[278] 49. Der Schiffer und Herr Urian

[278] Es war einmal ein Schiffer, der hatte ein unerhörtes Glück mit allem was er unternahm; keiner hatte so stattliche Ladungen, und keiner verdiente sich so viel Geld wie er, denn bei ihm strömte es nur so zusammen. Und ganz sicher gab es keinen, der solche Reisen riskieren konnte wie er, denn wo er hinfuhr, hatte er guten Wind, ja, man sagte sogar, wenn er nur seinen Hut drehe, drehe sich der Wind so, wie er wolle.

So fuhr er viele Jahre lang mit Holzfrachten sogar bis nach China hin und erwarb sich Geld wie Heu. Aber einmal fuhr er mit vollen Segeln in der Nordsee so schnell, als hätte er das Schiff mitsamt der Ladung gestohlen; aber der, der hinter ihm her war, fuhr noch schneller. Das war Herr Urian; mit dem hatte der Schiffer, wie ihr euch wohl denkt, einen Vertrag abgeschlossen, und der war auf diesen Tag und diese Stunde abgelaufen; der Schiffer konnte jeden Augenblick darauf gefaßt sein, daß er kommen und ihn holen würde.

Da kam er aus der Kajüte herauf auf Deck und hielt Ausschau nach dem Wetter; dann rief er den Schiffszimmermann und noch etliche Leute und sagte, sie sollten sofort in den Schiffsraum hinuntergehen und zwei Löcher in den Boden des Schiffes hauen. Darauf sollten sie die Pumpen auf ihren Gestellen herausholen und ganz dicht auf die Löcher setzen, so daß das Wasser in den Röhren recht hoch stiege.

Die Leute wunderten sich und fanden diesen Befehl recht merkwürdig, aber sie taten, was er gesagt hatte. Sie machten die Löcher und setzten die Pumpen so dicht darauf, daß auch kein Tröpfchen Wasser an die Ladung kommen konnte; aber in den Pumpen stand die Nordsee sieben Fuß hoch.

Kaum hatten sie die Späne von der Arbeit über Bord geschafft, da kam auch schon Herr Urian in einem Windstoß und packte den Schiffer beim Kragen. »Wart, Alter, das[279] pressiert nicht so schrecklich«, sagte der Schiffer und fing an, sich zu wehren und die Klauen, die ihn festhielten, mit einem Pfriemen loszumachen. »Hast du dich nicht in dem Vertrag dazu verpflichtet, daß du mir immer mein Schiff dicht und trocken halten wolltest?« sagte der Schiffer. »Du bist mir ein sauberer Gesell. Schau dir nur die Pumpen an! Das Wasser steht sieben Fuß hoch in den Röhren. Pump, Teufel, pump mir das Schiff leer, dann kannst du mich haben und behalten, solang du willst!«

Der Teufel war dumm genug und ließ sich anführen; er schaffte und schwitzte, und der Schweiß lief ihm in hellen Bächen den Buckel hinunter, daß man damit eine Mühle hätte treiben können, aber er pumpte aus der Nordsee heraus und in die Nordsee hinein; schließlich hatte er es genug, und als er nicht mehr konnte, fuhr er in hellem Zorn heim zu seiner Großmutter, um sich auszuruhen. Den Schiffer ließ er Schiffer sein, solang er wollte, und wenn er nicht gestorben ist, so fährt er heut noch auf dem Meer herum und segelt, wohin er will, und läßt den Wind drehen, je nachdem er seinen Hut dreht.[280]

Quelle:
Stroebe, Klara: Nordische Volksmärchen. 2: Norwegen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 278-281.
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