[178] 413. Das Schankemännchen.

A. In der Schankegriècht zwischen Grosbus und Reimberg zog früher jeden Abend das Schankemännchen als Jäger, von Hundegebell und Geheul umgeben, über die Gefilde hin. Ein Lichtstreifen bezeichnete seinen Weg, denn er brannte vom Feuer der Hölle. Der Papst hat ihn vor etwa fünfzig Jahren gebannt.


B. In der Schankegriècht, nahe am Wege, der nach Reimberg führt, geht das Schankemännchen um, das schon oft den nächtlichen Wanderer geängstigt hat. Dieses war ein Jäger und für den Unfug, den er besonders an den Sonntagen getrieben, wurde er in die Schankegriècht verzaubert.

Während der Nacht konnte man oft weithin das Bellen der Hunde und das Hollageschrei des Jägers vernehmen. Auch wagte sich niemand gern während der Nacht an der Schankegriècht vorbei, weil der seltsame Jäger durch allerlei Schabernack den Wanderer ängstigte und ihn vom rechten Weg abbrachte.


Lehrer J. Scholler


C. Im Pratzertale geht noch immer das Schankemännchen um. In einer Waldschlucht befindet sich ein schöner, mit Namen und Inschriften über und über bedeckter Felsen. Unter diesem Felsen soll das Schankemännchen residieren, daher der Name: dem Schankemännchen séng Brâk. Das Männchen ist steinalt und knöchern und hat einen langen, weißen Bart. Nur während der Nacht tritt er seine Rundreise an. Er führt in seiner Hand einen gewaltigen Eisenstab, unter dessen Schläge die Erde erdröhnt.


D. Ein Knecht weidete seine Pferde in der Nähe der Schankegriècht. Er saß auf einer Anhöhe und sang mit kräftiger Stimme sein Abendlied. Plötzlich hielt der Jüngling inne, denn es tönte Hörnerschall und Hundegebell an sein Ohr. »Das muß eine große Treibjagd sein,« dachte der Jüngling bei sich, »so was hast du noch nicht gehört.« Das Gekläff und das Rufen kam näher, und unserem Jüngling fing doch an, sonderbar zu Mute zu werden. »In der tiefen Nacht hält man doch keine Treibjagd,« sagte er zu sich, »das ist gewiß Schankemännchen, der in der Gegend herumrumort.« Er hörte noch ein Weilchen dem brausenden Jagdspiel zu. Da entfuhren ihm die Worte: »Schankemännchen, schieß auch mir ein Wild.« Gleich hörte er Schuß auf Schuß fallen und bei diesem Piff, Paff! befiel ihn eine solche Angst, daß er augenblicklich seine Pferde koppelte und nach Hause ritt.[178]

Nachdem er die Pferde in den Stall geführt, schlug er die Türe hinter sich zu und schob den schweren Riegel vor. Gleich darauf schlug jemand so furchtbar an die Tür, daß sie schier in Stücke sprang, und schrie dermaßen, daß dem Knecht im Stalle fast Hören und Sehen verging und die ganze Hausgenossenschaft zusammenlief. Der Meister fragte nach der Ursache dieses schrecklichen Schreiens. Da rief draußen eine donnernde Stimme: »Hier ist das Wild, das der Knecht von mir gefordert hat.«

Am andern Morgen fand man eine Haut, ähnlich der einer Kuh, an die Haustür angeklebt.


E. In dem großen Gebüsch bei Reimberg befindet sich die Schankegriècht, durch die ein wenig Quellwasser rieselt. Mehrere Fußpfade schlängeln sich durch dieselbe, auch der Weg von Schandel nach Großbus führt hart an derselben vorbei. In dieser Griècht soll abends, wie man allgemein erzählt, nach den einen das Skelett eines Pferdes herumtrippeln, nach andren das eines Mannes. Wieder nach andern soll dort eine ohrzerreißende Musik, die in dieser waldreichen Gegend oft gehört wurde, schon so manchem einen panischen Schreck eingejagt haben.

Ein Mann kam in später Nacht auf dem Wege, der an der Griècht vorbeiführt. Bei derselben angelangt, sah er plötzlich, wie das Skelett auf ihn zuwankte. Schleunigst ergriff er die Flucht, kam aber vom rechten Wege ab. Das wankende Gespenst verfolgte ihn immer. In seiner Angst lief er durch dick und dünn und kam endlich in die Griècht. Hier suchte er sich durch das hemmende Gestrüpp durchzuwinden und bot alle seine Kraft auf, dem Gespenste zu entgehen, aber vergebens. Bald schwanden ihm die Kräfte und der arme Mann fiel tot zur Erde nieder. Das Kreuz, das bei der Schankegriècht aufgepflanzt ist, soll an dieses traurige Ereignis erinnern.

Vielen jagte das Skelett Angst und Schrecken ein, so daß sie froh waren, wenn sie mit heiler Haut davon kamen.


F. Wenn man vor Pratz nach Grosbus geht, sieht man auf halbem Wege zur rechten Seite eine anfänglich weite, dann aber immer enger und finsterer werdende Schlucht. Das ist die Schankegriècht. Hier hauste früher das Schankemännchen. Allnächtlich ging es mit seinen Hunden auf die Jagd. Verspätete Wanderer hörten dann schon von ferne Geheul und Hundegebell, bald in der Luft, bald auf der Erde, bald hier, bald dort. Wenn man geradeaus seines Weges ging, tat Schankemännchen niemandem etwas zuleide.

Ein Mann, welcher nachts dort vorbeikam, fing an, da er nicht an den Geisterspuk glaubte, Schankemännchen zu rufen und zu verhöhnen. Auf einmal hörte er Hundegebell und ein Geheul, als sei die Hölle los. Der[179] Mann lief, so schnell er konnte, links vom Wege ab in den Wiesengrund und sprang dort über den Bach. Hier war er in Sicherheit, da Schankemännchen ihm nicht übers Wasser nachfolgen durfte.

Ein andermal vernahm ein Mann dort wieder das unheimliche Geheul. Da er sich auf dem sicheren Bachufer befand und nahe den Häusern, so wollte er doch zusehen, was es mit diesem Geheul für eine Bewandtnis habe. Und sieh da, bald darauf kam eine von Feuerglanz umgebene riesige Gestalt durch den Wiesengrund daher. Schankemännchen kam immer näher und da er nicht mehr gar weit entfernt war, rief er den Mann an. Dieser nahm sofort Reißaus und stürzte atemlos in das erste Haus, das er antraf und wo er die Nacht über verblieb.

Einst kehrten zwei Männer aus Buschrodt in später Nacht von Bettborn nach Hause zurück. Bei der Schankegriècht angelangt, vernahmen sie lautes Rufen und Geräusch in der Luft, konnten aber nichts sehen. Sie setzten, ohne sich umzusehen, ihren Weg fort und kamen unbehelligt zu Hause an.

Am obersten Ende der Schankegriècht befindet sich eine kleine Höhle, welche durch den Vorsprung eines zwei bis drei Meter dicken, mit den Namen vieler Besucher überdeckten Sandfelsens gebildet wird. Diese Höhle nennt man Schankelach. Dort befindet sich ein dicker Felsblock, der, wie man sagt, den Eingang zu Schankemännchens unterirdischer Wohnung bedeckt. Schankemännchen selbst ist jetzt nicht mehr dort; denn mit allen andern Gespenstern soll er vom Papst auf neunundneunzig Jahre in den babylonischen Turm verbannt sein. In Schankemännchens »Schloß« kann jedoch niemand gelangen, da dessen Hunde am Eingang Wache halten und die dort aufgehäuften Schätze hüten, bis ihr Herr aus seiner Verbannung zurückkehrt.

Schankemännchen soll zu seinen Lebzeiten ein Raubritter der schlimmsten Art gewesen sein und seine Schätze in dieser Höhle verborgen haben.


Georg Dax

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 178-180.
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