Die Puppe im Grase.

[132] Es war einmal ein König, der hatte zwölf Söhne. Als diese groß waren, sagte er zu ihnen, sie sollten fortreisen in die Welt und sich jeder eine Frau suchen, aber die sollte spinnen und weben und ein Hemd in einem Tag fertig nähen können, sonst wollte er sie nicht zur Schwiegertochter haben. Jedem von ihnen gab er ein Pferd und eine ganz neue Rüstung; und darauf reisten die Söhne fort in die Welt, um sich eine Frau zu suchen. Als sie aber eine Strecke Weges gereist waren, sagten sie, Aschenbrödel wollten sie nicht mit haben; denn der tauge doch zu Nichts. Aschenbrödel mußte nun zurückbleiben und wußte gar nicht, wie er's anfangen sollte. Da ward er sehr niedergeschlagen, stieg von seinem Pferd herunter und setzte sich ins Gras hin und weinte. Als er aber eine Weile gesessen hatte, bewegte sich der eine Grasbülten, und es kam daraus eine kleine weiße Gestalt hervor; und als sie näher kam, sah Aschenbrödel, daß es ein niedliches kleines Mädchen war, aber ganz ganz klein. Diese trat auf ihn zu und fragte ihn, ob er nicht die Puppe im Grase besuchen wolle. Ja, das wollte Aschenbrödel gern und ging mit ihr.

Als er hinunterkam, saß die Puppe im Grase auf einem Stuhl und war so schön und so geputzt; sie fragte Aschenbrödel, wo er hin wolle, und in welchem Geschäft er reise.[133]

Er erzählte ihr nun, daß sie ihrer zwölf Brüder wären, und daß der König, ihr Vater, jedem von ihnen ein Pferd und eine Rüstung gegeben und zu ihnen gesagt hätte, sie sollten in die Welt reisen und sich eine Frau suchen, die solle spinnen und weben und ein Hemd in einem Tag fertig nähen können. »Wenn Du nun das kannst und meine Frau werden willst«, sagte Aschenbrödel: »dann will ich nicht weiter reisen.« Ja, das wollte sie gern und machte sich sogleich an die Arbeit, fing an zu spinnen und zu weben und nähte das Hemd in einem Tag fertig; aber es ward so klein, so klein, nicht länger, als – so lang.

Damit reiste Aschenbrödel nach Hause. Als er aber das Hemd hervornahm, um es seinem Vater zu zeigen, war er ganz beschämt, weil es so klein war. Der König aber sagte, es machte nichts, er solle das kleine Mädchen heirathen; und darauf reiste Aschenbrödel froh und vergnügt zurück, um seine kleine Braut abzuholen. Wie er nun bei der Puppe im Grase ankam, wollte er sie zu sich auf sein Pferd nehmen; aber das wollte sie nicht, sondern sagte, sie wolle in einem silbernen Löffel fahren mit zwei kleinen Schimmeln davor. So reisten sie nun fort, er auf seinem Pferd, und sie in dem silbernen Löffel; die beiden Schimmel aber, die sie zogen, waren zwei kleine weiße Mäuse. Aschenbrödel hielt sich immer auf der andern Seite des Weges, damit sein Pferd nicht auf seine Braut treten sollte, denn sie war so klein. Als sie eine Strecke Weges gereist waren, kamen sie zu einem großen Wasser; da ward Aschenbrödels Pferd scheu, sprang hinüber auf die andre Seite des Weges und schlug den Löffel um, so daß die Puppe im Grase ins Wasser fiel. Da ward Aschenbrödel sehr betrübt, und wußte gar nicht, wie er sie erretten sollte. Es dauerte aber nicht lange, so tauchte ein Meermann mit ihr auf, und nun war sie so groß geworden, wie ein andres erwachsenes Frauenzimmer, und noch weit schöner, als zuvor. Da nahm Aschenbrödel sie vor sich auf sein Pferd und ritt mit ihr nach Hause.

Als er dort ankam, waren auch schon seine andern Brüder, jeder mit seiner Braut, eingetroffen; aber die waren so häßlich und so böse, daß sie sich schon unterweges mit ihren Brautmännern[134] gezaust hatten. Auf dem Kopf trugen sie Hüte, die waren mit Theer und Ruß bestrichen, das war ihnen ins Gesicht herabgetröpfelt, so daß sie davon noch weit häßlicher und abscheulicher aussahen. Als nun die Brüder dagegen Aschenbrödels Braut erblickten, wurden sie alle neidisch auf ihn. Der König aber freute sich so sehr über die beiden, daß er alle die Andern davon jagte. Darauf hielt Aschenbrödel mit der Puppe im Grase Hochzeit und lebte mit ihr vergnügt und zufrieden eine lange lange Zeit; und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch.

Quelle:
Asbjørnsen, P. [C.]/Moe, J.: Norwegische Volksmärchen 1-2. Berlin: Hans Bondy, [1908], S. 132-135.
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