Der Windreiter.

[20] Ein Zauberer zürnte einem jungen Knechte. Voll Wut ging er in des Knechts Hütte und steckte ein neues, scharfes Messer in die Schwelle. Dabei sprach er die Zauberworte: »Sieben Jahre soll der Bursche auf dem schnellen Sturmwind reiten, durch die weite Welt getragen.«

Geht der Bursche auf die Wiese, legt das frische Heu in Haufen. Da erhebt sich plötzlich ein Sturmwind, reißet die Haufen auseinander, reißet mit sich fort den Burschen. Der sucht vergebens sich zu halten, packt vergebens mit den Händen bald den Zaun und bald die Bäume. Vorwärts treibt ihn eine unsichtbare Macht.

Auf den Flügeln des Windes fliegt er wie eine Taube, seine Füße berühren nicht mehr die heimische Erde. Die Sonne geht schon unter. Der Knecht blickt mit Heißhunger hinunter auf sein Dorf, wo duftender Rauch aus den Schornsteinen aufsteigt. Er kann sie beinah mit den Füßen berühren; doch vergebens schreit und ruft er, und vergebens klagt und weint er. Niemand sieht ihn, niemand hört ihn.

Und so reitet er zwölf Wochen, ewig Durst und Hunger leidend, trocken wie ein Fichtenapfel. Manches Land hat er durchflogen, immer aber trägt der Wind ihn zu dem Dorf hin, wo er wohnte.

Traurig sieht er seine Hütte. Gerade kommt sein Liebchen aus der Haustür, Mittagbrot trägt sie im Korbe. Und er streckt die dürren Hände flehend aus nach der Geliebten. Ruft vergebens ihren Namen; matt verhallt die schwache Stimme, und das Mädchen blickt nicht mal nach oben.[21]

Er fliegt weiter: steht der Zauberer vor der Tür seiner Hütte, blickt hinauf und ruft voll Spott: »Sieben Jahre wirst Du reiten, über diesem Dorfe fliegen, wirst Du leiden und nicht sterben.«

»O mein Vater, alter Falke! Wenn ich jemals Dich erzürnte, so vergib mir! Schau, die Lippen sind mir schon ganz hart geworden. Mein Gesicht, meine Hände, – sieh her: lauter Knochen. O hab Erbarmen mit meiner Qual!«

Und der Zauberer flüstert leise. Hört der Bursche auf zu fliegen; bleibt an einem Orte stehen, doch berührt er nicht die Erde.

Sprach der Zauberer: »Gut, daß Du mich reuig anflehst. Doch was willst Du mir wohl geben, wenn ich Dir die Qual erlasse?«

»Alles, was Du nur verlangst,« antwortete der Bursche, und er faltete die Hände, kniete nieder in den Lüften.

»Überlasse mir Dein Mädchen, denn zur Frau will ich sie haben. Wenn Du sie gutwillig abgibst, kommst Du wieder auf die Erde.«

Der Knecht verstummte. Endlich dacht' er bei sich selber: wenn ich erst wieder auf der Erde bin, werd' ich mir schon zu helfen wissen. Er sagte also zu dem Zaubrer: »Führwahr, Ihr verlangt ein großes Opfer von mir; aber weil's denn nicht anders sein kann, so sei's!«

Fing der Zauberer an zu blasen, und der Knecht kam herunter auf die Erde. Wer war glücklicher als er, als er den festen Grund unter seinen Füßen fühlte und nicht mehr in der Gewalt des Windes war![22]

So schnell wie möglich lief er nach seiner Hütte. An der Schwelle begegnete er der Geliebten. Sie schrie laut auf vor Erstaunen, als sie den verschwundenen Knecht erblickte, den sie schon so lange beweint und betrauert hatte. Der Knecht stieß sie kräftig mit den dürren Händen zurück und trat eilig in das Wohnzimmer. Hier saß auf seinem Stuhle der Bauer, bei dem der Bursche gedient hatte, und halb in Tränen redete er ihn an:

»Ich werde nicht mehr bei Euch dienen, und Eure Tochter kann ich auch nicht heiraten. Zwar lieb ich sie noch immer und habe sie wohl noch mehr lieb als meine eigenen Augen, aber heiraten werd ich sie doch nicht.«

Der Bauer sah ihn verwundert an, und da er auf seinem bleichen und abgemagerten Gesichte die Spur von Leiden erblickte, so fragte er, weshalb er denn die Tochter jetzt nicht wolle.

Da erzählte ihm der Bursche alles. Der Bauer aber sagte zu ihm, er solle nur keine Angst haben, steckte sich einen vollen Geldbeutel ein und ging zur Wahrsagerin. Abends kehrte er munter zurück. Er nahm den Burschen beiseite und tröstete ihn: »Morgen früh, sobald es Tag wird, geh zur Wahrsagerin. Du wirst sehen, es wird noch alles gut.«

Der Knecht schlief zum ersten Male seit zwölf Wochen wieder auf dem gewohnten Lager. Dennoch erwachte er noch vor der Morgenröte und ging sogleich zur Wahrsagerin. Er traf sie am Herde, damit beschäftigt, verschiedene Kräuter ins Feuer zu werfen. Auf ihren Befehl mußte er im Winkel stehen bleiben, bis plötzlich sich ein heftiger Sturm erhob, daß das ganze Haus zitterte.[23]

Da führte ihn die Wahrsagerin in den Hof und sagte, er möchte in die Höhe sehen. Er erhob seine Augen und ah – o Wunder! – den bösen Zauberer, der hatte nur ein Hemde an und drehte sich immerfort im Kreise.

»Das ist Dein Feind,« sagte die Frau. »Wenn Du willst, daß er Deine Hochzeit mit ansehen soll, so tue, was ich Dir gesagt habe; und er wird dieselben Leiden erdulden, die er Dir zugefügt hat.«

Voll Freude lief der Knecht nach Hause, und einen Monat darauf hielt er schon fröhliche Hochzeit. Als die Gäste tanzten, ging er hinaus in den Hof, blickte in die Höhe, – und siehe, über der Hütte drehte sich wieder der böse Zauberer im Kreise. Da nahm er ein neues Messer, zielte lange und schleuderte es mit voller Kraft gerade in seinen Fuß.

Der Zauberer fiel herab, denn das Messer heftete ihn an die Erde. Die ganze Nacht stand er vor dem Fenster und mußte die Freude des Brautpaares und der Gäste mit ansehn.

Am folgenden Morgen war der Zauberer verschwunden, aber einige Leute sahen ihn noch über den See fliegen. Vor ihm und hinter ihm schwärmte eine Schar von Krähen und Raben; diese schwarzen Vögel begleiten den endlosen Ritt des Zauberes mit ihrem abscheulichen Geschrei.

Quelle:
Volkssagen und Märchen aus Polen von K. W. Woycicki. Breslau: Verlag von Priebatschs Buchhandlung, 1920, S. 20-24.
Lizenz:
Kategorien: