[193] 448. Die feurige Kutsche bei Remich.

[193] A. Die alte Schwebjes aus Remich erzählte dem Referenten:

Über die Nenniger Flur sauste die glühende Kutsche hin. In Heilenbruch bei dem langen Graben und den paar alten Bäumen kam sie aus dem Boden hervor und rannte über Stock und Stein gegen das Bübinger Schloß, hinter welchem sie dann plötzlich verschwand. In den neunziger Jahren war es gar nichts Auffallendes für die Leute; ich habe dieselbe mehr als zwanzigmal gesehen.

Siebenundneunzig war es, wenn ich mich recht erinnere, ich hatte etwa zwölf Jahre, als die Mosel auf einmal schrecklich anschwoll. In der Nacht mußten wir »plündern« und waren noch spät mit dem Ausräumen der Stuben und Keller beschäftigt, denn das Wasser kam unerwartet und reißendschnell. Es mochte ungefähr Mitternacht sein, als meine Mutter plötzlich ganz bleich zu uns in die Stube trat und mit zitternder Stimme sagte: »Nun kommt, Kinder, jetzt seht ihr die glühende Kutsche.« Ein eiskalter Schauer überlief uns und wir drängten uns hinaus auf die Treppe. Zu der Zeit war die Brücke nicht gebaut und man konnte frei bis nach Besch hinaufsehen. Da schwebte die glühende Kutsche denn über Äcker und Gärten und alles hinweg, schrecklich anzusehen, wie ein Gefährt der Hölle. Voran schnaubten die feurigen Rosse; hintennach wälzten die Räder im Feuermeer die glühende Kutsche. Oben auf dem Bock saß der grinsende Kutscher und schwenkte im Zickzack die Geißel, daß die Funken nach allen Seiten stoben. So rannte das tolle Gefährt in schräger Richtung den Berg hinan auf die Kapelle los, welche ehemals im Bergesabhang hinter dem Schlosse stand, wo es plötzlich vor unseren Augen in den Boden versank.


N. Gaspar


B. Nächtlicherweile kommt eine feurige Kutsche vom jenseitigen Moselufer auf Remich zu. Sie fliegt über das »rote Haus«, dann über die Mosel und über Remich hinweg in der Richtung nach Luxemburg.

Sie wird von zwei feurigen Pferden gezogen. In derselben sitzt ein feuriger Mann, der fortwährend mit einer feurigen Peitsche knallt, so daß die Funken ringsumherstieben.


C. Viele alte Leute behaupten, vor mehreren Jahren sei jede Nacht eine feurige Kutsche mit feurigen Pferden, feurigen Insassen und einem feurigen Kutscher vom Sinser Berg herabgekommen.

Einst saß ein alter Fischer an der Mosel und fischte. Da kam die feurige Kutsche herangeflogen. Der Kutscher schwenkte die feurige Peitsche, daß die Funken bis in die Mitte der Mosel stoben. Nicht einen einzigen Fisch konnte der Fischer mehr fangen. Da ward er unwillig, nahm den Feuerstein, um seine Pfeife anzuzünden, und stieß einen derben Fluch aus. Sobald er Feuer geschlagen, verschwand alles.


[194] D. Der feurige Wagen kam hinter dem Sinser Berg hervor und fuhr bis an die Moselfähre. Damals war noch keine Moselbrücke zu Remich. Dort stieg ein Mann aus dem Wagen, der Wagen selbst ging seinen Weg durch die Wolken wieder zurück. Der Herr verschwand nach kurzer Zeit. Oft am selben Tage oder einen Tag drauf kam der Wagen zurück, um den Mann wieder aufzunehmen und hinter dem Sinser Berg zu verschwinden. Der Fährmann hätte um keinen Preis, solange der Herr noch nicht von dem feurigen Wagen abgeholt war, die Überfahrt gewagt.


Lehrer N. Biver zu Remich

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 193-195.
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