[445] 940. Die Hexe zu Marnach.

[445] Zu Marnach im Ösling fiel einem braven Bauersmann alles Vieh, Pferde, Kühe und Schafe, eines nach dem andern im Stalle tot nieder. So oft er andere Pferde oder Kühe kaufte, immer fand man dieselben tot im Stalle, so daß er zuletzt kein Vieh mehr halten konnte und seine Ländereien verkaufen mußte.

Ein Porzellanhändler kam eines Abends mit seinem schwer beladenen Esel ins Dorf und bat den Bauern, ihn über Nacht zu beherbergen. Der Bauer kannte den Eseltreiber, da derselbe schon oft bei ihm eingekehrt war; in den drei letzten Jahren jedoch war der Händler nicht mehr in dem Dorf gewesen. »Euch kann ich wohl beherbergen« sagte der Bauer, »Euren Esel aber nicht; denn alles Vieh, das in meinen Stall kommt, stirbt in der nämlichen Nacht.« Und nun erzählte er dem Eseltreiber das Unglück, das ihn betroffen. »Wenn's nichts weiter ist«, sagte dieser, »so laßt mich gewähren« und er führte den Esel in den Stall. Darauf setzten sich beide zum Nachtessen hin.

Nach einer Stunde kehrten sie in den Stall zurück, nachdem der Eselstreiber noch seinen Knotenstock zur Hand genommen hatte. Als sie eintraten, saß über dem Esel in dem Râf eine schwarze Katze. Ein schneller Schlag mit dem Knotenstock und herab in die Mulde fiel ein am Kopfe blutendes, altes Weib, das keiner kannte. »Was hast du hier verübt?« fragte der Porzellanhändler. – »Nichts, gar nichts«, antwortete das alte Weib. Nach einem zweiten Schlag mit dem Stock bekannte das Weib, daß es vierzig Stunden weit zu Hause sei und seit Jahren jeden Abend hiehin komme, um dem Bauern Unglück zu bereiten. Man behielt das Weib die Nacht über im Hause und gab ihr sogar zu essen, nachdem es eidlich versprochen hatte, nie mehr der Familie ein Leid zuzufügen.

Des anderen Morgens kam der Nachbarssohn mit einem Teimer; man lud die Hexe auf und schaffte sie vom Marnacher Bann weg; da wurde sie ausgeschüttet. Als man nach einigen Minuten sich nach ihr umschaute, war sie verschwunden und nie mehr sah man nachher sie wieder.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 445-446.
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