mann von Esch an der Sauer kam in später Abendstunde von einem benachbarten Dorfe an dieser Stelle vorbei. Plötzlich sah er beim Hexenstuhl eine große Anzahl Lichter brennen. Da der Mann das Herz auf dem rechten Fleck hatte, trat er näher hinzu, um zu erfahren, was da vor sich gehe. Als er nahe genug war, sah er auf dem Predigtstuhl ein gewiß über hundert Jahre altes, gräßlich aussehendes Weib, um das sich eine ganze Schar wohl noch häßlicherer Weiber versammelt hatte. Unser Mann ahnte gleich, daß dies die Hexen seien, welche Milch in Blut verwandeln konnten. Trotzdem der Mut ihn zu verlassen droht, hielt ihn die Neugier doch zurück. Da hörte er, wie die Alte das Todesurteil über eine Hexe aussprach, weil dieselbe gegen die Vorschriften gehandelt hatte. Die Exekution sollte auch gleich vorgenommen werden und zwar sollte das »nichtswürdige Weib«, wie die Alte sich ausdrückte, auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden. Jetzt wurde es dem Zuschauer doch zu unheimlich. Er ergriff die Flucht und war bald aus dem Bereich der Hexen. Umzuschauen wagte er doch noch einmal und da sah er ein mächtiges Feuer auflodern, in welchem die Hexe verbrannt wurde.


Lehrer H. Georges

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 414-415.
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