X. Butze (Geister, Ung'hür).

[172] (Der Drache am Pic Beverin.) Oberhalb des Nolla-Thales am Pic Beverin hausete in einer Höhle ein schrecklicher Drache, der die Heerden der Alpen von Heinzenberg, Savien und Schams arg heimsuchte, auch manchen einsamen Wanderer oder Hirtenbuben, den er witterte oder erspähte, wegfing und zerriß.

Ein »Schüler«, der zeitweise in den Savier-Bergen Gold-Erz sammelte, vernahm die Klage wegen dem Drachen und versprach Hülfe. In Tyrol kannte er Einen und mit Diesem gelang es ihm, den Drachen wegzubannen. – Statt dieses Drachen sei aber die Plage der bösen Wasser gekommen, indem der Nolla, so lange der Drache hauste, nie geschadet habe.

(M. Allemann.)


Ein Gespenst muß ein Dach haben, hat es Keines, so sucht es Eines.


Beim Anblick eines Butzen sage man: »Helf Dir Gott!«


Je weißer der Kopf eines Butzen ist, desto näher rückt die Zeit seiner Erlösung heran.

(Lütolf.)


Bisweilen verlangen Gespenster als Bedingung der Erlösung eine Wallfahrt.

(Lütolf. Rochholz.)


Wer flucht, wenn er durch ein Gespenst irre geführt ist, wird zwar gleich auf die rechte Spur gestellt, aber der Geist muß dafür um so länger büßen.

(Lütolf.)


Gegen Gespenster ist gut: Meisterwurz, ein Stücklein geweihte Kerze und ein Bischen Brod. Das legt man zusammen unter die Thürschwelle, so bleibt jedes Ungeheuer fort.

(Lütolf.)


Arme Seelen, Feuerbütze, Marchenrücker, Käser-Mannli, Schatzhüter und schreckhafte Gestalten.

»Arme Seelen« nennt der Volksglaube Tyrols Diejenigen, welche ohne »schwere« Sünde abgeschieden sind, nicht in das Fegfeuer kommen, ehe sie noch eine Zeit lang auf Erden wandeln müssen, um gut zu machen, was sie durch Leichtsinn und Fahrlässigkeit übel machten. –

[173] Die Feuerbütze sind immer schreckliche Erscheinungen; sie haben schwere Sünden begangen. Ihnen steht die Macht zu, Menschen, die ebenfalls ein Verbrechen auf sich haben, zu äffen und auszuspotten und irre zu führen. Ein »Brümmliger« kann durch ein Gebet verscheucht werden. –

Das Geschäft der Marchenrücker ist: die von ihnen im Leben versetzte Marche an ihre rechte Stelle zu bringen. Auch haben Ihrer nächtlich zu pflügen unddas vom Nachbar erstrittene Land wieder Demselben hinzupflügen, wobei der Pflug ihnen in den Händen brennt. –

Die Käser-Mannli waren unendlich verschwenderische, betrügende Sennen. Die müssen veruntreutes oder vergeudetes Mehl oder Salz stäubchenweise zusammenlesen, verschüttete Milch in Gefäße sammeln und Dieselbe buttern oder käsen. –

Alle Bütze haben ihren Wirkungskreis über dem Erdboden, außer die »Schatzhüter«. Das waren Wucherer und Geizhälse, die müssen in unterirdischen Gewölben und Kellern, in Finsterniß, Kälte und Einsamkeit Geld zählen; sie leiden die »kalte Pein«. –


Was die Farbe der Geister und Unholde anbetrifft, so ist roth eine böse: rothe Augen haben die Hexen, feurige die Gespenster alle, wenn der Unhold nicht grün ist; dann hat er doch rothe Augen. Rothen Hut trägt der Pfarrer des Todtenvolkes, rothe Strümpfe das Gefolge. –

Der Grünhütler in Bünden, dieses Alpengespenst, klopft jedesmal Nachts an die Thüre der Sennhütte, wenn am Tage darauf oder noch in der Nacht die Alpe mit Schnee bedeckt sein wird. – Der Grünrock ist der Teufel. Die Musikanten der wilden Jagd sind grün bekleidet. Die Zwerge tragen grüne Tracht.

