[488] 1022. Der Retter in der Not.

Zu Luxemburg lieh eine arme Schustersfrau bei einem reichen Manne achtzehn Franken, um ihrem Manne Leder zum Verarbeiten zu verschaffen. Der Reiche forderte sein Geld zurück, als die von ihm gesetzte Frist vorüber war. Die arme Frau wußte nicht, was sie anfangen sollte; ihr Mann hatte noch viel Arbeit zu machen und den Erlös dann erst einzuziehen. In ihrer Not ging sie zum hl. Antonius in die Knuodlerkirche (auf dem jetzigen Wilhelmsplatz) beten, er möge ihr doch durch seine Fürbitte bei Gott Hilfe senden. Das hatte sie schon verschiedene Male getan; so ging sie dann auch eines Morgens zur Kirche in der Meinung, es sei Zeit, um in die Frühmesse zu gehen. Der Mond schien hell. Wie sie in die Knuodlergasse kam, sah sie einen großen Geistlichen vor sich auf- und abgehen. Er kam auf sie zu. Sie glaubte, es sei Pater X. und grüßte: »Gelobt sei Jesus Christus!« Er fragte sie, wohin sie gehe. Die arme Frau erzählte ihm ihr Leid, worauf der Geistliche sie ihm zu folgen hieß. Die Frau folgte ihm, er ging in das frühere Clees'sche Haus, machte die Türe auf, zog den Schrank des Ladentisches auf und zählte ihr achtzehn Franken hin: »Nun geht in Frieden nach Haus.« Es schlug zwölf Uhr.

Wie nun der Schuster seine Arbeit abgeliefert und den Gewinn derselben eingezogen, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als dem Knuodlergeistlichen die achtzehn Franken zurückzuerstatten. Die Frau nimmt das Geld, geht ins Knuodlerkloster und begehrt den Pater X. zu sprechen. »Bester[488] Herr Pater«, sagte sie, »ich bringe Ihnen das Geld wieder, das Sie mir geliehen.« – »Ich Ihnen Geld geliehen?« – »Ja, Herr Pater«, und nun erzählte sie ihm die ganze Begebenheit, »ich habe mir Ihre Person gut gemerkt. Sie waren es und kein anderer.« – »O, meine gute Frau, ich war es nicht, und der Ihnen das Geld gegeben, hat es Ihnen gegeben, um es zu behalten. Seid immer recht fromm und behaltet das Geld in Ruhe. Das gehört Ihnen rechtmäßig an.«


M. Erasmy

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 488-489.
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