[42] 10. Der reiche Peter Krämer

Es war einmal ein Mann, den hieß man den reichen Peter Krämer. Denn er war mit Kramwaren herumgezogen und hatte viel Geld verdient und war ein reicher Mann geworden. Dieser reiche Peter hatte eine Tochter, und mit der wollte er so hoch hinaus, daß alle Freier, die sich um sie bewarben, ein Nein zu hören bekamen, denn er meinte, es sei keiner gut genug für sie. Weil es allen so ging, kam schließlich keiner mehr, und wie die Jahre vergingen, so bekam Peter Angst, daß sie vielleicht überhaupt keinen Mann bekäme. »Es wundert mich sehr«, sagte er zu seiner Frau, »daß niemand mehr kommt und um unsere Tochter freit, die doch so reich ist. Das wäre ja kurios, wenn sich keiner fände, der sie haben wollte, denn sie hat Geld und bekommt noch mehr. Ich meine, ich will zu den Sternguckern reisen und sie fragen, was das Mädchen für einen Mann bekommen soll; denn hierher kommt ja kein Mensch!« – »Wie können denn die Sterngucker das wissen?« fragte die Frau. – »Ja, die lesen alles aus den Sternen«, sagte der reiche Peter. Und er nahm viel Geld mit und reiste zu den Sternguckern und bat sie, nach den Sternen zu sehen und ihm zu sagen, was für einen Mann seine Tochter bekommen solle. Die Sterngucker sahen nach den Sternen, aber sie sagten, sie könnten es nicht erkennen. Aber Peter bat, sie möchten genauer nachschauen und es ihm doch sagen, er wolle sie gut bezahlen. Die Sterngucker[42] schauten genauer nach und sagten, seine Tochter solle zum Mann das Müllerkind bekommen, das eben in der Mühle dicht neben dem Hof des reichen Peter zur Welt gekommen sei. Peter gab den Sternguckern hundert Taler und zog wieder heim mit der Weissagung, die er erhalten hatte. Ihm kam es allzu kurios vor, daß seine Tochter einen zum Mann bekommen sollte, der erst eben geboren war und außerdem von so geringer Herkunft. Das sagte er auch zu seiner Frau und meinte: »Ich möchte wohl wissen, ob sie mir den Knaben nicht verkaufen wollen, dann könnten wir ihn loswerden.« – »Das meine ich auch«, gab die Frau zur Antwort, »es sind ja arme Leute.« Peter Krämer ging also in die Mühle hinunter und fragte die Frau, ob sie ihm nicht ihren Sohn verkaufen wolle. Sie wollte aber durchaus nicht. »Ich verstehe nicht, warum es dir nicht recht ist«, sagte der reiche Peter, »bei euch ist ja die nackte Armut zu Haus, und das Kind wird's euch auch nicht leichter machen, meine ich.« Aber die Frau hatte das Kind so gern, daß sie ihn nicht hergeben wollte. Als der Müller eintrat, sagte Peter zu ihm das gleiche und versprach ihm sechshundert Taler für den Kleinen, so daß die Müllersleute sich einen Hof kaufen könnten und nicht mehr nötig hätten, für fremde Leute zu mahlen und am Hungertuch zu nagen, wenn einmal das Mühlwasser ausbleibe. Das leuchtete dem Müller ein, und er sprach mit seiner Frau, und schließlich bekam der reiche Peter den Knaben. Die Mutter weinte und jammerte, aber Peter tröstete sie und sagte, der Kleine werde es gut haben; sie mußten aber versprechen, nicht nach ihm zu fragen, denn er wolle ihn weit fort in andere Länder schicken, um die fremden Sprachen zu lernen.

