Die Wunschhöhle bei Arosa.

[12] Dahinten im Schanfiggerthale über dem Dörfchen Arosa und dem lieblichen Schwellisee steht einsam ein alter »Ziernüßlibaum«. Rings um denselben, auf eine halbe Stunde weit, sind alle andern Arven verschwunden; nur diese einzige ist übrig geblieben, hoch und mächtig mit breitem Wipfel zum Himmel ragend. Unter ihrer Wurzel hervor sprudelt ein frischer Quell.

Wer ein Sonntagskind ist, findet in derselben einen goldenen Schlüssel und neben dem Baum einen versteckten Eingang, der zu einer eisernen Thüre führt. Diese schließt der goldene Schlüssel auf.

Drinnen steht ein kleines Männlein mit weißem Barte und winkt dem Eingetretenen, ihm zu folgen. Sie gelangen in einen weiten Raum, der von Gold und Edelsteinen taghelle erleuchtet ist; hier läßt das Männlein dem Ankömmlinge die Wahl zwischen drei Dingen, die da zu sehen sind: einem Haufen Gold und Diamanten, einer goldenen »Plümpe« und einer verzauberten, schönen Jungfrau.

Wählt er den Haufen Gold und Edelstein, so wird er unermeßlich reich; nimmt er die Plümpe, so wird er das schönste Vieh im Lande haben, aber beide Male nur wenig Glück daneben. Erkiest er sich aber die verzauberte Jungfrau, so wird er diese vom Banne erlösen, sein Leben lang glücklich sein und an Nichts Mangel leiden.

Der Letzte, der in die Wunderhöhle gekommen ist, war ein junger Küehjer gewesen. Weil dem das liebe Vieh und das lustige Sennenleben über Alles ging, hat er die goldene Plümpe gewählt. Das hat aber die verzauberte Jungfrau gar übel genommen. – Wohl hatte er das schönste Vieh im Lande, aber ehe ein Jahr um war, ist ihm Stück um Stück in den gräulichen Felsenschlünden am Erzhorne und im Welschtobel erfallen, und er selber ist ganz jung und ungeliebt gestorben.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 12.
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