[85] 199. Der große Mann aus Remerich bei Esch a.d. Alzet.

In »Ehleringer-Erdchen«, hinter der Holzung Remerech bei Esch an der Alzet, hielten eines Abends spät drei Escher Burschen mit ihren Pferden in der Nachtweide. Etwas nach Mitternacht, als sie eben nach Hause fahren wollten, sahen sie plötzlich beim fahlen Mondschein einen kleinen, alten Mann aus dem Walde hervortreten und mit langsamen Schritten schweigend auf und ab gehen. Derselbe trug einen langen, schwarzen Rock mit weiten Ärmeln und einen ellenhohen, oben zugespitzten Hut ohne Schirm. Er hatte einen langen, weißen Bart und graues Haar, welches unter der sonderbaren Kopfbedeckung in Locken bis auf die Schultern herunterhing.[85]

Die drei Burschen waren über diese Erscheinung nicht wenig erstaunt. Sie getrauten sich nicht, ein Wort zu sprechen, und schauten eine Weile mit Bestürzung zu. Dem Verwegensten jedoch schien die Sache zu lange zu werden. »Sôt Petter, wuor gitt der?« fragte er beherzt. Es erfolgte keine Antwort. Er wiederholte die Frage, jedoch vergebens, der sonderbare Mann schien nichts gehört zu haben und ging immer schweigend auf und ab. Daraufhin wurde der Fragende unwillig und rief zum drittenmal: »Ma Petter, sit der dan der Deiwel, oder wien sit der?« Kaum hatte er ausgeredet, da erhob sich die Gestalt des vordem so kleinen Mannes. Er wurde zusehends immer größer und größer, zuletzt so groß wie ein »Wiesbaum«. Mit funkelnden Augen stand er da und erhob mit wütiger Gebärde die Hände gegen den verwegenen Weidjungen. Zu gleicher Zeit gab es einen Krach, wie wenn alle Bäume im Walde zusammenbrächen. Der Himmel bedeckte sich mit finsteren Wolken und ein heftiger Sturmwind sauste mit grausigem Getöse über die Fluren. Die Pferde wurden wild, schnoben und liefen auf einen Haufen zusammen. Der Todesschweiß ging den dreien aus. Sie hatten nichts Eiligeres zu tun, als aufzusitzen und spornstreichs nach Hause zu jagen. Erst als sie an das Dorf herankamen, wagten sie miteinander zu sprechen.


J. Schmit zu Esch an der Alzet

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 85-86.
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