Als der reiche Peter mit dem Kleinen nach Hause kam, ließ er ein kleines Kistchen zimmern, das war innen so fein, daß es eine Lust war. Er machte es mit Pech dicht, legte das Müllerkind hinein, machte das Schloß zu und setzte das Kistchen in den Fluß, daß die Strömung es mit sich nahm. ›Nun bin ich ihn los‹, dachte der reiche Peter.[43]

Aber als das Kistchen weit den Fluß hinuntergeschwommen war, geriet es in einen Wasserlauf, der zu einer anderen Mühle führte, und trieb dort ins Mühlrad hinein, daß die Mühle stehenblieb. Da ging der Müller hinunter und wollte sehen, warum das Rad stand; er fand das Kistchen und nahm es mit. Als er am Mittag zu seiner Frau kam, sagte er: »Ich möchte nur wissen, was in dem Kistchen sein könnte; es ist vom Bach ins Mühlrad getrieben worden und hat die Mühle zum Stillstehen gebracht.« – »Das können wir ja leicht erfahren«, sagte die Frau, »der Schlüssel steckt ja im Schloß; so schließ nur auf.« Als das Kistchen aufging, da lag das hübscheste Kind darin, das man sich denken kann, und die Leute freuten sich sehr und wollten den Kleinen behalten; denn sie hatten selber keine Kinder und waren auch schon so vorgerückt an Jahren, daß sie nicht mehr hoffen konnten, eines zu bekommen.

Nach einiger Zeit fing Peter Krämer wieder an, sich zu wundern, warum denn kein Freier für seine Tochter käme, die doch so reich war und so viel Geld hatte. Aber es kam keiner, und so machte er wieder die Reise zu den Sternguckern und bot ihnen viel Geld, wenn sie ihm sagen könnten, was für einen Mann seine Tochter bekommen würde. »Wir haben dir ja schon gesagt, daß sie das Müllerkind bekommen soll«, erwiderten ihm die Sterngucker. »Ja, das ist ja ganz schön«, sagte Peter Krämer darauf, »aber mit dem ist es nun schiefgegangen, er ist nämlich gestorben. Und wenn ich erfahren könnte, wen meine Tochter zum Mann bekommen soll, so würde ich gern zweihundert Taler hergeben.« Die Sterngucker sahen wieder nach den Sternen, aber dann wurden sie zornig und sagten: »Trotzdem soll sie den Müllerbuben bekommen, den du im Fluß ausgesetzt hast und umbringen wolltest; denn er lebt noch und ist in der Mühle, die da und da drunten liegt.« Peter Krämer gab ihnen zweihundert Taler für ihren Spruch und dachte nach, ob er nicht doch dem Müllersohn den Garaus machen könnte.

Als er wieder zu Hause war, ging sein erster Weg nach jener[44] Mühle. Da war der Junge schon so groß, daß er eingesegnet war und dem Müller half. Er war ein hübscher Bursch geworden. »Könntest du mir nicht den Jungen überlassen?« sagte der Krämer zu dem Müller. »Nein«, gab der zur Antwort, »ich habe ihn wie mein eigenes Kind aufgezogen, und er ist gut geartet, so daß er mir jetzt eine Hilfe und Stütze in der Mühle sein kann, denn ich selber fange an, alt und gebrechlich zu werden.« – »Ja, mir geht es ebenso«, gab Peter Krämer zurück. »Und deshalb möchte ich auch gerne einen haben, dem ich das Geschäft beibrächte. Wenn du den Burschen mir überlassen willst, so gebe ich dir sechshundert Taler, damit kannst du dir einen Hof kaufen und deine alten Tage in Ruhe und Frieden verbringen.« Als der Müller das hörte, gab er den Burschen dem reichen Peter.

Der und der Junge zogen nun weit in der Welt herum und verkauften ihre Waren, bis sie in ein Wirtshaus kamen, das am Rand eines großen Waldes lag. Von hier aus schickte Peter den Burschen nach Hause mit einem Brief an seine Frau – denn geradeaus durch den Wald war es nicht weit – und trug ihm auf, er solle seiner Frau sagen, sie solle so schnell wie möglich tun, was in dem Brief stehe. Aber in dem Brief stand, sie solle augenblicklich ein großes Feuer anzünden und den Müllerburschen hineinwerfen, und wenn sie es nicht tun wolle, so solle sie selber lebendigen Leibes verbrannt werden. Der Bursche ging mit dem Brief durch den Wald. Gegen Abend kam er an ein Haus weit drinnen im Walde, und da trat er ein. Im Hause sah er keinen Menschen. Aber in einem Zimmer stand ein aufgedecktes Bett, da legte er sich quer hinein. Den Brief hatte er unter sein Hutband geschoben, und den Hut legte er auf sein Gesicht. Als die Räuber nach Hause kamen – denn das Haus gehörte zwölf Räubern –, sahen sie den Burschen auf dem Bett liegen und wunderten sich, wer er wohl sein könne, und einer von den Räubern nahm den Brief, machte ihn auf und las. »Hm, hm«, sagte er, »das ist Peter Krämer, er ist unterwegs. Aber wir wollen ihm einen Possen spielen, denn es[45] wäre Sünd und Schand, wenn das alte Weib diesem jungen hübschen Burschen den Garaus machte.« Also schrieben die Räuber einen anderen Brief an Peter Krämers Frau und schoben ihn unter das Hutband, während der Bursche noch schlief, und in dem Brief schrieben sie, die Frau solle ihre Tochter und den Müllerburschen augenblicklich verheiraten und ihnen Pferde und Vieh und Hausrat geben und sie ganz und gar auf dem Hofe einrichten, den sie am Berghang besaßen, und wenn das alles nicht geschehen sei, bis er, der Krämer, zurückkomme, so solle es der Frau dafür übel gehen.

Am folgenden Tag ließen die Räuber den Burschen ziehen, und als er nach Hause kam und der Frau den Brief gab, richtete er einen Gruß vom Peter Krämer aus, und sie solle so rasch wie möglich tun, was in dem Brief stünde. »Du mußt ihm sehr von Nutzen gewesen sein«, sagte die Frau zu dem Burschen, »daß er mir nun einen solchen Brief schreibt. Denn als ihr fortzogt, da war er so böse auf dich, daß er gar nicht wußte, wie er dich ums Leben bringen sollte.«

Sie bereitete rasch die Hochzeit und stattete die jungen Leute mit Pferden und Rindern und Hausgerät aus und gab ihnen den Hof am Bergabhang.

Nicht lange darauf kam Peter Krämer wieder heim, und seine erste Frage war, ob die Frau getan habe, was er ihr geschrieben hatte. »Ja, es kam mir zwar kurios vor, aber ich wagte nichts anderes zu tun«, gab die Frau zur Antwort. Dann fragte Peter, wo ihre Tochter sei. »Du mußt doch selber wissen, wo sie ist«, gab die Frau zurück, »sie sitzt doch mit ihm auf dem Hof am Bergabhang, wie es in dem Briefe stand.« Als Peter Krämer erfuhr, wie es zusammenhing, und den Brief zu Gesicht bekam, geriet er in solchen Zorn, daß er am liebsten in Stücke gesprungen wäre, und dann lief er stracks hinauf nach dem Hof zu den jungen Leuten. »Das ist ganz schön, mein Sohn, daß du meine Tochter bekommen hast«, sagte er zu dem Müllerssohn, »aber wenn du sie wirklich behalten willst, so mußt du zum Drachen von Dybenfart gehen und mir drei Federn aus seinem Schwanz verschaffen,[46] denn wer die hat, kann bekommen, was er will.« – »Wo soll ich ihn denn finden?« fragte der Schwiegersohn. »Das ist deine Sache, ich weiß es nicht!« gab der reiche Peter Krämer zurück.

