XXI. Angiolina.

[64] Angiolina hatte fünf Brüder, die junge Leute waren. Diese hatten ein Zimmer zum Schlafen für sich allein, und Angiolina schlief in einem anderen Zimmer allein. Sie waren bemittelte Leute.

Da waren nun zwei Einbrecher; die verabredeten sich, sie zu bestehlen. Der eine von ihnen sprach zu seinem Genossen: »So etwas bekommen wir nicht leicht fertig, denn es sind fünf Männer da; sie werden uns töten, nicht werden wir sie töten.« Der zweite versetzte aber: »Nein! Denn wir werden zur Nachtzeit eindringen. Da schlafen sie. Sobald wir drinnen sind, verstecken wir uns unter dem Bette Angiolinas und töten sie zuerst; denn das Geld befindet sich im Zimmer Angiolinas.« So drangen sie denn in das Haus ein, als sie gegen Abend ausgegangen war, Wasser zu holen; sie drangen ein und versteckten sich unter dem Bette.

Als unsere Angiolina Wasser geholt hatte, begab sie sich in ihr Zimmer; da sah sie, wie der Leinwandbesatz des Bettes sich bewegte! Sie sprach bei sich: »Diese Nacht geht mir's ans Leben; aber ich will mich mutig zeigen!« Darauf rief sie laut: »Was für[64] ein dummes Mädchen bin ich, dass ich nicht heirate! Aber, – wenn ich heiratete, bekäme ich vielleicht einen Jungen, den ich Faratsch nennen könnte!« Wenn der mir nachher die Treppe hinunterfiele, würde ich losschreien: ›Hilfe! Hilfe! Hilfe! Faratsch ist mir umgepurzelt und die Treppe hinuntergefallen!‹

Da standen ihre Brüder auf und kamen an die Tür ihres Zimmers. »Schwester!« riefen sie; »was ist dir geschehen?« Sie antwortete: »Nein! Nichts!« »Nichts? Du schreist ja immer! Wir dachten, man wolle dich töten!« »Ich werde die Tür öffnen!« sprach sie hierauf und öffnete die Tür, und sprach zu ihnen: »Kommt herein, Brüder, denn dort unter dem Bette stecken Menschen!« Hierauf hoben sie das Bett in die Höhe und erblickten die zwei Menschen; da nahmen sie sie fest und töteten sie.

Quelle:
Stumme, Hans: Maltesische Märchen. Gedichte und Rätsel in deutscher Übersetzung, Leipziger Semitistische Studien, Band 1, Heft 5, Leipzig: J.C. Hinrichsche Buchhandlung, 1904, S. 64-65.
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