Das Katzenschloß.

[113] (In Darvella bei Trons erzählt.)


An einem Sommerabend ritt ein Rittersmann durch einen Wald. Im tiefsten Dickicht war er vom Pferde gestiegen, um an einer rauschenden Quelle zu rasten. Da stund plötzlich vor ihm ein Schwarm grauer Katzen. Das wunderliche Volk miaute und schrie, und wies nach einem halbverborgenen Pfade, daß der Ritter, sein Roß führend, folgen mußte. Voran hüpften und tanzten und sprangen die grauen Thiere, den Weg zeigend und dem ernsten Manne ein leises Lächeln entlockend. Die sonderbaren Wegweiser giengen und hüpften durch Gestrüpp und Gesträuch, bis Ritter, Roß und Katzen[113] vor ein schimmerndes Schloß auf grünem Hügel kamen. Mit lächerlichen Geberden hieß der Katzentroß den fremden Mann in die weiten Hallen treten. Dieser band sein Pferd an eine Säule von Marmelstein und gelangte, stets von Katzen geleitet, in einen hohen Saal, wo auf prächtigem Throne zwei wunderschöne Katzen lagen, eine weiße und eine schwarze, welchen die übrigen Thiere mit den Zeichen unverkennbarer Huldigung nahten. Der Ritter wollte die seltsamen Inhaber des Schlosses anreden; denn er merkte wohl, daß hier etwas Besonderes vor gieng; allein ehe er sich's versah, befand er sich in einem andern prunkvollen Gemache, wo ein auserlesenes Nachtessen seiner harrte. Er aß und trank sich an den herrlichen Speisen und an den dunkelrothen und goldhellen Weinen satt und suchte Ruhe auf einem seidenen Bette im nahen Prunkzimmer, wo er bald den Schlaf des Gerechten schlief. Es gieng aber nicht lange, da zupfte Etwas an der seidenen Decke, und als der Ritter wach wurde, sprach die schwarze Katze zu ihm folgendermaßen: »Vor einigen Jahren war ich ein mächtiger Fürst, die weiße Katze meine Tochter und die grauen Katzen mein Hof. Da kam ein böser Zauberer, dem ich nicht zu Willen gewesen, und der verwandelte uns Alle in Katzen. So Ihr aber den Muth habt, diese Nacht auf jenen Hügel zu steigen, wo die drei goldenen Kreuze blinken, die Zauberwurzel am Fuße des mittleren Kreuzes herunterzuholen und mich und meine Tochter und mein Gesinde damit zu berühren, so werdet Ihr uns Alle befreien, und Ihr sollt meine Tochter zur Frau haben und mit ihr herrschen über mein Volk. Vor Gefahren aber warne ich Euch.«

Der Ritter besann sich nicht lange, griff nach seinem Schwert und zog voll Gottvertrauen hinaus in die dunkle Nacht. Als er aber den Berg zu besteigen begann, da hub ein Geheul an, wie wenn die Hölle ihre Thore aufthäte; es sauste und krachte durch die Lüfte, aus den Ritzen stiegen Schreckensgestalten empor, Blitze schlugen nieder; aber der Ritter verfolgte unbekümmert seinen Weg. Er erreichte die Höhe, wo die drei Kreuze stunden und brach mit muthiger Hand die Zauberwurzel, während der Berg in seinen tiefsten Tiefen erbebte. Als er wieder zu Thale stieg, war alle Spuck verschwunden, und vor dem Thore des Schlosses harrte seiner der[114] Katzenfürst und seine Vasallen. Diese berührte er mit der Zauberwurzel, und im nämlichen Augenblicke strömte ein Lichtmeer durch den Palast, einen prachtvollen Hofstaat beleuchtend, auf dem Throne einen königlichen Greis, neben ihm die anmuthigste Prinzessin und im weiten Kreise Ritter und Edeldamen in reichster Hoftracht. Da winkte der König dem Ritter heran, legte die Hand der erglühenden Tochter in die seinige, und der Festlichkeiten war kein Ende.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 113-115.
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