Der Bursche machte sich getrost auf den Weg, und als er eine Weile gegangen war, kam er an ein Königsschloß. ›Hier will ich hineingehen und mich weiterfragen‹, dachte er, ›denn solche Leute kennen sich besser aus in der Welt als andere, und vielleicht erfahre ich hier den richtigen Weg.‹ Der König fragte ihn, wo er her sei und was er wolle. »Ich soll zum Drachen von Dybenfart und ihm drei Federn aus dem Schwanz reißen; wenn ich ihn nur finden könnte!« – »Dazu gehört Glück«, meinte der König, »denn ich habe noch nie gehört, daß einer von dort wieder zurückgekommen ist. Aber wenn du ihn treffen solltest, so frage ihn doch bitte von mir, warum ich kein reines Wasser aus meinem Brunnen bekommen kann. Ich habe ihn ein Mal nach dem andern ausputzen lassen, und doch gibt er kein reines Wasser.« – »Ja, das will ich tun«, sagte der Bursche. Im Schloß hatte er es gut, und man gab ihm Mundvorrat und auch Geld, als er weiterzog.

Gegen Abend kam er an ein anderes Schloß. Als er in die Küche trat, kam der König heraus und fragte, wo er her sei und was er wolle. »Ich soll zum Drachen von Dybenfart und ihm drei Federn aus dem Schwanz reißen«, sagte der Bursche. »Dazu gehört Glück«, sagte der König darauf, »denn ich habe noch nie gehört, daß einer von dort zurückgekommen ist. Aber wenn du hinkommen solltest, so könntest du ihn in meinem Namen fragen, wo meine Tochter hingekommen ist, die verschwunden ist vor vielen Jahren. Ich habe nach ihr gesucht und von allen Kirchen nach ihr läuten lassen; aber keiner konnte mir eine Nachricht von ihr geben.« – »Das will ich tun«, gab der Bursche zur Antwort. Auf dem Schloß ging es ihm gut, und als er weiterwanderte, bekam er Mundvorrat und Geld.

Als es wieder gegen Abend ging, kam er wieder an ein Schloß. Hier kam die Königin heraus in die Küche und[47] fragte ihn, wo er her sei und was er wolle. »Ich soll zum Drachen von Dybenfart und ihm drei Federn aus dem Schwanz reißen«, sagte der Bursche. »Dazu gehört Glück«, meinte die Königin, »denn ich habe nie gehört, daß jemand von dort zurückgekommen ist. Aber wenn du ihn finden solltest, so könntest du ihn wohl von mir fragen, wo ich meine goldenen Schlüssel finden kann, die ich verloren habe.« – »Das will ich tun«, antwortete der Bursche.

Als er eine Zeitlang gegangen war, kam er an einen großen, breiten Fluß. Während er nun so dastand und sich überlegte, wie er wohl da hinüberkommen könnte oder ob er besser den Fluß entlangginge, kam ein alter, gebeugter Mann auf ihn zu und fragte ihn, wo er hinwolle. »Ich will zu dem Drachen von Dybenfart, wenn mir einer sagen könnte, wo er zu finden ist.« – »Das kann ich dir schon sagen«, meinte der Mann. »Denn ich setze die Leute über, die zu ihm wollen, er wohnt gerade da drüben. Wenn du auf diesen Hügel kommst, so siehst du sein Schloß, und wenn du mit ihm ins Gespräch kommst, so könntest du ihn fragen, wie lange ich noch hierstehen und die Leute übersetzen soll.« – »Das will ich tun«, gab der Bursche zur Antwort. Der Mann nahm ihn auf den Rücken und trug ihn durch den Fluß, und als er den Hügel erstiegen hatte, erblickte er das Schloß und ging hinein. Da war die Prinzessin allein zu Hause. »Aber, lieber Freund, wagen sich Christenmenschen hierher?« rief sie aus. »Seit ich hier bin, ist noch keiner gekommen, und es ist wohl am besten, wenn du dich so rasch als möglich wieder davonmachst, denn wenn der Drache nach Hause kommt, so wittert er dich, und dann wird er dich auffressen, und mich machst du auch unglücklich.« – »Nein«, gab der Bursche zurück, »ich kann nicht gehen, ehe ich drei Federn aus seinem Schwanz habe.« – »Die bekommst du nie«, sagte die Prinzessin.