Schwarz und weiß sind Zeichen und Farbe der Traurigkeit, der Buße Hel, die Urweltsgöttin, ist schwarz und weiß. – Die Elstern sind schwarz und weiß, ihr Besuch auf dem Hausdache bedeutet Zank, kommt sie unter die Hausthüre, giebt's großeKrankheit; ist das Schwarze stark glänzend, das Weiße matt, stirbt der Kranke, ist aber das Schwarze nicht schön schwarz, dagegen das Weiße glänzend, so ist Genesung zu erwarten. – Weiße und schwarze Katzen sind Junge eines Dorfthieres und böser als andere Katzen. – Urkundenfälscher tragen schwarze Röcke und weiße Halskrausen. – Der Dorfhund (Rathsherr) schwarzen Pelz und (weiße) Manschetten.


[174] Von einem Alp-Butze, das durch das »Rucken« viel Vieh schädigte, geht auch am Rigi-Berge eine Sage.

(Lütolf.)


Daß ein Butz in einer Alphütte wohnt, erkennt man daran, daß in Selbiger keine »Spinnwuppen« sich finden.


Auch die innere Schweiz hat in ihren Sagen die »hülfreichen«, wie auch die »boshaften Hausgeister«, die bald mit den Kindern »Verbergis« spielten, da und dort aber als »Ung'hür« ihren Spuck trieben.

(Lütolf.)


Die Hausbutze, auch die Tobel- oder Alp-Geister, werden oft in »Krätten« oder »Butellen« an ihren Bestimmungsort gebracht, nachdem sie in eine Solche gebannt worden waren.

(Lütolf.)


Von Polter-Geistern gehen auch in den untern Kantonen Sagen; da waren sie gutartig, dort aber gar zänkischer Natur. Oft mußte man das Haus niederbrennen, wenigstens ganz abbrechen, um sie los zu werden.

(Lütolf.)


Steinwerfende Geister finden wir in Unterwalden, Schwyz, Aargau u.a.O., wie auch in Tyrol.

(Lütolf.)


Gar mancher Butz erscheint in Hundsgestalt, so untreu gewesene Verwalter; Andere als Böcke oder Geißen.

(Lütolf.)


Die Butze als Hunde versperren oft den Leuten Dorfgassen, Hohlgassen, Kreuzwege, Wege zu Mühlen, erschienen sogar auf Tanzlauben.

(Lütolf.)


Trägt ein Straßenhund ein weißes Halsband und »Manschetten« um die Tatzen, war der Uebelthäter in seinem Leben ein Adelicher oder ein Rathsherr.

(Lütolf.)


Butze in Schweinsgestalten sind nicht selten.

(Lütolf.)


Die gutgesinnten Alp-Butze zeigten eine lebhafte Freude, wenn im Frühling wieder »z'Alp gefahren« wurde; siegingen dann den Kühen entgegen. Im Herbst aber, wenn wieder »z'Thal gefahren« ward, legten sie ihre Trauer durch Schreien und Wehklagen an den Tag.

(Lütolf.)


[175] Auch in der Alpe Bardiel, die nach Ragatz gehört, hat ein junger Aelpler das »Schönsingen« gelernt.

(Schweiz. Mercur 1.)


Einen nächtlichen Käser kannte auch Heinrich Neuhaus von Rechthalten (Kt. Freiburg).

(Schweiz. Mercur 2.)


Von einem unbarmherzigen Hirten kennt auch die Aargauer-Sage.

(Rochholz.)


Eine ähnliche Sage von einem »Schutzgeiste« geht am Abhange des Ecojalat im Kanton Freiburg. Auch dieser Schutzgeist hütete die Heerde vor aller Gefahr, um ein täglich Schüsselchen Rahm.

(Schweiz. Mercur 8.)


Auch das St. Galler Oberland hat seine Sisyphos. So war ein Solcher in Mederis bei Mels, mit Namen der »alte Strubel Christi«.

(Schweiz. Mercur 5.)


Wie Bünden, hat auch Tyrol seine Alp- und andern Bütze, dem »Tobelgeiste« ähnlich.

(Alpenburg.)


Auch in den Melser-Alpen kennt man das Alprücken (Rücken des Viehes). Besonders Abends beim Melken vor dem Stofel dreht das Vieh auf einmal, etwas Unheimliches ahnend, die Köpfe nach einer Seite, wie hinschauend, und unvermerkt rücken Heerde und Melker weiter, viele Schritte vom Stofel weg.

(Schweiz. Mercur 8.)


Mannichfache Drachensagen gehen in den V Orten. In der Luft fliegender Drache bedeutet Krieg. – Ein Drache hat in der Mitte seiner Augen je einen Stein, glutglänzend, von großem Werthe.

(Lütolf.)


Oberhalb Filters, wo die Sare entspringt, sind drei kleine Bergsee, von denen Einer der »wilde« See ist. Ihn bewohnen räthselhafte Wesen. Wer einen Stein in seine Fläche wirft, sieht allsogleich Wolken herbeiziehen und ein Gewitter aufsteigen und wäre es beim heitersten Himmel.

(Schweiz. Mercur 9.)


Von einem im Jahre 1499 erschienenen Drachen ungeheurer Größe in der Reuß bei Luzern giebt der Chronist Etterlin Beschreibung und Zeichnung.

(Lütolf.)


[176] Einen Unheil verkündenden Fisch beherbergt auch der Zuger-See; der ist so lang als ein »einbäumig Schiff«. Er zeigt böse Begebenheiten an.

(Lütolf.)


Eine Derivante vom »Melkstuhle« giebt N. Senn in seinen Bündner-Volkssagen: Nr. VIII, Hitz und Witz, wo der Handbube die »Glocken-Gaiß« (Vorgaiß) zu gewinnen hatte, welche der Senn ihm, trotz Versprechen, nicht geben wollte.


Auch der Marchen-Rücker am Crapp Saßlatsch hat in deutschen Gauen seine Doppelgänger; so war Einer, der nach seinem Tode den schweren Grenzstein keuchend umhertragen mußte und dazu rief:


»Wo leg' ich ihn hin,

Mir zum Gewinn?«


Viele Jahre hatte er so herumgewandelt, als einst ein Betrunkener des Weges kam und im Scherze antwortete: »Ei, leg' ihn hin, wo Du ihn hergenommen hast!« Da setzte der Geist den Stein auf den richtigen Platz und hatte seine Erlösung gefunden.

(Mone 8.)


Ein »feuriger Mann« (Gespenst eines Marchenrückers) wandelt an der Grenze zwischen Reichholzheim und Dörlesberg (Baden). Derselbesetzte sich einem Spielmanne auf, der Nachts des Weges ging, und der ihn bis zum ersten Hause in Reichholzheim tragen mußte.

(Mone 7.)


Vom Geiste in l'Aval sura geht im Rhöngebirge eine Derivante: Ein Bauer, der Nachts an der Ulster (Fluß) vorbeiging, sah aus der jenseitigen Ferne ein Licht herankommen, welches stets größer wurde und zuletzt zum »feurigen Manne« ward. Mit einem Schritt trat der »Feurige« über das Wasser, sprang dem Bauern auf den Buckel und ließ sich von ihm forttragen. Vergebens suchte der Bauer vom Gespenste sich zu befreien durch Beten; dann aber fing er an zu wettern und zu fluchen, und sogleich wich der feurige Mann.

(Mone 8.)


In deutschen Gauen gehen oft Gespenster um, die Vorübergehenden sich anhängen. So sprang ein Gespenst in Kalbsgestalt einem Jäger, der durch einen Wald im Badischen ging, auf den Rücken und zwang ihn, bis gegen Morgen es herumzutragen.

(Mone 7.)


Auch gespenstige Feldmesser hat die Sage.

(Stöber.)


[177] Marchsteinverrücker wurden zuweilen bis an den Hals aufrecht in den Boden gegraben und ihnen dann mit dem Pfluge der Kopf abgefahren.

