Der launige Alpbutz.

[46] Ein ganz launiger Kerl von einem Butz war auch in der Ober-Säß in Schlapin. Auf dieser Alp hat einmal der Großhirt am Herbst bei der Alpfahrt mit Fleiß und Vorbedacht ein Rind zurückgelassen. Des andern Tages nun schickte er seinen Kleinhirten hinauf auf die Alp, das vergessene Thier zu holen. Auf der Nonnenalp hauste aber seit undenklicher Zeit schon ein Butz im »Dajagmach«, dazu mochte der Großhirte den Kleinen gar nicht leiden, und da dachte er sich, wenn der kleine Nixnutz allein hinaufkommt, so wird ihn der Alpbutz schon in Empfang nehmen. Der Kleinhirte nimmt auf Geheiß seines Meisters den Weg unter die Füße und kommt zur Alphütte, wo er im Stafel das Rind findet, behaglich wiederkauend. Er setzt sich im Stafel zur Rast, packt seinen Schnappsack und fängt an zu »marenden«. Ueber eine Weile kam der Alpbutz herein, und kauerte sich ohne Wort und Werk neben dem schmausenden Kleinhirten auf den Boden nieder. Der Kleinhirte bot dem Butze auch von seinem »Marende« an, und letzterer griff tapfer zu. Beim Abscheide gab dann der Butze dem Hirten ein zierliches »Schelmapfîfli« als Geschenk. Als dann das Hirtlein Abends mit dem Rinde und dem »Schelmapfîfli« nach Hause kam, schaute der Großhirt ganz verwundert drein, um so mehr als er vernahm, das Pfîfli habe einen so schönen Ton. Er dachte: Der Butz muß doch so arg nicht sein, und ein solches Pfîfle möcht ich auch haben, ließ sich dasselbe zeigen und probirte es; o wie schön konnte er mit dem musiziren, so laut, daß es in den Bergen erhallte und so leise und milde, daß er es selbst kaum hörte. »So eins muß dir der Butz auch geben, ob er will oder nicht.« – Er ging dann auch allein denselben Herbst nach der Alp, aber vom habsüchtigen Großhirten ist nichts mehr zurückgekommen.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 46.
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