Aber der Bursche wollte durchaus nicht gehen; er wollte auf den Drachen warten und die drei Federn aus seinem Schwanz und Antwort auf seine Fragen haben. »Ja, wenn du so sehr darauf versessen bist, so muß ich wohl sehen, wie ich dir helfen[48] kann«, sagte die Prinzessin. »Versuch einmal, ob du das Schwert aufheben kannst, das dort an der Wand hängt?«

Der Bursche konnte es nicht einmal vom Fleck bewegen. »Ja, dann mußt du einen Schluck aus dieser Flasche nehmen«, sagte die Prinzessin. Als der Bursche eine Weile gesessen hatte, mußte er wieder einen Versuch machen, und da konnte er es gerade vom Platz bewegen. »Du mußt noch einen Schluck nehmen«, sagte die Prinzessin, »und dann erzähl mir deinen Auftrag.« Der Bursche nahm noch einen Schluck, und dann berichtete er, daß ihn ein König gebeten habe, den Drachen zu fragen, warum sein Brunnen kein reines Wasser gäbe; von einem anderen König sollte er fragen, wo sich seine Tochter befinde, die vor vielen Jahren verschwunden sei, und von einer Königin sollte er den Drachen fragen, wo ihre goldenen Schlüssel hingekommen seien, und endlich sollte er den Drachen von dem Fährmann fragen, wie lange er noch die Leute übersetzen solle. Wie er nun das Schwert packte, konnte er es schwingen. »Wenn dich nicht der Drache gleich zuerst umbringen soll, so mußt du jetzt unters Bett kriechen«, sagte die Prinzessin, als es gegen Abend ging, »denn jetzt kommt er bald nach Hause; und unter dem Bett mußt du ganz still liegen, daß er nichts von dir merkt. Wenn wir dann im Bett liegen, will ich ihn fragen; aber du mußt horchen und gut achtgeben, was er sagt, und du mußt unter dem Bett bleiben, bis alles still ist und der Drache schläft; dann schleich leise hervor, nimm das Schwert, und wenn er aufsteht, mußt du aufpassen und ihm mit einem Schlag den Kopf abhauen und zugleich ihm die drei Federn ausreißen; denn sonst reißt er sie sich selber aus, damit keiner Nutzen davon hat.«

Bald nachdem der Bursche unters Bett gekrochen war, kam der Drache nach Hause. »Hier riecht's nach Menschenfleisch!« sagte der Drache. – »Ach ja, es ist ein Rabe vorbeigeflogen mit einem Menschenknochen im Schnabel und hat sich aufs Dach gesetzt«, sagte die Prinzessin, »das wird es wohl sein, was du riechst.« – »Ja, so«, sagte der Drache. Dann trug die Prinzessin das Essen auf, und als sie gegessen hatten, legten[49] sie sich ins Bett. Aber als sie eine Weile gelegen hatten, wurde die Prinzessin unruhig, und auf einmal wachte sie auf. »Au, au«, schrie sie. »Was fehlt dir denn?« fragte der Drache. »Ach, ich habe gar keine Ruhe«, gab die Prinzessin zur Antwort, »und ich habe auch so wunderlich geträumt.« – »Was hast du denn geträumt?« fragte der Drache weiter. »Mir träumte, es sei ein König gekommen und fragte dich, was er anfangen solle, damit sein Brunnen reines Wasser gebe«, sagte die Prinzessin. – »Ach, das könnte er doch selber wissen«, gab der Drache zurück, »wenn er den Brunnen umgraben und den alten verfaulten Stock herausnehmen läßt, der auf dem Grunde liegt, so bekommt er reines Wasser. Aber jetzt sei nur ruhig und träume nicht mehr!«