(Lütolf.)


Besonders in St. Gallischen Landen geht der Glaube, daß ein Marchsteinrücker an der Stelle seiner Unthat als brennender Mann (Irrwisch) herumwandeln muß, bis er erlöst wird.

(Schweiz. Mercur 5.)


Die brennenden Mannli spielen auch in den V Orten eine ziemliche Rolle; sie waren meistens Marchenrücken gewesen bei Lebzeiten. Einige halten sie für ungetaufte Kinder, die man durch die Taufe erlöse.

(Lütolf.)


Ebenso hat Aargau seine Marchen-Rücker, die als »Brünnlige« umgehen müssen.

(Rochholz.)


Auch von der Alpe Grube, die vordem nach Praden, jetzt aber nach Tschiertschen gehört, geht die Sage von der unrechtmäßig gewonnenen Alpe.

(*G. Sprecher.)


Daß der Stiefeli-Reiter in Mezza-Selva bei Saas ein Bauer war, der dort umgeht, ist bekannt; auch er hatte durch falschen Eid ein Grundstück sich angeeignet und schwörte auch beim »Boden, auf dem er stehe, und dem Schöpfer über ihm«.

(Rochholz.)


Im Valeis-Hunde bei Wangs finden wir auch den in einen Hund verwandelten Zeugen in einem Grenzstreite zwischen Filters und Wangs. Auch der schwörte beim »Schöpfer ob ihm«.

(Schweiz. Mercur 6.)


Selbst in den untern Kantonen finden wir die Sagen von unrechtmäßig erworbenen Gütern, sowie den »Richter und Schöpfer« (Kamm und Löffel), mehrfach.

(Lütolf.)


Das Kolmarer-Nachtgespenst (Elsaß) heißt »Nacht-Kalb«. Oft liegt es bei den Häusern und schnauft schwer und unheimlich, trabt auch den Leuten nach, wenn sie spät nach Hause ziehen.

(Stöber.)


In Wettingen (Aargau) geht ein Dorfpudel um; das ist bei Lebzeiten ein Klostergeistlicher gewesen. Er ist groß und schwarz und hat feurige Augen.

(Rochholz.)


[178] Sogar im Elsaß geht die Sage vom Schöpfer »oben« und dem »eignen« Boden »unten«.

(Stöber.)


In Tägerig (Aargau) kaufte ein Bauer Holz voneinem abgebrannten Hause. Er hatte eben die letzte Fuhre geladen und rief beim Wegfahren: »jetzt haben wir wohl Alles«, da rief eine Stimme hinter ihm: »ja, fahret numä zua, i sitze scho uf der Langwied hinne«. Der gute Mann hatte, ohne zu wissen, einen Hausbutz mit in den Kauf erhalten.

(Rochholz.)


Ein Bauer aus Baumerlenbach (Baden) ersteigerte einmal eine »Bequem-Lade« (Commode), deren Schlüssel verlegt sein sollten. Beim Abladen zu Hause fand er sie ungewöhnlich schwer. In voller Freude, eine volle Lade statt einer leeren gekauft zu haben, ließ er Diese durch den Schlosser aufschließen. Da hüpfte ein kleines schwarzes Männlein heraus und wischte hinter den Ofen. Alle Bemühungen, den Hauskobold zu vertreiben, waren vergebens, weil er in's Haus getragen worden, konnte Niemand mehr ihn aus Demselben herausbringen. – Dieser Hausbutz wurde nach der Hand mit den Hausleuten ganz vertraut; Fremden zeigte er sich niemals. An den Winterabenden, wenn die Leute beisammen in der Stube saßen, pflegte er den Deckel des eisernen Hafens auf dem Ofen aufzuheben und mit demselben zu klappern, auch wohl die Leute mit warmem Wasser aus dem Hafen zu bespritzen.

(Mone 4.)


Eine Frau brachte unbewußter Weise in einem Bündel Werg einen Hausgeist heim.

(Rochholz.)

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 172-179.
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