20. Der Birnbaum mit drei Ästen

[211] Es war einmal und noch einmal, und wenn es nicht gewesen, würde man es nicht erzählen, wie Seifenblasen wäre es zerplatzt.

Es waren zwei Leute, die hatten gar nichts, nur drei Kinder, alle drei waren Knaben. Da sie nun arm waren, lebten sie, wie alle Armen, aus der Hand in den Mund. Die Zeit verging, sie kam wieder, die drei Brüder wurden groß und drei stramme Burschen. Nur einmal ereignete es sich, daß ihr Vater starb und nach kurzer Zeit auch ihre Mutter. Als auch die begraben war, war es der Gebrauch, daß nun das Erbe aufgeteilt werden sollte unter die drei Brüder, aber es fand sich gar nichts außer einem Birnbaum mit drei Ästen. »Nun, ihr Brüder, wie sollen wir diesen Baum teilen?« Die beiden ältern wußten nicht, wie man das anstellen sollte, aber der jüngere sagte: »Ihr Brüder, seht euch den Baum an, er hat grade drei Äste. Der älteste soll den größten Ast nehmen, der mittlere den mittlern, und ich nehme den kleinsten Ast.« Gut. Diese Teilung gefiel allen.

Der Winter war vergangen, der Sommer kam. Der Baum war vollbeladen mit Birnen, sie waren so schön, daß es Mär gab, und als sie anfingen reif zu werden, leuchteten[211] sie auf der einen Seite gelb, auf der andern rot. Die drei Brüder kamen überein, sie sollten sie hüten, damit man sie nicht stehle. Nachher müßten sie dieselben mit der Hand herunternehmen und in die Stadt führen, so könnten sie einen ganzen Haufen Geld machen. Die erste Nacht hütete der älteste. Grade damals traf es sich, daß Gott und der heilige Petrus auf der Welt herumgingen, um zu sehen, wie die Leute wären. Als sie auf der Straße nahe an dem Baume mit den drei Ästen vorbeikamen, sprach Gott: »Gerne möchte ich eine Birne von dem Baum essen, gehe du, Petrus, und bringe einige im Hut. Aber du darfst sie nicht stehlen, der Mann hütet sich sie, aber verlange ihm einige.« Der heilige Petrus ging und sagte: »Guten Abend, du Mensch.« – »Ich danke Euch.« – »Willst du nicht so gut sein und mir ein paar Birnen geben? Wir sind zwei arme Menschen, gehen betteln, und nun hat uns die Nacht auf der Straße bekommen, wir sind hungrig, daß wir nicht mehr können.« – »Wie sollt' ich dir nicht geben? Komm herein und halte deinen Hut.« Petrus hielt den Hut, dieser füllte ihm ihn, aber vom Aste seines Bruders. Petrus dankte und brachte sie Gott, darauf sagte Gott: »Höre, Petrus, du sollst keine essen von diesen, diese sind nicht gerecht.« Er nahm den Hut und leerte ihn in den Straßengraben.

Am nächsten Abend hütete der zweite Bruder. Da kam Gott wieder diesen Weg und schickte wieder den heiligen Petrus um Birnen. Petrus ging und sagte zu dem jüngeren: »Guten Abend, du Mensch.« – »Ich danke Euch.« – »Würdest du nicht so gut sein und mir ein paar Birnen geben, ich bin mit meinem Kameraden auf der Straße gekommen, wir sind hungrig, daß wir nicht mehr können.« – »Wie sollt' ich dir nicht geben, es sind ja genug.« Er streckte die Hand nach dem Aste seines Bruders und gab ihm den Hut voll. Dieser dankte und ging mit den Birnen zu Gott.[212] Gerne hätte er unterwegs zwei Birnen gegessen, aber er wagte es nicht, denn Gott weiß alles. Als er zu ihm kam, nahm er sie und warf den ganzen Hut voll in den Graben der Straße: »Diese essen wir nicht, sie sind nicht rein, sie sind gestohlen.«

Am andern Abend hütete der jüngste die Birnen, wieder kam Gott mit dem heiligen Petrus. Wie er in die Nähe des Birnbaumes kam, schickte er Petrus wieder um Birnen. Nun, Petrus getraute sich nicht, etwas zu entgegnen, obwohl es ihm zuviel war, jeden Abend Birnen zu verlangen, um sie in den Graben der Straße zu werfen. Er ging, und als er in die Nähe des Birnbaumes gelangte, sagte er: »Guten Abend, du Mensch.« – »Ich danke Euch, aber was bringt Euch so spät am Abend auf diesen Weg?« – »Sieh, ich bin mit meinem Kameraden gekommen, wir sind arme Leute und gehen betteln, nun hat uns die Nacht auf der Straße erreicht, und wir sind hungrig, daß wir nicht mehr können, sei so gut, gib mir ein paar Birnen.« – »Ich gebe dir, Gott hat sie gegeben, komm, halt den Hut.« Der Jüngste brach Birnen von seinem Ast und füllte den Hut. Petrus dankte und kehrte nun zu Gott zurück. »Nun, Petrus, komm, daß wir uns jetzt füttern, diese sind recht.« Sie setzten sich neben die Straße und aßen und aßen, bis der Hut leer war. »Petrus, gehe noch einmal und bring noch einen Hut voll.« Dieser ging und bat noch um ein paar, der Junge füllte den Hut noch einmal von seinem Ast, dann fragte Petrus, was er schuldig sei. »Ach Herr, mir hat sie ja Gott gegeben, damit ich auch den Armen geben kann.« Gut. Petrus brachte die Birnen, und sie aßen auch diese, dann waren sie satt. »Petrus, geh noch einmal und frage: Welches Gute verlangt er auf dieser Welt.« Petrus ging und fragte: »Welches Gute wünschst du dir in dieser Welt?« – »Ich verlange mir gar kein Gutes, alles ist schon von Gott geordnet. Mir würde es[213] gut kommen, wenn mir eine gute Gefährtin bestimmt wäre.« Petrus wandte sich zurück und sagte diese Worte. Jetzt erhob sich auch Gott, sie gingen nun beide zum Jüngling, und Gott sprach: »Heute sollst du jetzt die Birnen nicht mehr hüten, du sollst mit uns kommen.« (Sie waren schon früher auf ihrem Wege zu einem Mädchen gekommen, welches sehr arm, aber auch wie dieser Bursche immer auf dem rechten Wege gewandelt. Gott war viel auf der Erde herumgewandert, hatte aber nur diese beiden ehrenhaft gefunden.)

Der Bursche sprang vom Birnbaum herunter und ging mit, sie gingen vorwärts und gingen weit, bis sie in ein Dorf kamen. Als sie im Dorf waren, traten sie in ein Haus nur mit Stroh gedeckt, es wohnten dort nur ärmere Leute. Aber im Hof und in der Stube waren viele Leute, und man hörte drinnen die Geige und Flöte, man sah, es war der Anfang einer Hochzeit. Als sie eintraten, kam die Braut und brachte eine Schüssel voll Suppe und rief diese drei Fremden zum Essen. Sie hielt dieselben für Bettler. Als sie gegessen, blieben sie in der Mitte des Vorhauses stehen, bis die Leute sagten: »Warum steht ihr noch hier im Wege, geht beiseite, geht jetzt auch auf andere Hochzeiten, es sind noch im Dorfe.« – »Wir rühren uns nicht von der Stelle, bis ihr uns nicht die Braut gebt.« – »Dann geben wir euch die Braut, wenn der Wein von der Decke der Stube fließt und die Flasche füllt.« Gott dachte nur, und als er gedacht, floß der Wein von der Decke und füllte die Gläser, und als diese voll waren, floß er auf den Tisch, vom Tisch auf die Erde, daß die Leute erschraken und alle davonliefen. Es blieben nur die drei Fremden, die Braut und ihre Eltern. Diese sagten nichts mehr, und am nächsten Tage war Hochzeit. Der Bräutigam war unser Bursche und Gott der nănaş (Beistand).[214]

Als die Hochzeit vorüber, packte die junge Frau alle ihre Sachen in den Zwerchsack, sie hatte nicht viel, und nun gingen alle vier auf die Straße. Sie gingen ein Stück zusammen, bis sich ihre Wege trennten. Dann wünschten sie dem Nanasch und seinem Kameraden gute Gesundheit und trennten sich. Die jungen Leute gingen auf dem rechten Wege, Gott und der heilige Petrus gradaus. Als die Jungen eine Weile gegangen, kamen sie auf eine schöne Wiese, setzten sich nieder, um ein wenig auszuruhen. Der junge Mann legte den Kopf in den Schoß seiner Frau und fing an zu weinen und weinte und weinte so, daß ihre Schürze ganz naß wurde. Trotzdem Gott schon weit war, sah er doch dies große Weinen und schickte den heiligen Petrus, ihn zu fragen, warum er so traurig weine. Nun, Petrus kam und fragte ihn. »Wie soll ich nicht weinen, wenn ich meine gute junge Frau sehe, und weiß nicht, wohin ich sie führen soll, ich habe nicht einmal ein kleines Häuschen, habe nur den kleinsten Ast eines Birnbaumes.« Als Gott diese Worte hörte, dachte er, und als er gedacht, stand ein schönes Haus auf der Wiese und neben dem Haus eine Kirche, einige Geschäfte und ein Wirtshaus, und Gott gab dies alles ihnen. Die junge Frau mit ihrem Manne fielen auf die Knie, küßten die Erde, schlugen sich das Kreuz und dankten Gott, aber sie wußten noch immer nicht, daß ihr Nanasch Gott war.

Jetzt sagte der junge Mann zu seiner Frau: »Du Frau, jetzt wohnen wir in diesen schönen Häusern, aber wir wollen nicht einen Armen an unserer Türe vorbeigehen lassen, ohne ihm zu essen zu geben oder Kleider zum Herumgehen.« Und so war es. Sie halfen den Armen, verrichteten Gebete und gaben Wachs für Gott und was sich für einen Menschen von Ehre geziemt. Einmal ging der Mann auf die Jagd, die Frau allein blieb zu Hause. Da traf es sich, daß Gott mit dem heiligen Petrus wieder auf der Welt herumwandelte,[215] nur einmal fielen Gott diese jungen Leute ein, und er sprach zum heiligen Petrus: »Komm, Petrus, wir wollen gehen und sehen, was noch die jungen Leute machen, ob sie noch immer ehrenhaft sind?« Gut, sie nahmen sich und gingen bis an die Türe, angezogen wie Bettler. »Guten Abend, unsere stăpînă!« – »Ich danke Euch!« – »Seid so gut und gebt uns ein wenig Herberge für diese Nacht, wir haben uns verspätet und sind müde, daß wir nicht mehr können.« – »Die Herberge ist Gottes, nicht unser«, antwortete die Frau, »kommt herein, setzt Euch an den Tisch, ich bringe Euch Suppe.« Sie breitete ein weißes Tischtuch aus und brachte eine große Schüssel voll Suppe und Paluckes, aber sie legte auch das Brot auf den Tisch und Branntwein und sagte dann: »Es soll Euch wohl bekommen.« Wie sie dann anfingen zu essen, ging sie und richtete einen weißen Strohsack aus der Truhe und machte ein Bett, und als sie gegessen – sie hatten noch Suppe übrig gelassen, so viel war in der Schüssel gewesen –, sagte die junge Frau: »Nun kommt, Ihr guten Leute, legt Euch schlafen, Ihr werdet schläfrig sein, da Ihr von der Straße kommt.« – »Laß nur sein, stăpînă, wir legen uns nur in die Türe mit dem Kopf auf die Schwelle, wir haben nicht reine Wäsche, wir beschmutzen dir das Bett.« – »Aber deswegen sollt Ihr Euch nicht betrüben, wir haben noch Wasser zum Waschen, aber ich habe auch Wäsche, ich gebe Euch zum Wechseln.« – »Laß nur, liebe stăpînă, mach dir Arbeit wegen uns nicht mehr, wir sind auf der Schwelle gewöhnt.« Sie legten sich hin.

Da kam der Mann nach Hause, es fehlte nicht viel, so wäre er auf die Leute getreten. »Du, wen läßt du hier in der Türe liegen, warum machst du den Fremden nicht ein Bett, wie es sich gehört?« – »Sieh, ich hab' es ihnen gemacht, aber sie wollten durchaus nicht, komm jetzt und iß, du wirst hungrig sein.« Er hatte keine Ruhe, er ging[216] zu den Fremden, schüttelte sie: »He, Ihr guten Leute, kommt und eßt mit mir.« Gott hatte alles gehört, er stellte sich nur schlafend. Als sie nun geschüttelt wurden, erhoben sich beide und sprachen: »Aber laß sein, unsere stăpînă, deine Frau, hat uns schon Abendessen gegeben, wir sind satt.« – »Aber mir ist es nicht gemütlich, wenn ihr nicht wenigstens ein wenig mit mir eßt.« Jetzt setzten sie sich alle zum Tisch. Die beiden kosteten ein wenig und plauderten, dann legten sie sich schlafen.

Morgens erhoben sich die Fremden mit dem Tage, dankten für die Herberge und alles und gingen fort. Die junge Frau bespritzte den Boden mit Wasser, um zu kehren, als sie bis an die Türe gekehrt, erblickte sie den Sack. Die Fremden hatten ihn hinter der Türe stehen lassen, und er war voll Geld. »Du Mann, komm, sieh, die Leute haben ihren Sack voll Geld vergessen, geh schnell und trag ihn ihnen nach, die Armen, wer weiß, wie viel sie herumgewandert, bis sie so viele Kreuzer gesammelt.« Der Mann lief hinter den beiden, immer schreiend: »He, Ihr guten Leute, steht still, he, nun, hört Ihr nicht?« Er lief und schrie und lief und schrie, Gott hörte ihn, antwortete aber nicht gleich. Dann bedauerte er ihn, weil er sich so ermüdete, und stand still mit dem heiligen Petrus, bis er sie erreichte. Dann sagte Gott: »Du Mensch, weißt du, wer ich bin? Ich bin Gott und kam zu dir, um zu sehen, ob Ihr noch gute Menschen seid und ehrenhaft lebt, wisse ich war Euch auch Nanasch. Das Geld in dem Sack brachte ich Euch, Ihr solltet Euch Vieh kaufen können und noch anderes, was Ihr braucht.« Als unser Mensch diese Worte vernommen, fiel er auf die Knie, küßte Gott Hände und Füße und dankte sehr, aber Gott und der heilige Petrus gingen weiter. Er aber und seine Frau blieben immer auf dem rechten Wege und halfen den Armen, so lange sie lebten.


Lina Subţirel, Alzen[217]


Quelle:
Schullerus, Pauline: Rumänische Volksmärchen aus dem mittleren Harbachtal. Bukarest: Kriterion 1977, S. 211-218.
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