Als die Prinzessin eine Weile gelegen hatte, wurde sie wieder unruhig und warf sich im Bett hin und her, und dann wachte sie wieder auf. »Au, au!« rief sie. – »Was ist denn jetzt schon wieder los?« fragte der Drache. »Ach, ich schlafe so unruhig und hatte einen solch wunderlichen Traum«, gab die Prinzessin zurück. »Du hast aber ein schlimmes Träumen«, sagte der Drache. »Was hast du denn geträumt?« – »Mir schien, es käme ein König und fragte dich, wo seine Tochter sich befinde, die vor vielen Jahren verschwunden ist«, sagte die Prinzessin. »Das bist du«, sagte der Drache darauf, »aber dich bekommt er nie mehr zu sehen. Aber jetzt mußt du mich wirklich schlafen lassen und nicht mehr träumen, sonst zerbreche ich dir die Rippen!«

Die Prinzessin war noch nicht lang gelegen, da wurde sie schon wieder unruhig. Auf einmal wachte sie auf und schrie: »Au, au.« – »Nun, geht's schon wieder los? Was ist denn jetzt wieder?« sagte der Drache. Da war er so zornig und aus dem Schlaf geärgert, daß er fast in lauter Kieselsteine zersprungen wäre. »Ach, du mußt nicht böse sein«, sagte die Prinzessin »aber ich hatte einen solch wunderlichen Traum.« – »Das geht ja mit dem Teufel zu, deine Träumerei. Was hast du denn schon wieder geträumt?« – »Mir schien, als käme eine Königin und fragte dich, ob du ihr nicht sagen[50] könntest, wo sie ihre goldenen Schlüssel suchen solle, die sie verloren hat.« – »Ach, sie soll unter den Büschen nachsehen, wo sie damals lag – sie weiß schon –, da findet sie sie«, gab der Drache zurück. »Aber nun laß mich in Frieden und komm mir nicht mit weiteren Träumen.«

Nun schliefen sie eine Weile, dann begann die Prinzessin wieder unruhig zu werden, und auf einmal erwachte sie. »Au, au.« – »Du bist doch gewiß nicht ruhig, bis ich dir den Hals umdrehe!« schrie der Drache und war so böse, daß aus seinen Augen Funken sprühten. »Was ist denn jetzt schon wieder los?« – »Ach, du darfst wirklich nicht zornig werden, ich kann nichts dafür«, sagte die Prinzessin, »aber ich hatte einen solch wunderlichen Traum.« – »Solch eine Träumerei ist mir aber noch nicht vorgekommen«, rief der Drache, »was hast du denn geträumt?« – »Mir schien, der Mann von der Furt da drunten sei gekommen und habe dich gefragt, wie lange er noch dastehen und die Leute übersetzen soll?« – »Der dumme Kerl, davon kann er leicht loskommen«, rief der Drache, »denn wenn einer kommt, der hinüber will, so muß er ihn in den Fluß werfen und dazu sagen: ›Nun setz du über, bis du abgelöst wirst.‹ Aber nun laß mich endlich in Ruhe mit deinen Träumen, sonst werd ich andere Saiten aufziehen.«

