28. Herrn Lems Frau.

[39] C. Wachtendorp, Oude hollandsche Geschiedenissen ofte corte Rymkronyck. Amsterdam 1645. 4. Fol. 23 a.


Als Herr Lem König war, da lebte eine Riesin, welche Walberech hieß, und die weidete um Harlem herum ihr Vieh. Sie war so groß, daß sie, um von Holland nach England zu kommen, nur einen Schritt that. Als sie einmal nach Haus gegangen war und ihr Vieh auf der gewohten Stelle graste, da kam ein Schiff mit Räubern an die Küste gefahren und landete, wo jetzt Scheveningen steht, und die Räuber gingen zur Weide und nahmen all das Vieh und trugen es an Bord und segelten stille weg. Walberech suchte am Morgen vergebens nach ihrer Heerde, bis sie ans Gestade kam, und von ferne das Räuberschiff erschaute. Da ging sie durch die See bis sie zu dem Schiffe kam, faßte dieses mit einem Finger und warf es mit mächtigem Schwunge bis auf den Grund der See. Und als das geschehen war und alle, die auf dem Schiffe sich befanden, ertrunken waren, da aß sie ihr noch warmes Fleisch und sog ihr Blut aus, und dann nahm sie ihre ganze Heerde unter die Arme und ging wieder ans Land. Die Ochsen trug sie auf einer Seite, die Pferde auf der andern, und die Schafe liefen allesammt auf ihrem Kopfe herum.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 39.
Lizenz:
Kategorien: