Die Adlerbraut.

[131] (In St. Benedetg bei Somvix erzählt.)


In einer großen Stadt lebte ein armes Ehepaar, welches lang kinderlos blieb. Als ihnen der Herrgott ein Knäblein bescheerte, sagte die Wehmutter, die gar gescheidt war, man solle zum Pathen für das Kindlein den ersten besten Reiter nehmen, der des Weges komme. Der Vater gieng auf die Straße, wartete den ersten Reiter ab und bat dann diesen zu Gevatter. Der Mann sagte zu, hob das Knäblein aus der Taufe und gab sich als König eines großen Inselreiches zu erkennen. Das Knäblein aber gefiel dem Herrn so gut, daß er einen großen Haufen Goldes zurückließ mit dem Befehle, für das Kind gehörig zu sorgen, und wenn es achtzehn Jahre alt sei, es ihm zu Hofe zu schicken, wo es dann sein eigen Töchterlein zur Frau erhalten solle.

Die Eltern thaten, wie ihnen geheißen, und als der Knabe achtzehn Jahre alt wurde, sandte ihn sein Vater zum königlichen Pathen im großen Inselreiche. An einer Quelle traf er mit einem häßlichen Zwerge zusammen, der den Jüngling mit dem Tode bedrohte, wenn er nicht thue, was er wolle. Das Pathenkind des Königs mußte sich fügen und das Versprechen ablegen, den Zwerg als den künftigen Gemahl der Inselprinzessin gelten zu lassen und sich selbst als Diener zu betrachten. So gelangten die zwei in das Inselreich, und der König war nicht wenig erstaunt, als er sein vermeintliches Pathenkind sah mit dem wackeligen unförmlichen Kopf und den dünnen, schiefen Beinen. Auch der Königstochter gefiel der krummbeinige Bräutigam gar nicht gut, und sie hielt sich lieber an seinen schlanken und schönen Diener. Darob wurde der Zwerg eifersüchtig und verwünschte die Königstochter nach der Insel im Meere, wo ewiges Dunkel herrscht. Und dabei war er so boshaft, den Diener als den Zauberer zu bezeichnen, so daß dieser auf Befehl des Königs ins Gefängniß geworfen und zum Rade verurtheilt werden sollte.

Da erschien in der Nacht vor der Hinrichtung des unglücklichen Jünglings ein ehrwürdiger Greis und gab ihm den Rath, als letzte Gnade drei mit Fleisch beladene Schiffe zu verlangen, womit er in[132] die See stechen und die Königstochter suchen müsse. Das that der Jüngling und schwur bei dem Höchsten nicht zu rasten und nicht zu ruhen, bis er die Königstochter gefunden. Der fürstliche Vater gewährte ihm die Bitte.

Und der Jüngling fuhr hinaus in die wogende See und kam zuerst zur Insel der Bären, welchen er auf Verlangen eine Schiffsladung voll Fleisch gab. Den Bärenkönig aber fragte er nach der Insel ohne Licht; der konnte ihm aber keinen Bescheid geben, versicherte ihn indessen seiner Hülfe auf den ersten Pfiff hin. Auf der Insel der Leoparden hatte der Jüngling das gleiche Abenteuer, gab die zweite Schiffsladung, erhielt zwar keine Auskunft über die gesuchte Insel, wohl aber freudige Zusicherung der schnellsten Hülfe für den Nothfall. Auf der Insel der Adler ergieng es ihm besser. Der Adlerkönig, dem er die dritte Schiffsladung mit Fleisch überreichte, war darüber hoch erfreut und verlieh dem Jüngling die Gabe, sich nach Belieben in einen Adler verwandeln zu dürfen, und was die Insel ohne Licht anbelangt, so erfuhr das Pathenkind des Königs durch einen alten Adler, der dort einmal gewesen war, das Nähere; ja der wackere Vogel bot sich ihm zum Begleiter an, was unser Freund gerne annahm.

So fuhren sie zusammen in die See hinaus und kamen zur lichtlosen Insel, wo sie landeten. Das erste, worauf sie stießen, war eine alte Frau, die sieben weiße Mäuse um sich hatte. Diese frug der alte Adler nach dem Schlosse, wo die fremde verzauberte Fürstin weile, und das Weib gab bereitwillig Auskunft und sagte, sie wolle ihnen ihre Mäuse als Führerinnen mitgeben. Der alte Adler aber, der an Sonne gewöhnt, in dieser lichtlosen Luft nicht leben konnte, breitete die Fittige aus und flog südwärts seiner glühenden Heimath entgegen. Die Mäuslein aber führten den Jüngling zu einer auf steilen Felsen liegenden Burg mit einem einzigen Fenster hochoben unter dem Dache, aus welchem ein blasses, edles Antlitz hinaussah in die ewig dunkle Nacht. Der Jüngling verwandelte sich in einen Adler, flog hinauf in die Dachkammer und nahm zum Entzücken seiner schönen Freundin wieder seine Gestalt an. Und die Königstochter sagte ihm, er müsse noch, ehe er sie befreien könne, den[133] Drachen tödten, der sie bewache, der horste aber im dunkelsten Theile der Burg, zu dem viele, viele Stufen hinabführten. Der junge Mann zögerte nicht lange und stieg hinab, das gezückte Schwert in der Hand, bis zur Drachenhöhle, aus der das Scheusal kampfbereit hervorblickte. Der Jüngling führte sofort einen mächtigen Hieb mit seinem Schwert nach dem Drachen; aber am Schuppenpanzer des Lindwurms brach die Klinge, wie ein leichter Stab, und unser Freund wäre verloren gewesen, hätte er sich nicht im entscheidenden Augenblick der versprochenen Hülfe erinnert und den fernen Freunden gepfiffen.

Und kaum war der Schall verhallt, daß es von allen Seiten von Bären, Leoparden und Adlern lebendig wurde und der Drache nach verzweifelter Gegenwehr den vereinten Kräften der starken Thiere erlag. Im Jubel wurde nun die Königstochter auf die Schiffe gebracht, der Drache aber verbrannt und die Asche ins Meer geworfen. Und siehe, im nämlichen Augenblicke sah sich das Pathenkind des Königs von einem zahlreichen und glänzenden Gefolge umringt – es waren die Bären, Leoparden und Adler, die durch das Verbrennen des Drachen wieder ihre Menschengestalt erhalten hatten.

Auf der Insel wurde es hell, und die Burg sank in Trümmer. Des Königs Pathenkind und die Königstochter und all' die befreiten Ritter und Edlen schifften südwärts nach dem großen Inselreiche, wo sie jubelnd empfangen wurden. Den betrügerischen Zwerg aber erreichte die schwere Hand des Königs, und er starb auf dem Rad.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 131-134.
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