Nun ließ ihn die Prinzessin in Frieden schlafen. Aber sobald es ganz still war und der Müllerssohn den Drachen nur noch schnarchen hörte, kroch er unter dem Bett hervor. Ehe der Tag graute, stand der Drache auf, aber kaum stand er mit beiden Beinen auf dem Boden, so hieb ihm der Bursche schon das Haupt ab und riß ihm die drei Federn aus dem Schwanz. Da gab es eine große Freude, und der Bursche und die Prinzessin nahmen so viel Silber und Gold und andere Kostbarkeiten, als sie einpacken konnten, und als sie an die Furt kamen, hielten sie den Mann so in Atem mit allem, was sie hinüberzubringen hatten, daß er ganz zu fragen vergaß, was der Drache gesagt hatte, bis alle die Herrlichkeiten und der Bursche und die Prinzessin über dem Wasser drüben waren.[51] »Ja, so«, sagte der Fährmann, als sie weiterwollten, »hast du den Drachen danach gefragt, um was ich dich gebeten habe?« – »Ja«, gab der Bursche zurück, »er sagte, wenn einer kommt, der hinüber will, so wirf ihn mitten in den Fluß und sage: ›Setz du nun über, bis du abgelöst wirst‹ – dann bist du frei.« – »O weh«, rief da der Mann, »hättest du das früher gesagt, so hättest du mich ablösen müssen.«

Als sie an den ersten Königshof kamen, fragte die Königin, ob der Bursch den Drachen nach ihren Goldschlüsseln gefragt hätte. »Ja«, gab der Bursche zur Antwort und wisperte der Königin ins Ohr, »er hat gesagt, du sollst zwischen den Büschen suchen, wo du damals gelegen hast – du weißt schon –.« – »St, st, sei still«, sagte die Königin und gab dem Burschen hundert Taler. Als er in das zweite Schloß kam, fragte der König, ob er dem Drachen seine Frage vorgelegt hätte. »Ja«, gab der Bursche zur Antwort, »das habe ich getan, und hier ist deine Tochter.« Da freute sich der König sehr und hätte dem Müllerssohn gern die Prinzessin und das halbe Reich gegeben. Aber da er ja schon eine Frau hatte, bekam er zweihundert Taler und Pferde und Wagen und so viel Gold und Silber geschenkt, als er nur mitnehmen konnte.

Als er nun zu dem dritten Schlosse kam, trat der König heraus und fragte, ob er sich bei dem Drachen nach seiner Sache erkundigt hätte. »Ja«, gab der Bursche zur Antwort, »er hat gesagt, du sollst den Brunnen umgraben und den alten verfaulten Stock herausnehmen lassen, der auf dem Grund liegt, dann bekommst du reines Wasser.« Da gab ihm der König dreihundert Taler.

Von hier aus zog er heimwärts, und er war mit Gold und Silber so herrlich ausgestattet, daß er weithin glänzte und leuchtete. Nun war er viel reicher als Peter Krämer. Als dieser die Federn bekam, hatte er nichts mehr gegen die Heirat einzuwenden; aber als er all den Reichtum sah, erkundigte er sich, ob beim Drachen noch mehr solcher Herrlichkeiten seien. »Ja«, gab der Bursche zurück, »es war viel mehr dort, als[52] ich mitnehmen konnte, und es ist so viel, daß man viele Pferde braucht, um es wegzubringen, und wenn du hinreisen willst, so wird es sogar für dich genug sein.« Peter Krämer wollte wirklich hinreisen. Da sagte ihm sein Schwiegersohn den Weg, so daß er ihn nicht erfragen mußte. »Aber die Pferde«, sagte er, »wirst du am besten auf dieser Seite des Flusses zurücklassen, denn der alte Mann hilft dir schon herüber.« Peter zog fort und nahm großen Mundvorrat mit und viele Pferde. Aber die ließ er am Ufer des Flusses zurück, wie es ihm sein Schwiegersohn gesagt hatte. Der Mann nahm ihn auf den Rücken, und als er mitten im Fluß war, warf er ihn hinein und sagte: »Nun kannst du hier die Leute übersetzen, bis du abgelöst wirst.«

Und wenn ihn niemand abgelöst hat, dann setzt der reiche Peter Krämer dort noch heutigentags die Leute über.

Quelle:
Stroebe, Klara: Nordische Volksmärchen. 2: Norwegen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 42-53.
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