2. Die nächtlichen Sennen.

[128] Es hütete in der Küeh-Vereina ein Schäfer seine Heerde, und vermißte eines Abends einige Schafe. Beim Suchen nach Denselben überraschte ihn die Dunkelheit, und er mußte in der Hütte von Küeh-Vereina übernachten.

Um Mitternacht hörte er Jemanden aus dem Keller kommen, und erblickte gleich darauf zwei geisterhafte, weibliche Wesen, welche sich damit beschäftigten, Feuer zu machen, und zu käsen.

Der Hirte, der sich aber nicht fürchtete, blieb ruhig liegen, und schaute zu.

Als das Geschäft beendigt war, kam Eine der Gestalten zu ihm her, und bot ihm vom vom frischen Käse und Zieger an; er nahm aber nichts davon.

Am Morgen hielt er das Geschehene halbwegs für einen Traum.

Am Abende desselben Tages kehrte er von der Höhe nach der Hütte zurück, aus Wunder, ob von dem frischen Käse und Zieger noch Etwas vorhanden sei oder nicht. – Die Erscheinung war die gleiche der Nacht zuvor. Aber weil der Schäfer auch dießmal von der angebotenen Speise nichts annahm, jagten die zwei Gestalten ihn zur Hütte hinaus, wo alsbald ein ungeheurer Windstoß ihn erfaßte, und weit weg trug.

Er schaute nach der Gegend hin, wo die Hütte stand, und gewahrte dort eine Helle, als stände die Hütte in vollem Brande.

Am Morgen ging er hin, und fand die Hütte ganz leer, und von Geistern, Käse und Zieger war keine Spur zu entdecken.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 128.
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