Der unheimliche Ritt.

[134] Ein »Frohnfastenkind« ritt einst am späten Abende vom Dorfe Grüsch seiner Heimath Malans zu. Nahe der »dunkeln Buche«, die einsam am untern Straßenborde dicht am steinigen Ufer der schäumenden Lanquart stand, wollte der Gaul nicht vorbei. Erst nach längerem Antreiben schlich er sich ängstlich am obern Straßenborde hin, bis er an der Buche vorüber war, schlug dann plötzlich einen[134] rasenden Galopp an, so daß der zügellos Reitende erstlich kaum des Daseins sich bewußt wurde. Doch vermochte er nach Kurzem sich zu fassen, blickte verstohlen hinter sich und gewahrte, wie ein großer, dunkler Mann mit »feurigen Augen« von der Buche her ihm folgte und drohte. Der Gaul verharrte indeß im Galoppe bis zur Malanser-Säge; erst dort nahm er einen gemäßigten Lauf an. Aber da, wo es heißt zum »Ecken-Bovel«, verfiel er wieder in die Muckerei, wie bei der »dunkeln Buche«, bis daß er, die Stauden streifend, und kaum beim verrufenen Ort vorbei, abermals größter Eile sich befliß. Wiederum blickte der Reiter ängstlich um sich und erkannte den nämlichen schwarzen Mann, der ihm abermals rasend schnell folgte und wieder drohte. Erst bei der » Rüfe« blieb der Unheimliche zurück, und schweißtriefend langten Roß und Reiter in Malans an. –

Dieser schwarze Mann soll bei Lebzeiten zwei Morde begangen haben, den Einen bei der »dunkeln Buche«, den Andern beim »Ecken-Bovel«; er muß zur Sühne seiner Unthat umgehen, und kann nur von einem Sonntagskinde erlöst werden, das ihm ohne Zagen entgegengeht, nicht aber flieht.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 134-135.
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